Bargeld, Klavier und Ferien – so herzig beschenken Leser Betroffene
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Nach Porträt-Serie über Armut:So herzig beschenken BLICK-Leser Betroffene

Nach Porträt-Serie über Armut in der Schweiz
Bargeld, Klavier und Ferien – so herzig beschenken Leser Betroffene

Vor einem Monat veröffentlichte BLICK eine Serie über Armut in der Schweiz. Wir porträtierten drei Personen, die am Existenzminimum leben. Daraufhin meldeten sich Leserinnen und Leser. Sie schenkten den Betroffenen Tageskarten, ein Klavier und sogar Ferien am Meer.
Publiziert: 04.10.2020 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2020 um 12:18 Uhr
Karin A. Wenger

Seit einer Woche spielt Stefan Mathys (49) jeden Abend stundenlang Klavier. «Ich habe so viel geübt, dass sich mein Handgelenk entzündet», sagt er. Der BLICK-Leser war einer der Porträtierten in unserer Serie über Armut in der Schweiz. Einst wohnte er in einem Haus mit Pool, nun lebt er seit fünf Jahren am Existenzminimum.

Als Jugendlicher war Stefan Mathys ein begabter Klavierspieler. Und auch später spielte er regelmässig Chopin und Rachmaninow. «Das war immer ein Stück Balsam für meine Seele. Wenn ich spielte, konnte ich alles vergessen», erzählte er im Artikel über ihn. Doch vor einigen Jahren musste er in der Not sein Klavier verkaufen, um bis Ende Monat durchzukommen. Das schmerzte ihn sehr.

Nach dem Artikel meldete sich eine BLICK-Leserin bei ihm: Sie wolle ihm ein Digitalpiano schenken! Vor einer Woche lieferte es die Post zu Mathys nach Hause. Er packte das Klavier aus und spielte sechs Stunden am Stück. «Das ist für mich eine so schöne Bereicherung meines Lebens», sagt er. «Ich bin ihr sehr dankbar.»

BLICK-Leser Stefan Mathys lebt seit fünf Jahren am Existenzminimum.
Foto: Nathalie Taiana
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Auch andere Leser meldeten sich. Jemand bot ihm zum Beispiel an, Infrastruktur und den Server bereitzustellen, sobald das Projekt von Mathys ins Laufen kommt. Er plant, eine digitale Plattform sowie eine App aufzubauen für Menschen in Armut. Ein weiterer Leser fragte ihn, ob er seinen Kindern Klavierlektionen erteilen möchte, um etwas dazuzuverdienen. Leider klappte das nicht, da die Familie zu weit weg wohnt.

«Es war für mich ein schönes Gefühl, weil ich merkte, dass diese Personen grosszügig sind ganz ohne weitere Erwartung», sagt Mathys. Er bandagiert sein Handgelenk nun ein, damit er weiterhin jeden Tag Chopin üben kann, um dabei die Welt und seine Sorgen ein wenig zu vergessen.

Mailbetreff: Ferien am Meer

Auch Nadine Wyss* (56) wurde überwältigt von den Reaktionen, nachdem BLICK über sie berichtet hatte. Sie ist seit zweieinhalb Jahren ausgesteuert und findet keinen Job mehr. Als 56-Jährige fühlt sie sich unerwünscht auf dem Arbeitsmarkt. Sie und ihr Mann leben am Existenzminimum. Sie sitzen in einem Berner Dorf fest, ohne Auto, ohne Geld für den ÖV. Ihr grösster Traum wäre es, nochmals das Meer zu sehen.

Als ihr Artikel erschien, stand der 50. Geburtstag ihres Mannes bevor. Wyss erzählte, sie könne ihm nichts schenken. «Das tut so weh», sagte sie und begann zu weinen.

Seither ist viel passiert. Ein BLICK-Leser kontaktierte sie und schrieb, er habe selbst keinen guten 50. Geburtstag gehabt, deshalb wolle er ihr mehrere Hundert Franken schenken für einen Ausflug und ein Abendessen. «Ich hatte mega Mühe», sagt Nadine Wyss, «ich schämte mich und brauchte sehr viel Überwindung, um das anzunehmen.» Ihr Mann wünschte sich einen Ausflug nach Zermatt. Im Morgengrauen gingen sie an den Bahnhof, im Zug dachte Wyss zuerst immer wieder: «Ich habe das doch nicht verdient.» Doch dann begann sie, es zu geniessen, endlich wieder einmal Zug zu fahren. «Als ich dort war, dachte ich nur: Woah, herrlich!»

