Wegen Homeoffice fehlen bei ihnen die Kunden
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Wäscherei und Coiffeur-Salon:Wegen Homeoffice fehlen bei ihnen die Kunden

Wäschereien, Restaurants und Coiffeuren geht die Arbeit aus
Das sind die Homeoffice-Verlierer

Die neuen Arbeitsmodelle sind für sie geschäftsschädigend. Ein Coiffeur, eine Wäscherei-Betreiberin eine Kantinen-Chefin haben nur einen Wunsch: Schluss mit Homeoffice!
Publiziert: 10.07.2022 um 09:31 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2022 um 14:55 Uhr
Peter Aeschlimann

Eigentlich mag Iryna Kutalo (41) den Sommer. Steigen die Temperaturen, macht sie mehr Umsatz in ihrer Wäscherei. Wer schwitzt, benötigt täglich ein frisches Hemd oder eine frische Bluse. Doch bei Lavandiryna im Berner Weissenbühlquartier bleibt in diesem Juli die Ladenglocke allzu oft stumm.

Das hat mit veränderten Arbeitsgewohnheiten zu tun, dem viel beschworenen «neuen Normal», oder kurz: mit dem Homeoffice. Dass viele Firmen ihren Mitarbeitenden auch künftig die Wahl lassen, von wo aus sie ihre Arbeit erledigen, spürt Kutalo im Portemonnaie. «Heute tragen die Leute während des virtuellen Meetings ein T-Shirt und vielleicht eine Unterhose», sagt die gebürtige Ukrainerin. «Natürlich ist das schlecht fürs Geschäft.»

Über der Textilpflegebranche tobt gerade ein Sturm. Ein Fünftel weniger Aufträge als vor der Pandemie ist das eine, massiv höhere Kosten aufgrund des Kriegs in Europa das andere. Strom und Kleiderbügel kosten das Doppelte. Es seien jetzt Effizienz und Kreativität gefragt, heisst es beim Verband. Kutalo arbeitet viel, bügelt von Hand. Sie sagt, sie bringe jeden Flecken raus. «So komme ich über die Runden.» Am meisten hofft Iryna Kutalo aber, dass ihren Kundinnen und Kunden das Homeoffice bald verleidet.

Iryna Kutalo betreibt in Bern eine Wäscherei. Sie sagt: «Homeoffice ist schlecht fürs Geschäft.»
Foto: Nathalie Taiana
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Hört man sich bei den Arbeitgebern um, wird das so schnell nicht passieren. Man könne das Rad nicht zurückdrehen, lautet der Tenor. In einer Umfrage äusserten im Februar 2021 nur zwölf Prozent der Befragten den Wunsch, künftig wieder ausschliesslich im Büro arbeiten zu wollen. Gemäss Bundesamt für Statistik leisteten im ersten Quartal 2022 knapp 41 Prozent der Arbeitnehmenden gelegentlich Heimarbeit. Im Kampf um die begehrten Fachkräfte müssen Chefs immer mehr bieten. Homeoffice gehört da zweifellos dazu.

Postapokalyptische Stimmung im Industriequartier

Vor der Pandemie pulsierte im Zürcher Geschäftszentrum Puls 5 das Leben. Heute wähnt man sich auf dem Set eines Weltuntergangsstreifens. Von irgendwoher dudelt eine Melodie aus einem Lautsprecher, ansonsten ist es gespenstisch still in der riesigen Halle. Weit und breit ist keine Menschenseele auszumachen.

Diar Dillmann (45) steht vor seinem Coiffeurgeschäft K5 und blickt ins Leere. Die Wäscherei, die jeweils seine weissen Hemden wusch und bügelte, machte bereits im Herbst 2020 Konkurs, der Edelimbiss Hitzberger vis-à-vis im letzten Sommer. Und auch der kleine Coop hat aufgehört, über Mittag warme Mahlzeiten zu verkaufen. Vergleicht Dillmann die Situation im Puls 5 mit jener von vor Corona, sagt er: «Es ist tatsächlich wie Tag und Nacht.»

