Hier ruht Vierfachmörder Günther Tschanun
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Anonymes Gemeinschaftsgrab:Hier ruht Vierfachmörder Günther Tschanun

«Auf mentalem Kindergartenniveau»
So machte sich der Vierfachmörder über die Knast-Leitung lustig

Neue Details zum Leben des verstorbenen Vierfachmörders Günther Tschanun (†73): Im Knast lachte er über das Bildungsniveau der Leitung und jammerte über seinen Nachnamen.
Publiziert: 13.04.2021 um 22:39 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2021 um 22:58 Uhr
Günther Tschanun erschoss 1986 als Chef der Zürcher Baupolizei vier Mitarbeiter.
Foto: Keystone
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Günther Tschanun (†73) gilt als bekanntester Killer der Schweiz. Am Morgen des 16. April 1986 tötete der damalige Chef der Baupolizei der Stadt Zürich vier Mitarbeiter. Nach Flucht und Haft lebte Tschanun unter dem Namen Claudio Trentinaglia im Tessin, wo er vor sechs Jahren bei einem Velounfall starb.

Jahrzehnte später bringen Dokumente und persönliche Notizen Details zu seinem Leben ans Licht. Nach einem ersten Teil über seinen Alltag nach der Haftentlassung publiziert der «Tages Anzeiger» nun einen weiteren: diesmal zu seinem Leben hinter Gittern – und dazu, wie aus Günther Tschanun Claudio Trentinaglia wurde.

Beleidigungen an Gefängnisleitung

1988 wird Tschanun wegen des Vierfachmordes an seinen Mitarbeitern zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach vier Jahren kommt er in die Strafanstalt Oberschöngrün im Kanton Solothurn. Die Anstaltsleitung nimmt ihn als «schwierigen und auffälligen Menschen» wahr. Er könne sich so sehr in Dinge verbohren, dass er kaum noch zugänglich sei.

Unter anderem verbohrt er sich damals in einer Beschwerde gegen den Strafvollzug, die er 1997 ans Amt für Justizvollzug und an die Gefängnisleitung schickte. Über letztere macht er sich offen lustig, attestiert ihr ein «mentales Kindergartenniveau». Keiner in der Anstalt, nicht einmal die Leitung, verfüge über «das intellektuelle Werkzeug einer Matura».

Im Schreiben schildert er auch die Ausweglosigkeit seiner Situation. Wegen seines Namens sei ihm keine Reintegration möglich: «Das ist so, als müsste ein Homosexueller jedes Gespräch damit beginnen: Ich bin schwul. Oder ein Bundesrat jede Rede mit: Die Schweiz hat den Judenstempel erfunden und damit 25’000 Menschen indirekt in den Tod geschickt. Das ist die ständige Fixierung auf einen dunklen Fleck unter ständiger Ausblendung des Guten», so Tschanun.

Behörden ziehen Urbaniok bei

Der Brief sorgt für helle Aufregung. Die Behörden ziehen den Psychiater Frank Urbaniok herbei. Im Gegensatz zu früheren Gutachten, die Tschanun als «eher überdurchschnittlich ungefährlichen Menschen mit hoher Selbstkontrolle und Sozialmoral» bezeichneten, schrieb Urbaniok: «Es scheinen durchaus Persönlichkeitsmerkmale vorhanden zu sein, die einen Bezug zum Deliktverhalten aufweisen.»

Tschanun schiebe die Schuld an seiner Situation ab, in seinem Brief zeige er ein passiv-aggressives Verhalten. Urbaniok: «Die Annahme, er habe sich mit sich selbst und der Tat auseinandergesetzt, scheint gewagt.»

Der Häftling wird auf Urbanioks Einschätzungen hin in die Strafanstalt Saxerriet im Kanton St. Gallen verlegt. Dort spricht er laut Führungsbericht nur mit den Chefs – und macht der Anstalt Vorschläge, wie Geld eingespart werden könne.

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Ägypten-Hotel schickt ihn weg

Trotzdem setzt ihn der Strafvollzug im Jahr 2000 wegen guter Führung auf freien Fuss. Die ersten Monate kommt er im Kloster Convento dei Capuccini bei Lugano TI unter – inkognito. Dort kümmert sich Tschanun um den Klostergarten, den Wein- und Gemüseanbau.

Während der Zeit im Kloster bucht er eine Reise nach Ägypten für sich und seine langjährige Freundin. Als er sich im Hotel mit seinem Pass ausweisen muss, wird er weggeschickt. Der Rezeptionist sagt ihm, man habe Prominente im Haus und er sei ein Sicherheitsrisiko.

Schliesslich verweigert es ihm auch die UBS, ein Konto zu eröffnen. Begründung: Die Geschäftsleitung sei nicht einverstanden. Seine Befürchtungen und Ängste aus dem Gefängnis werden mehr und mehr real: Wie sollte er mit seinem Namen je eine Wohnung mieten können? Je eine Arbeit finden?

«Er fühlt sich exploriert»

Nur im Kloster kann sich Tschanun unerkannt bewegen. Dort nutzt er bereits das Pseudonym Trentinaglia. Laut seiner Bewährungshelferin fühlt sich Tschanun dennoch einsam und unsicher. Sie schreibt nach einem Treffen mit ihm: «Er fühlt sich exploriert und auf seine Tat reduziert. Ronco und das Tessin sind entzaubert. Umschulung, Eingliederung in die IV? Rückkehr in die Deutschschweiz?»

Im Herbst 2000 entscheiden die Behörden schliesslich: Tschanun bekommt eine neue Identität. Von da an heisst er offiziell Claudio Trentinaglia – nach einem Grossonkel aus dem rätoromanischen Zweig seiner Familie.

Kurz darauf verlässt Tschanun endgültig das Kloster. Und steht trotz neuer Identität weiterhin vor dem Nichts. Seiner Bewährungshelferin gelingt es schliesslich, ihm eine Invalidenrente mit Ergänzungsleistung zu organisieren.

Mörder macht Yoga-Kurse

Tschanun aber will die ihm attestierte Beeinträchtigung nicht anmeldekonform eingestehen. Zu gross ist sein Stolz. Dennoch wird die IV 2002 gesprochen: 2500 Franken pro Monat, ausgezahlt über Appenzell AR, um seinen Namen zu schützen.

Er zieht nach Ronco, lebt dort zurückgezogen. Manchmal hilft er den Nachbarn im Garten oder macht Yoga-Kurse auf dem Monte Verità. Einen Sommer lang kocht er auf einer Alphütte. Zu seiner Bewährungshelferin hat er selbst nach Ablauf der Bewährungsfrist noch Kontakt.

Bis zu seinem Tod bleibt Tschanun in Ronco. Die Dorfgemeinde weiss nichts von seiner wahren Identität, von seinem früheren Leben. 2015 stirbt Tschanun – als Trentinaglia. (hah)

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