Auch andere Leserinnen und Leser meldeten sich bei Nadine Wyss. Jemand schickte ihr Bargeld, andere schenkten ihr SBB-Tageskarten. Kürzlich unternahmen Wyss und ihr Mann einen weiteren Ausflug zum Rheinfall. «Es war mega schön, dort wollten wir schon lange hin», erzählt sie. Eine anonyme Person hinterliess am BLICK-Empfang Postauto-Tageskarten und Gutscheine fürs Verkehrshaus.

Und dann ploppte in ihrem Posteingang plötzlich eine Mail auf. Betreff: Ferien am Meer. Ein Schweizer Ehepaar lädt Wyss und ihren Mann ein, nächstes Jahr in ihrem Appartement in Spanien gratis zwei Wochen Urlaub zu verbringen. Sie wollen sogar den Transport übernehmen. «Ich bin fast ab dem Sofa gefallen, das gibts doch nicht!», erzählt Wyss. Ihr fehlten beinahe die Worte, um auf die E-Mail zu reagieren. Höchstens eine Woche, schrieb sie, mehr könne sie doch nicht annehmen. Das Ehepaar antwortete, man müsse zu den Menschen schauen, denen es nicht so gut gehe. Sie schickten sich gegenseitig Fotos und wollen in Kontakt bleiben. «Ich bin unwahrscheinlich überwältigt», sagt Nadine Wyss.

Schwimmkurs für den kleinen Louis

Wie es ist, arm zu sein, weiss auch Maria Lehner* (29). Sie hatte zeitweise drei Jobs. Sie arbeitete in einem Heim, putzte und hütete Tiere. Trotzdem reichte das Geld nicht. Sie zahlte Schulden ab, die ihr aus der Beziehung mit ihrem Ex-Mann geblieben sind. Jahrelang lebte sie mit Sohn Louis* (6) am Existenzminimum. Oft reichte das Geld nicht für Essen, sie holte Lebensmittel bei «Tischlein deck dich». Vor Kurzem hat sie alle Schulden abbezahlt, es geht langsam bergauf.

Nach dem BLICK-Artikel meldete sich eine Familie mit zwei Kindern bei Maria Lehner. Sie wollten Louis Kleider oder Spielsachen schenken. «Ich war mega überfordert, ich habe überhaupt nicht damit gerechnet», sagt sie. Sie habe geantwortet, dass sie das Angebot rühre – aber ihr gehe es ja besser. Lehner dachte, andere hätten die Hilfe mehr verdient. Die Familie aber wollte spezifisch ihr helfen.

Just in diesen Tagen fuhr jemand von hinten in Lehners Auto. Sie musste den Blechschaden umgehend reparieren lassen, die Fahrzeugkontrolle stand bevor. Sie griff auf Erspartes zurück, weil sie nicht warten konnte, bis ihr die Versicherung das Geld überweist. Gleichzeitig sollte sie aber auch die Schwimmschule von Louis zahlen.

Jedes Jahr spart sie sich Geld an, um ihrem Sohn den Schwimmkurs zu ermöglichen. «Daran hat er immer so Freude», erzählt Lehner. «Es belastete mich psychisch sehr zu wissen, dass die Rechnung offen ist, aber ich den Autoschaden bezahlen sollte.» Die Familie unterstützte sie und übernahm einen grossen Teil des Beitrags der Schwimmschule. «Ich war so froh darüber», sagt sie.

Mitgefühl in der Kommentarspalte

Die drei Porträtierten haben sich auch über Hunderte von positiven Online-Kommentare auf Blick.ch gefreut. «Ich habe mit vielen negativen Kommentaren gerechnet», sagt Maria Lehner. «Dann trotzdem so viel Verständnis zu erfahren, war mega schön.» Auch Stefan Mathys war unsicher vor der Publikation und dann positiv überrascht vom Feedback. «Besonders gefreut hat mich, dass bei negativen Kommentaren sofort andere Leser geantwortet und mich verteidigt haben.» Nadine Wyss erging es ähnlich. Sie las ihrem Mann auf dem Balkon einige Kommentare vor: «Die meisten haben mich sehr berührt, vielleicht lese ich sie später nochmals.»

Möchtet ihr den drei noch etwas mitteilen? Schreibt es in die Kommentare. Sie werden diese lesen.

*Namen der Redaktion bekannt

DCX STORY: doc7clwk5938xvwmwyh1s2 [08 Community]
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