Zu Dillmanns Stammkunden gehörten die Angestellten in den Bürotürmen im Kreis 5. Manche von ihnen hat er seit Ausbruch der Pandemie nie wieder gesehen. «Das macht mich traurig», sagt der Figaro. Während die Leute früher alle drei bis vier Wochen zum Haareschneiden kamen, vergehen heute zwischen zwei Terminen schon mal drei Monate. «In Zoom-Meetings benötigt man halt keine gut sitzende Frisur.» Es gebe Tage, sagt Dillmann, da komme seine Mitarbeiterin am Morgen in den Laden, obwohl im Reservationsbuch noch gähnende Leere herrscht. «Mein Umsatz ist um die Hälfte eingebrochen.»

Bleiben die Pendler zu Hause, hat das weitreichende Konsequenzen.Firmen, die von Büroangestellten lebten, bekommen ernsthafte Probleme. Dazu gehören neben den Wäschereien und den Friseurgeschäften auch Gastronomiebetriebe oder Hotels. Es ist das simple Gesetz der Marktwirtschaft: Sinkt die Nachfrage, schrumpft das Angebot. Das gilt auch für den ÖV. Auf den Fahrplanwechsel 2023 streichen die SBB ihr Pendlerangebot zusammen, zum Opfer fallen etwa mehrere Verbindungen zwischen Bern und Zürich.

Ohne Anreiz kommt niemand zurück

Inwiefern sich der Trend zum Homeoffice auf die Steuereinnahmen der Bürostandorte auswirken wird, lässt sich bloss erahnen. Weder in Bern noch in Zürich wollten die Steuerämter eine Prognose wagen. Anderswo läuten bereits die Alarmglocken. In New York (USA) etwa geben Angestellte heute pro Jahr im Schnitt 7000 Dollar in unmittelbarer Nähe des Büros aus. Vor der Pandemie war es rund das Doppelte. Eingeschränkte Öffnungszeiten und Ladenschliessungen sind Gift für die Attraktivität eines Standorts. Ein Teufelskreis, der auch Schweizer Businesszentren droht: Fehlt der Anreiz, kehrt niemand freiwillig ins Büro zurück. Wer also nicht wie Tesla-Milliardär Elon Musk seiner Belegschaft mit Entlassung drohen will, muss investieren.

Im Militär ist die wichtigste Person der Küchenchef. Dasselbe gilt für Unternehmen: Der beste CEO steht auf verlorenem Posten, wenn die Kantine bloss Tiefkühlkost auftischt. Auch die Liebe zum Büro geht durch den Magen. Hier setzt der grösste Kantinenbetreiber der Schweiz, die SV Group, an. «Damit die Leute zurück ins Büro kommen, braucht es ein gutes Angebot», sagt Yvonne Wicki, Leiterin Gemeinschaftsgastronomie bei der SV Group. 2019 hat der Caterer in seinen Mensen 39,5 Millionen Mahlzeiten serviert. 2021 waren es noch 17,5 Millionen.

Das Management der SV Group geht nicht davon aus, dass Büroangestellte bald wieder fünf Tage die Woche am Firmensitz arbeiten werden. Homeoffice ist eine Zäsur. «Es ist eine totale Disruption für unsere Branche, das ist klar», sagt Wicki. Ihre Rezepte, um im neuen Normal bestehen zu können: Mehr «unbemannte Konzepte» an schlecht besuchten Tagen, mehr Take-away und Delivery. Und vor allem mehr Daten: «In zehn Jahren wollen wir genau vorhersagen können, wie viel wir an einem Tag von einem Menü verkaufen können.»

Auf den Bildschirmen blinken Börsenkurse, ansonsten geht es in der Mitarbeiterkantine der Bank Julius Bär in Zürich-Altstetten analog zu und her. In der Küche bereitet Restaurantmanagerin Trudy Suter (61) mit ihrem Team einen Apéro vor. Vor Corona verpflegten sich an einem Freitag hier bis zu 700 Angestellte, jetzt sind es manchmal nur noch um die 200. Das mache die Planung anspruchsvoll und erhöhe das Foodwaste-Risiko, sagt Suter. «Verhungert ist aber noch nie jemand.»

Manchmal gibt es zu viele Hände in der Küche, manchmal zu wenige. «Wir sind abhängig von den Arbeitgebern», sagt SV-Group-Managerin Yvonne Wicki. «In Sachen Homeoffice befinden sich alle noch in einer Findungsphase.» Was die SV Group vom Arbeiten in den eigenen vier Wänden hält, macht ein Interview auf der Konzernwebsite schon heute klar. Titel: «Die Grenzen von Homeoffice als Dauerzustand.»

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