No Billag betrifft nicht nur das Fernsehen
Zu Besuch in der Welt von Radio SRF 1

Bei No Billag sprechen alle übers Fernsehen. Dabei ist es Radio SRF 1, das in Schweizer Stuben den Ton angibt. Ein Besuch im Studio.
Publiziert: 05.11.2017 um 16:18 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:50 Uhr
Aline Wüst

Die Radiomacher stehen um den Sitzungstisch, besprechen den Tag. Und irgendwann senkt sich der Blick auf ihre Füsse: Aber nein, sie tragen keine Finken! Und doch fühlt sich das hier an wie eine Stube. Wie das erweiterte Wohnzimmer von Herrn und Frau Schweizer: kuschelig irgendwie.

Radio SRF 1, vormals DRS 1, vormals Radio Beromünster, ist eine Institution. Viele erinnern sich noch an ihre Kindheit, als das Gespräch am Mittagstisch aus- und DRS 1 eingeschaltet wurde. Und während des Zweiten Weltkriegs. So sagen die Historiker, war es Radio Beromünster, das die akustische Interpretation der Deutschschweizer Identität lieferte.

«Heimat» sei dieser Sender, sagt Moderator Michael Brunner (38), der gerade mit Zuhörer Blaser telefoniert und dabei vor dem ­Mikrofon sitzt. Der Anrufer wünscht sich «Turn! Turn! Turn!» Und Brunner will wissen, was ihn schon so früh unterwegs sein lässt. Die Arbeit natürlich. Beim Morgenmoderator ist es nicht anders. Seit fünf Uhr ist er auf Sendung. Brunner tut das oft und kennt darum alle Mitglieder der Fuchsfamilie, die sich nachts vor dem Radiostudio in Zürich herumtreiben.

Moderatorin Sandra Schiess (47) im Gespräch mit einem Studio-Gast.
Foto: Sabine Wunderlin
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Immer unaufgeregt, immer korrekt

Während die Schweiz erwacht, meldet er den Stau: «A2, Richtung Luzern, zwischen Sissach und Diegten Verkehrsbehinderung.» Und informiert über das Wetter: «Fründlich, aber nid so sunnig.»

Immer unaufgeregt, immer professionell, immer korrekt. Die Zuhörer wüssten, dass sie nie blossgestellt werden, wenn sie im Studio anrufen. Und Brunner weiss, dass er nie lustig sein muss, wenn er nicht will.

Rund 1,6 Millionen Schweizer hören diesen Sender täglich. Damit ist er Nummer 1 der Schweizer Radiostationen. Und das, obwohl Radio SRF 1 laut Radiochef Robert Ruckstuhl (54) weder «hip noch lässig» ist.
Das Radio im dritten Stock des von Max Bill gebauten, mittlerweile denkmalgeschützten Hochhauses fällt aus der Zeit. Gewollt. Schlicht eingerichtet sind die Räumlichkeiten: Kaffeemaschine, Töggelikasten, Tischchen mit ­Eames-Chairs rundherum.

Radio SRF 1 sei das Radio der ganz normalen Leute, sagt Ruckstuhl, der Bauern, Lastwagenfahrer und Hausfrauen. Über den Hörer macht man sich hier viele Gedanken: Auf einem internen Papier ist der Zuhörer beispielsweise ein Mensch, der Nordic Walking macht, ans Mittelmeer in die Ferien fährt, gern Zeit mit Freunden verbringt und einen VW Passat fährt.

«Wir sind ein Volkssender»

Neben Nachrichten gibt es an diesem Tag auch Tipps zum Trainieren des Beckenbodens und eine Kurzgeschichte von Christoph Simon. Die Musik ist nach strengen Regeln ausgewählt – für jeden Hörer soll etwas dabei sein – und im Treffpunkt redet Sandra Schiess (47) mit Gästen über das späte Coming-out: «E hufe Männer und Fraue läbe sit Jahre mit eme grosse Gheimnis…» Schiess spricht auch mit ihren Gästen, während Musik läuft («I Hear Your Voice» von ­Lionel Richie), einfühlsam, ehrlich interessiert. Das Wort Staatssender hört sie nicht gern. «Wir sind ein Volkssender», sagt sie.

Bei Radio SRF 1 wird nicht zugespitzt, sondern mitgefühlt. Lieber einmal mehr die korrekte Aussprache eines Wortes in der Datenbank abfragen, lieber einmal mehr kontrollieren, ob die Antworten beim Morgenquiz eindeutig sind. Qualität ist oberstes Gebot. Auf die Glaubwürdigkeit ­ihres Senders sind die ­Radiomacher stolz.

Was die publizistische Leiterin von Radio SRF 1 – Heidi Ungerer (56) –, will: ­Relevanz. Was sie hasst: ­Belanglosigkeit und Geschwätzigkeit. Sie hat Erfolg damit: Das «Echo der Zeit» gewann letztes Jahr das erste Medienqualitätsranking der Schweiz.

Ralph Wicki (56), der feinfühlige Talker vom «Nachtclub».
Foto: Sabine Wunderlin

Ralph Wicki (56), der Talker vom «Nachtclub», taucht Stunden vor Arbeitsbeginn in der Redaktion auf: für das Vorgespräch mit einem Mann, der kurz vor Mitternacht über sein spätes Coming-out reden wird. Das mache ihm nichts aus, sagt Wicki.

Gespenst «No Billag»

Alles hier ist präzise und überlegt. In der Mensa steht wie eh und je das Aromat neben dem Salzstreuer. Während draussen kein Stein mehr auf dem anderen ist.

No Billag heisst das Schreckgespenst, das die Macher von Radio SRF 1 bedroht. No Billag sei Thema Nummer eins in den Gängen. Beherrsche die Gespräche, beim Kafi und beim Cordon bleu, dem beliebtesten Zmittag in der Kantine. «Die Verunsicherung ist gross», sagt Ruckstuhl.

Der 217 Meter hohe Landessender Beromünster ist übrigens seit bald zehn Jahren nicht mehr in Betrieb. Dort, wo einst Nachrichten in alle Welt verbreitet wurden, misst der Bund heute die Luftqualität. Die Zeiten ändern sich.

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