Steigende Corona-Zahlen
Lockert der Bund trotzdem weiter?

Der jüngste Öffnungsschritt macht sich immer deutlicher bemerkbar, die Corona-Fallzahlen steigen massiv an. Ist damit die Aufhebung der letzten Corona-Massnahmen per Ende März in Gefahr?
Publiziert: 08.03.2022 um 15:23 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2022 um 16:24 Uhr
Ruedi Studer

Taskforce-Chefin Tanja Stadler (40) hat es im Blick-Interview vor einer Woche angetönt: «Die Fallzahlen und die Abwasserdaten geben erste Hinweise, dass eine Trendwende hin zu steigenden Zahlen erfolgt.» Die neusten Zahlen geben ihr recht: Am Dienstag vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 26'050 neue Fälle innert 24 Stunden – in der Vorwoche waren es gleichentags noch 16'734 bestätigte Fälle. Das entspricht einem Anstieg um rund 56 Prozent. Der R-Wert liegt wieder deutlich über 1.

Der grosse Lockerungsschritt von Mitte Februar macht sich damit deutlich bemerkbar. Und auch die ansteckendere Omikron-Variante BA.2 dürfte zur rascheren Ausbreitung beitragen.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich in anderen Ländern. In Deutschland wird deshalb bereits darüber diskutiert, ob bei den für 20. März angedachten Lockerungen wieder zurückbuchstabiert werden müssen. Die Pandemie sei noch nicht vorbei, warnt der deutsche SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (59) vor einer Sommerwelle.

Die Corona-Zahlen steigen an, doch Gesundheitsminister Alain Berset hält am aktuellen Öffnungsfahrplan vorerst fest.
Foto: keystone-sda.ch
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Berset hält am Fahrplan fest

Und in der Schweiz? Zieht der Bundesrat die Notbremse und lässt die per Ende März geplanten Lockerungen fallen? Dann soll die besondere Lage nämlich endgültig enden. Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr oder in Gesundheitseinrichtungen würde damit hinfällig, ebenso die fünftägige Isolationspflicht bei einer Corona-Infektion.

«Wir müssen uns jetzt auf den Herbst vorbereiten»
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Taskforce-Chefin Tanja Stadler:«Wir müssen uns jetzt auf den Herbst vorbereiten»

Der Bund hält vorerst an seinem Fahrplan fest, wie die Antworten zu verschiedenen Vorstössen in der Fragestunde des Nationalrats vermuten lassen. Per 1. April sollen die noch geltenden Massnahmen aufgehoben werden, heisst es da. Und noch mehr: Der Bundesrat prüft sogar «die Möglichkeit, die Swisscovid-Anwendung zu sistieren». Dem Vernehmen nach bereiten die steigenden Infektionszahlen SP-Gesundheitsminister Alain Berset (49) noch keine Sorgen, denn in den Spitälern hat man die Situation derzeit im Griff. Im Moment sei man weiterhin auf Öffnungskurs, heisst es aus der Verwaltung. Und neue Verschärfungen seien erst recht kein Thema.

Bund und Kantone gucken Ende März

Auch bei der Gesundheitsdirektoren-Konferenz zeigt man sich vorsichtig optimistisch: «Die Lage hat sich trotz steigender Infektionen mit Blick auf die Spitalbelastung beruhigt», sagt Generalsekretär Michael Jordi zu Blick. Die Krankheitslast sei bei Omikron wesentlich geringer als bei der Delta-Variante.

«Eine ‹Notbremse› oder Verschärfung der noch bestehenden Massnahmen ist aus jetziger Sicht nicht nötig», sagt er. Offen bleibt, ob die letzten Massnahmen auf Anfang April fallen können. «Bund und Kantone werden diesbezüglich die Sachlage Ende März nochmals beurteilen müssen», sagt Jordi dazu. «Es ist gut möglich, dass auch saisonal bedingt die Ansteckungsintensität bald wieder zurückgeht.»

Herbst macht Bäumle Sorgen

GLP-Nationalrat Martin Bäumle (57, ZH) verfolgt das Geschehen kritisch. «Ich hoffe, dass das Virus aufgrund der breiten Durchseuchung bald keine Nahrung mehr findet und der jetzige Anstieg bald wieder abebbt», sagt er zu Blick.

Die neuen Lockerungsschritte dürften nur umgesetzt werden, wenn sie nicht mitten in eine neue Welle fallen würden, findet Bäumle. «Gerade in Gesundheitseinrichtungen steht der Schutz von vulnerablen Personen im Vordergrund. Da muss die Maskenpflicht für Besucher allenfalls noch länger beibehalten werden.»

Mehr Sorgen bereitet ihm allerdings der Blick auf den Herbst: «Wir wissen noch nicht, ob eine neue Variante kommt. Wir müssen aber gewappnet sein – mit Impfungen, Medikamenten und der Sicherung der Luftqualität.»

Cerny hätte Maskenpflicht beibehalten

«Zum Glück sehen wir einen langsamen Rückgang der Spitalbelastung und der Todesfälle», sagt der Tessiner Epidemiologe Andreas Cerny (66) zur aktuellen Situation. Die hohen Fallzahlen führt er auf die im Vergleich zu den Nachbarländern schnellere Öffnung zurück. «Die Fasnachtsaktivitäten und der Wunsch von Touristen aus den umliegenden Ländern, die Freiheit in der Schweiz zu geniessen, sowie die Ausbreitung der ansteckenderen BA.2-Form von Omikron, führen weiterhin zu vielen neuen Ansteckungen.»

Anlass dazu, die Notbremse zu ziehen, sieht er derzeit aber nicht. Die drohende Überlastung des Gesundheitswesens, die der Bundesrat als Kriterium vorgegeben habe, sei derzeit nicht erfüllt. «Man kann sich fragen, ob dies richtig ist», fügt er hinzu. In anderen Ländern gehe es darum, die vulnerable Bevölkerung zu schützen, Krankheitsfälle und Todesfälle zu vermeiden und rasch aus der Infektionswelle herauszukommen.

Als Arzt, der viele vulnerable Personen betreut, sehe er es gleich. «Ich hätte es vorgezogen, die Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen etwas länger zu behalten», so Cerny. Denn: «Der Aufwand wäre minim gewesen.» Ob es neue Verschärfungen brauche, hänge nun vom weiteren Verlauf der Epidemie ab.

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