Reza Rafi über die Schweizer Impfstrategie
Das Ende der Politik

In der Kampagne für die Corona-Vakzine erreicht die Politik einen Zustand, der gar nicht vorgesehen ist: Den der absoluten Ratlosigkeit.
Publiziert: 10.10.2021 um 11:23 Uhr
Reza Rafi

Die Nation schlittert nun schon im zweiten Jahr durch die Corona-Pandemie, und allmählich gerät die Politik in ein merkwürdiges Stadium, in einen Zustand, der in ihrer Logik eigentlich nicht vorgesehen ist: Ratlosigkeit, allgemeine Ohnmacht angesichts der Frage, wie die vielen Ungeimpften zur Impfung bewegt werden können.

Es scheint einen unbeweglichen Anteil der Schweizer Bevölkerung zu geben, für den ein Covid-Vakzin so begehrenswert ist wie ein Privatkonkurs. Obwohl man bis in die abgelegenen Bergtäler Covid-Tote zu beklagen hatte. Obwohl auch die hinterletzten Land- und Stadtneurotiker unter den Einschränkungen zu leiden haben, die durch eine zu tiefe Impfquote verlängert werden.

Die Exekutiven auf Bundes- und Kantonsebene haben sich offenbar mit diesem Umstand abgefunden.

Reza Rafi, Stv. Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier

Alle Druckversuche endeten im Flop, keine der teuren Kampagnen hilft weiter. Die Ausweitung der Zertifikatspflicht wirkt, aber nicht genug. Auch die erhoffte Wende durch den alternativen Impfstoff von Johnson & Johnson ist ausgeblieben: Die Nachfrage bewegt sich bislang unter den Erwartungen. Auch Stoffen herkömmlicher Machart verweigern sich die Impfskeptiker. Ähnlich das Fazit bei den Impfbussen: eine gut gemeinte Idee, aber mit beschränktem Effekt.

Dazu passen die Medienauftritte des obersten Schweizer Impfbeamten Christoph Berger. Mit unverblümter Ehrlichkeit gibt der Arzt zu Protokoll, dass man – um eine höhere Impfquote
zu erreichen – von jetzt an quasi wild in alle Richtungen schiesst, weil niemand eine Ahnung hat, wo das Ziel ist. Irgendein Projektil wird zünden. 1700 Berater, die von Haustür zu Haustür gehen? Vielleicht nützt es, vielleicht auch nicht.

Dasselbe Bild ergeben die Gespräche der SonntagsBlick-Kollegen mit Parteiprominenz, Bundesbeamten und Kantonalvertretern: Resignation allenthalben. Hinter vorgehaltener Hand bringen gewichtige Parlamentarier die radikalste Variante ins Spiel, die Aufhebung aller Massnahmen. Nach dem Motto: Wenn ihr nicht wollt – bitte sehr! Während in Medizinerkreisen wieder von einer Triage in den Spitälern geredet wird.

Bisher letzter Ausdruck dieser allgemeinen Hilflosigkeit ist Alain Bersets Idee, die Leute mit einer 50-Franken-Prämie zu bewegen, impfunwillige Bekannte von der Spritze zu überzeugen. Wie es gegenwärtig aussieht, dürfte es der Gesundheitsminister damit höchstens zum Fasnachtssujet bringen.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Der viel zitierte französische Sozialphilosoph Michel Foucault prägte einst den Begriff der Biomacht – der Staat als Herr über die Biologie seiner Bewohner. Als Zentralgewalt, die imstande ist, die Gesundheitsstatistik zu formen.

Die Corona-Pandemie ist bestes Anschauungsmaterial dafür, wie diese Theorie in der Praxis funktioniert.

Nun ist die Biomacht nach anderthalb Jahren krachend gescheitert. Mit einem Fünfzigernötli in der Hand.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?