Aviatik-Experte über die Absturz-Ursachen
«Der fatale Sturzflug ist völlig rätselhaft»

Kein Notruf, keine Notlandung: Aviatik-Experte Hansjörg Egger erklärt das Rätsel um den Ju-Absturz.
Publiziert: 05.08.2018 um 18:57 Uhr
|
Aktualisiert: 16.09.2020 um 16:07 Uhr
  •  
Das Wichtigste der Pressekonferenz
6:37
Absturz «Tante Ju» beim Piz Segnas:Das Wichtigste der Pressekonferenz
Adrian Müller

Herr Egger, die Ju-52 krachte senkrecht und mit hoher Geschwindigkeit in den Boden. Was kann die Ursache für den fatalen Sturzflug sein?
Alles deutet auf einen Strömungsabriss hin. Dann ist ein Flugzeug nicht mehr flugfähig und saust senkrecht in die Tiefe. Ein Strömungsabriss kann eintreten, wenn die Geschwindigkeit zu tief ist - etwa nach einer scharfen Kurve. In den Bergen fliegt die Ju in geringer Höhe über Boden. Da bleibt keine Zeit, die Maschine abzufangen. Wie es zum Strömungsabriss gekommen ist, bleibt völlig rätselhaft. Umso mehr, als vor dem Absturz keine Kabel oder Felsen touchiert worden sind.

Aviatik-Experte Hansjörg Egger.
Foto: Fotogenica

Die Piloten haben keinen Notruf abgesetzt. Was bedeutet das?
Das ist ein Anzeichen, dass die Notlage sehr rasch und abrupt aufgetreten ist. Motorenprobleme hätten die erfahrenen Piloten sehr wahrscheinlich per Funk gemeldet und bestimmt versucht, die Ju-52 auf der relativ flachen Ebene notzulanden. Denn die Tante Ju kann eine gewisse Strecke wie ein Segelflugzeug fliegen, selbst wenn alle drei Motoren ausfallen!

Kann die Hitze den Absturz verursacht haben?
Bei heissen Temperaturen ist Luft weniger tragfähig, die Motoren bringen weniger Leistung. Das unterschätzen manchmal Hobbypiloten aber sicher nicht die erfahrene Crew der Ju! Die Temperatur und das Wetter ist bei den Flugvorbereitungen ein zentraler Faktor. Schon beim Start spürt man, ob das Flugzeug die nötige Power hat. Ebenso wissen sie etwa, welche Abwinde in den Tälern herrschen können. Ich flog mit der Ju schon in Südafrika, die Hitze war nie ein Problem und ist alleine sicher nicht die Absturzursache, höchstens ein Faktor.

Ermittlungen an der Absturzstelle.
Foto: FABRICE COFFRINI
1/38

Haben die Piloten womöglich zuviel riskiert, um die Passagiere zu beeindrucken?
Das halte ich für völlig unvorstellbar. Beide haben als Swiss- und Militärpiloten extrem viel Erfahrung. Bei der Luftwaffe finden gerade in diesem Gebiet viele Übungen statt. Die Piloten kennen also das Gebiet wie ihre Westentasche.

Die abgestürzte Ju-52 war 79 Jahre alt. Sind Oldtimer-Flugzeuge ein Sicherheitsrisiko?
Die Ju-52 ist das wohl meistgehätschelte Flugzeug der Welt, das Personal wartet die Maschinen mit extrem viel Liebe und Sorgfalt. Die Ju hat kein technisches Lebensende und kann bei guter Wartung noch lange fliegen. Die Ju-52 fliegt sich zudem sehr gutmütig, hat schon fast akrobatische Fähigkeiten und hält extrem hohe Belastungen aus. Alter Flieger sind nicht weniger sicher, sie sind vielmehr altbewährt!

Die Ju-52 fliegt auf Sichtflug und hat kein Kollisionswarnsystem. Ist dies noch zu verantworten?
Die Flugzeuge sind seit Jahrzehnten sicher in den Schweizer Alpen unterwegs. Ein Kollisionswarnsystem ist nicht zwingend nötig. Zwei Piloten beobachten den Luftraum und das Flugzeug fliegt sehr langsam. Zudem kann ein solches System bei Panoramaflügen im Gebirge auch Verwirrung stiften.

Die Ju-Air hat nach dem Crash alle Flüge gestoppt. Droht der Airline nun das endgültige Aus?
Klar ist: Der Absturz ist eines der schwersten Unglücke in der Schweizer Zivilluftfahrt. Aber auch die Swissair musste schon Unfälle wegstecken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ju-Air ihren Betrieb nun für immer einstellt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?