Täglich 10'000 Neuinfektionen – nun Einreise-Quarantäne auch für Geimpfte
Israel droht wieder ein Lockdown

Vom Impf-Musterschüler zum Sorgenkind: Israel hat derzeit so viele Corona-Neuinfektionen wie auf dem Höhepunkt der Pandemie. Die Regierung schränkt die Freiheiten der Menschen deshalb wieder drastisch ein. Sogar ein Lockdown wird diskutiert.
Publiziert: 26.08.2021 um 16:34 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2021 um 06:58 Uhr
Georg Nopper

Israel begann als erster Staat der Welt mit Massenimpfungen und galt deshalb lange als Vorbild im Umgang mit der Corona-Pandemie. Etwa 80 Prozent der impffähigen Bevölkerung sind vollständig gepikst. Das sind rund 60 Prozent der Gesamtbevölkerung. Doch seit Juni steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen wieder an. In den letzten Tagen verzeichnete das Land mit einer ähnlichen Einwohnerzahl wie die Schweiz jeweils rund 10'000 Neuinfektionen. Am Dienstag wurden 10'001 Fälle registriert. Das sind Werte wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie im Januar.

Die Regierung ordnet deshalb erneut Massnahmen an, welche die Freiheit der Bevölkerung einschränken. Bei Veranstaltungen im Freien mit mehr als 100 Teilnehmern müssen zum Beispiel wieder Masken getragen werden. Sogar ein erneuter Lockdown scheint im Rahmen des Möglichen.

Impfschutz scheint schneller abzunehmen als erhofft

Sorgen bereitet den israelischen Behörden insbesondere der Umstand, dass ein beträchtlicher Teil der Neuinfizierten doppelt geimpft ist. Worauf die vielen sogenannten Impfdurchbrüche in Israel zurückzuführen sind, ist Gegenstand hitziger Debatten. Einerseits wird die ansteckendere Delta-Variante dafür verantwortlich gemacht, aber gemäss Daten des israelischen Gesundheitsministeriums hat wohl auch die anfänglich hohe Wirksamkeit des mehrheitlich verwendeten Impfstoffs von Pfizer/Biontech schneller abgenommen als zunächst erhofft. Eine unlängst in Grossbritannien veröffentlichte Studie weist in eine ähnliche Richtung.

Masken gehören in Israel wieder vermehrt zum Strassenbild.
Foto: AFP
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Die Zahl der Fälle mit schwerem Krankheitsverlauf in Israel hat sich in den letzten Tagen stabilisiert und liegt bei knapp 700. Bei rund der Hälfte handelt es sich um Geimpfte. Weil es in Israel insgesamt deutlich mehr Geimpfte gibt als Ungeimpfte, ist auch der Anteil der geimpften Corona-Patienten in Spitälern höher als in Ländern mit einer tieferen Impfquote. Laut einem Bericht von «Haaretz» steigt der Anteil der Ungeimpften mit schwerem Krankheitsverlauf derzeit an, während sich bei den Geimpften eine Trendumkehr andeutet.

Knapp 19 Prozent haben drei Impfdosen

Um eine Zunahme der Corona-Neuinfektionen zu stoppen, hat Israel Ende Juli damit begonnen, eine dritte Impfdosis an seine Bürger zu verabreichen. Inzwischen erhalten bereits Menschen ab dem Alter von 30 Jahren diese sogenannte Auffrischimpfung. Mehrere Expertenteams hätten eine Empfehlung zur Ausweitung der Impfkampagne gegeben, teilte das Gesundheitsministerium am Dienstag mit.

Bisher haben demnach knapp 19 Prozent der rund 9,4 Millionen Israelis eine dritte Dosis erhalten. Die Kampagne zeigt laut der Regierung bereits Wirkung. Bisher wurden nur bei 0,2 Prozent der Personen mit drei verabreichten Dosen Impfdurchbrüche festgestellt, wie israelische Medien berichten.

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In der Schweiz nur wenige Spitaleinweisungen wegen Impfdurchbrüchen

In der Schweiz ist das Problem mit Impfdurchbrüchen bisher begrenzt. Laut den Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wurden hierzulande und in Liechtenstein seit Januar 2021 erst 141 Menschen trotz doppelter Impfung hospitalisiert. Das Total der Corona-Spitaleinweisungen im gleichen Zeitraum beträgt in der Schweiz über 8200.

Eine dritte Dosis wird in einzelnen Kantonen bereits an Risikopersonen verabreicht. Für die breite Bevölkerung gibt es noch keine dritte Dosis. Der Bund hat jedoch für die Jahre 2022 und 2023 je sieben Millionen Pfizer/Biontech-Impfdosen vorbestellt und sich eine Option für je sieben weitere Millionen Impfdosen gesichert.

Viele sehen ihre Angehörigen seit zwei Jahren nicht mehr

In Israel wächst die Frustration und die Verunsicherung angesichts der Pandemieentwicklung und der damit einhergehenden Einschränkungen durch die Corona-Massnahmen. Auch die Einreisebestimmungen wurden wieder verschärft – sogar für vollständig Geimpfte. Nur aus wenigen Ländern darf man noch ohne Quarantäne einreisen.

Wie Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner im SRF erklärt, fragen sich viele Israelis: «Erst noch waren wir das Impfvorbild der Welt – nun haben wir wieder Tausende von Ansteckungen. Was ist da los?» Weil Israel ein klassisches Einwanderungsland sei, hätten viele ihre Kinder, Eltern, Grosseltern seit bald zwei Jahren nicht mehr gesehen. «Der Frust ist natürlich auch gross für die, die vom Tourismus leben», sagt Brunner weiter. «Die Altstadt von Jerusalem zum Beispiel ist fast menschenleer. Es gibt keine Touristen derzeit und damit auch kein Einkommen für viele, und das seit Beginn der Pandemie.»

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