Flieger-Kollege geschockt über «Tante Ju»-Absturz
«Beide waren klasse Piloten, gingen nie ein Risiko ein»

Warum mussten oberhalb von Flims 20 Menschen sterben? Der Absturz der Ju-52 wirft unzählige Fragen auf. Die Piloten setzten keinen Notruf ab. Und die traditionsreiche Maschine liefert kaum verwertbare Daten.
Publiziert: 05.08.2018 um 23:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.07.2020 um 21:04 Uhr
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Ermittlungen an der Absturzstelle.
Foto: FABRICE COFFRINI
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Marco Latzer

Die ersten Meldungen liessen bereits das Schlimmste befürchten. Seit Sonntag herrscht nun traurige Gewissheit: Von den 20 Menschen an Bord des Ju-Air-Flugs von Locarno TI nach Dübendorf ZH hat niemand überlebt.

Es ist 16.57 Uhr am Samstag, als mehrere Augenzeugen praktisch zeitgleich die Kantonspolizei Graubünden alarmieren. Eine traditionsreiche Junkers Ju-52 mit Baujahr 1939 ist soeben an der Westflanke des Piz Segnas zerschellt. Sofort macht sich ein Grossaufgebot an Rettern auf den Weg zum abgelegenen Stück Fels oberhalb von Flims GR.

Schnelle Gewissheit

Doch schon kurz nachdem die ersten Einsatzkräfte eingetroffen sind, steht fest: Das ist keine Rettungsaktion, sondern nur noch eine Bergungsmission. Die elf Männer und neun Frauen in der Maschine im Alter zwischen 42 und 84 Jahren sind schon tot. Sie hatten keine Chance.

Denn die «Tante Ju», so der Kosename des Fliegers, hat sich senkrecht und mit hoher Geschwindigkeit regelrecht in den Fels gebohrt. Vom metallenen Trümmerhaufen auf 2540 Meter Höhe erinnert nur noch das Heck mit dem Kennzeichen HB-HOT an die Überreste des Flugzeugs.

Ju-Chef versuchte, Trost zu spenden

Ju-Air-Geschäftsführer Kurt Waldmeier fährt, als ihn die Schreckensmeldung erreicht, sofort an den Flughafen Dübendorf. «Ich habe versucht, den Angehörigen Trost zu spenden. So viel Trost, wie man in einer solchen Situation eben spenden kann», sagt der Mann, der die als Verein organisierte Klein-Airline vor 36 Jahren mitgegründet hat. Er ist im Gespräch mit BLICK mehrmals den Tränen nahe.

Besonders schlimm: Waldmeier, selbst leidenschaftlicher Pilot, kann auf die drängenden Fragen der verzweifelten Familienmitglieder keine schlüssigen Antworten liefern. Gleiches gilt auch für die Behörden an ihrer Pressekonferenz am Tag nach dem schlimmsten Flugunglück in der Schweiz seit dem Crossair-Absturz bei Bassersdorf ZH im Jahre 2001.

«Angehörige der Tante-Ju-Passagiere zu treffen, war sehr schwer»
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Grosse Betroffenheit beim CEO der JU-Air:«Angehörige der Tante-Ju-Passagiere zu treffen, war sehr schwer»

Es fehlt an Daten

«Die Abklärungen nach der Unfallursache werden sich komplex gestalten», kündigt Daniel Knecht, Leiter der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust), an. Er hat gute Gründe, nicht zu grosse Erwartungen an eine vollständige Aufklärung zu wecken.

Zwar lässt sich ein Zusammenstoss mit einem anderen Flugobjekt oder eine «Einwirkung von aussen» praktisch ausschliessen; darüber hinaus bleibt das Feld der möglichen Absturzgründe aber absolut offen.

Problematisch: Die alten (aber regelmässig gewarteten) Maschinen der Ju-Air verfügen über keinen Flugdatenschreiber – die sogenannte Blackbox. Die Ermittler müssen das Rätsel somit gänzlich ohne Daten aus dem Cockpit und Sprachaufzeichnungen rekonstruieren!

Kein Mayday, kein Wort

Als wäre das Unterfangen damit nicht schon anspruchsvoll genug, liegen aus dem Gebiet rund um den Piz Segnas praktisch keine verwertbaren Radardaten vor.

Dazu gesellt sich die irritierende Tatsache, dass die beiden Piloten im Cockpit auch keinen Notruf abgesetzt haben. Der Funk blieb vor dem Aufprall am Boden absolut still. Weil die Piloten von den Ereignissen überrascht wurden und ihnen keine Zeit mehr blieb?

Klar ist, dass Rudolf J.* (†62) und sein Nebenmann Peter M.* (†63) als äusserst erfahrene Flieger galten. Beide Männer verfügten über eine ähnliche Fliegerkarriere: Sowohl J. als auch M. waren rund 30 Jahre als Linienpiloten unterwegs, standen auch für das Militär jahrzehntelang im Einsatz.

Ein eingespieltes Team

Die Erfahrung braucht es auch, um eine Ju-52 zu fliegen. Im Rahmen eines Rundflugs im Juli 2014 sagte Rudolf J. einem österreichischen Aviatik-Magazin: «Die Maschinen sind fliegerisch nicht ganz harmlos.» Man müsse einen gewissen Grundschatz an fliegerischem Wissen haben, um damit umgehen zu können.

Hinzu komme, dass man viel im Gebirge und im Verbund fliege, erklärt er dem Magazin. Die meisten Piloten der Ju-Air seien daher auch wie er selbst ehemalige Militärpiloten. Und er betont, wie selektiv die Auswahl der Piloten ist: «Man wird angefragt, ob man Ju fliegen will.»

Dass gerade Rudolf J. und Peter M. im Cockpit der abgestürzten Tante Ju sassen, für einen alten Flieger-Kollegen ein Rätsel. «Beide waren klasse Piloten, gingen nie ein Risiko ein», sagt er zu BLICK. Ruhig und hochprofessionell, beschreibt er ihre Arbeitsweise. Und: Sie waren ein eingespieltes Team. Seit Beginn ihrer Flieger-Karriere kannten sie sich.

Lebenspartnerin von J. war auch Arbeitskollegin

Privat wohnten sie im Kanton Thurgau gerade einmal zehn Kilometer voneinander entfernt, galten in der familiären Ju-Air als befreundet. Ein grosser Unterschied findet sich in den Biografien dann aber doch noch: J. verfügte mit 947 Flugstunden mehr als drei Mal so viel Erfahrung auf der Ju-52 wie M. neben ihm.

«Einer unserer erfahrensten Männer», sagt Geschäftsführer Waldmeier respektvoll. Und J. war es auch, der mit A. M.*, einer Ju-Air-Hostess liiert, war. Diese sass nicht im Unglücksflieger. Stattdessen flog Flugbegleiterin Sarah S.* (†66) aus dem Kanton Zürich mit der «Tante Ju» in den Tod.

Ihre Leidenschaft für die Fliegerei ist ebenfalls beeindruckend: Sie hatte zuvor 40 Jahre lang als Teil der Kabinenbesatzung gedient.

*Namen der Redaktion bekannt

Foto: BLICK Grafik

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