«Warum soll man Menschen schützen, die mit 100 km/h durch ein Dorf rasen»
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Mutter von Raseropfer (†21):«Warum soll man Menschen schützen, die mit 100 km/h durch ein Dorf rasen»

Brigitte W. (57) verlor bei einem der aufwühlendsten Raserunfälle der Schweiz ihre Tochter Lorena (†21)
«Ich habe keine Wünsche mehr an die Politiker»

Der Raserunfall von Schönenwerd SO 2008, bei dem Lorena (†21) starb – er hat einiges bewegt. Angehörige von Opfern haben danach dafür gekämpft, dass der Raserartikel im Gesetz verankert wird. Doch jetzt fliegt er wieder raus. Lorenas Mutter kann es nicht glauben.
Publiziert: 16.06.2022 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2022 um 06:34 Uhr
Ralph Donghi (Text und Fotos)

Es sind bald 14 Jahre her, dass Lorena W.* (†21) bei einem der schlimmsten Raserunfälle der Schweiz starb. Drei junge Männer hatten sich am 8. November 2008 in Schönenwerd SO ein Rennen geliefert. Der vorderste Raser (18) im schwarzen Audi knallte schliesslich innerorts mit über 100 km/h in den korrekt abbiegenden roten Golf, in dem Lorena sass.

Ihre Mutter Brigitte W.* (57) erduldete daraufhin nicht nur das langwierige Strafverfahren gegen die Raser, sondern kämpfte mit anderen Angehörigen von Raseropfern auch noch für ein schärferes Gesetz. Mit Erfolg: Im Rahmen des Verkehrssicherheitspakets «Via sicura» wurde 2013 der Raserartikel eingeführt. Dies, um Tempo-Exzesse härter zu bestrafen.

Nicht mehr zwingend ein Jahr Knast

Doch kürzlich hatte nach dem Nationalrat auch der Ständerat entschieden, dass die Mindeststrafen für Raser gesenkt werden. Heisst unter anderem: Raser kriegen künftig nicht mehr zwingend eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Je nach Fall und Ermessen des Richters sind auch wieder reine Geldstrafen möglich.

Brigitte W. (57) zeigt Blick ein Bild von ihrer verstorbenen Tochter Lorena (†21).
Foto: Ralph Donghi
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«Ich kann es fast nicht glauben», sagt Brigitte W. zu Blick. «Jahrelang kämpft man für etwas, und jetzt wird alles, was mal im Gesetz verankert und verbessert wurde, einfach so wieder weggeworfen. Das verschlimmert das Ganze nur wieder!»

Die Raser zeigten keine Reue

Die Tortur von Brigitte W. begann am Todestag ihrer Tochter. «Ich hatte etwa zwei Stunden, nachdem sie getötet wurde, daheim von der Polizei von Lorenas Tod erfahren», sagt sie. «Das war ein Schock.» Sie habe das lange gar nicht richtig verstehen können. «Es ist ein Tag, den man nie vergisst. Das ganze Leben verändert sich.»

Vor allem das Strafverfahren war für Brigitte W. «eine schwierige Zeit», wie sie sagt. «Weil man nie zur Ruhe kommt.» Sie habe den Tod von Lorena gar nicht verarbeiten können, «weil es ein etwa zehnjähriger Prozess war». Die Raser zeigten dabei keine Reue.

Mutter denkt jeden Tag an Lorena

Besonders schmerzhaft, so Brigitte W.: «Die Raser zogen die Urteile immer weiter.» Bis vor Bundesgericht. Die beiden Mitbeschuldigten kassierten am Ende je ein Jahr Gefängnis unbedingt, der Hauptbeschuldigte sechs Jahre.

Heute sind alle drei Raser längst wieder frei und fahren teils auch wieder Auto. «Es ist nicht in Ordnung, dass die Schuldigen machen können, was sie wollen», sagt Brigitte W. Gleichzeitig sei Lorena gestorben, unschuldig. «Sie ging gesund aus dem Haus und kam im Sarg retour.» Es vergehe kein Tag, an dem sie nicht an sie denke.

Keine Wünsche mehr an Politiker

Die Gefühle gegenüber den Rasern blendet Brigitte W. aus. «Die Trauer um Lorena ist immer noch viel grösser.» Aber klar, wie mit Rasern umgegangen werde, «kann ich nicht verstehen». Vor allem jetzt, da der Raserartikel wieder gekippt werde. Sie fragt: «Wieso soll man Leute schützen, die mit 100 km/h durchs Dorf fahren?»

Der Entscheid der Politiker hat Brigitte W. «Kraft genommen». Man fühle sich als Angehörige eines Raseropfers nicht ernst genommen. «Dabei kann jeder bei einem Raserunfall ein Kind verlieren oder selber zu Schaden kommen.»

Wünsche an die Politiker hat Brigitte W. inzwischen keine mehr. Sie weiss jetzt: «Die würden eh nicht in Erfüllung gehen.»

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