Der Fall Moestafa K. bringt die Schweiz an ihre Grenze
Diese vier Länder nutzen unsere Asyl-Politik aus

Der Schweiz machen vier Länder bei der Rückübernahme von abgewiesenen Asylsuchenden Probleme: Marokko, der Iran, Äthiopien und Algerien. Die Schweizer Politik hofft nun auf eine restriktivere Visa-Politik als Druckmittel.
Publiziert: 17.09.2019 um 22:22 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2019 um 13:26 Uhr
Flavio Razzino, Sermîn Faki

Es sind Fälle wie der von Moestafa K.* (27), an denen sich die Schweiz die Zähne ausbeisst. Seit 2016 hätte der Marokkaner nach einem erfolglosen Asylantrag die Schweiz verlassen müssen. Doch er blieb – und beging hier stattdessen mehrere Delikte. Der Asyl-Irrsinn gipfelte in einem versuchten Überfall im Dezember 2018. Da überfiel K. das Ladenbesitzer-Paar Rudolf Naef und Brigitte Peyer. Die beiden wurden verletzt. Jetzt ist K. untergetaucht. 

Ausweisen kann die Schweiz Moestafa K. nicht. Denn der Marokkaner hat keine Reisedokumente, und die Identifikation in Marokko dauert unverhältnismässig lange.

Auch der Algerier Moumen Z.* trieb es auf die Spitze

Marokko ist nicht das einzige Land, das der Schweiz auf diese Weise die Grenzen aufzeigt. Die gleichen Probleme bei der Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern haben wir auch mit Algerien, Äthiopien und dem Iran.

Moumen Z. bekam es wiederholt mit der Polizei zu tun. Ausschaffen kann man ihn trotzdem nicht.
Foto: Peter Gerber
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Einzelne abgewiesene Asylsuchende nutzen diese zerfahrene Situation schamlos aus. Auf die Spitze trieb es etwa der Algerier Moumen Z.* (31) (BLICK berichtete). 13 Vorstrafen hatte der Algerier bis 2017 auf dem Kerbholz. Schon vier Mal war sein Asylgesuch bis dahin abgelehnt worden. Trotzdem blieb er hartnäckig in der Schweiz. Seine Beschäftigungen: Einbrüche begehen und dafür im Gefängnis sitzen. 

Sonderflüge sind nicht möglich

Dabei hätte die Schweiz mit Algerien seit 2006 ein Rücknahmeabkommen. Doch bei der Umsetzung hapert es gewaltig. Waren es im August 2018 noch 182 abgewiesene Asylbewerber aus Algerien, die nicht zurückgeschafft werden konnten, sind es heute bereits 415.

Zur Verteidigung weist das Staatssekretariat für Migration (SEM) darauf hin, dass die Berechnungsmethode verändert wurde und die Zahlen nicht gut vergleichbar seien. Gerade im Vollzug nach Algerien komme man derzeit gut voran.

Wie Marokko verbietet auch Algerien Sonderflüge für Rückschaffungen. Dabei sind diese oft nötig. Dies, weil Asylbewerber sich oft mit aller Gewalt dagegen wehren – und auf Linienflügen zur Gefahr für andere Passagiere werden können.

Iran stellt keine Papiere aus

Ebenso verzwickt ist die Lage mit dem Iran. Zwar akzeptiert das Regime Zwangsrückführungen von abgewiesenen Iranern – dies aber nur, wenn sie einen Reisepass besitzen. Haben Asylsuchende diesen nicht mehr, kann die Schweiz nichts machen.

Denn der Iran stellt keine Ersatz-Reisepapiere für Personen aus, welche die Schweiz nicht freiwillig verlassen möchten. Auch Sonderflüge sind in den Iran nicht möglich. Gab es vergangenen August 102 Iraner, die trotz Wegweisungsentscheid nicht zurückgeschafft werden konnten, sind es laut aktuellen Zahlen des SEM derzeit 274.

Neues Abkommen mit Äthiopien

Beim vierten Land, Äthiopien, sieht es so aus: 354 Personen müssten die Schweiz bereits verlassen haben. Sie können aber ebenfalls nicht ausgeschafft werden. Im August 2018 waren es noch 326 Personen.

Immerhin hat die Schweiz mit Äthiopien seit 2018 ein Rückübernahmeabkommen. Dadurch hat bereits eine äthiopische Delegation in der Schweiz erste Identitätsbefragungen durchgeführt. In der Folge konnte die Schweiz mehrere Personen zwangsweise nach Äthiopien zurückführen. «Zuvor waren zwangsweise Rückführungen ohne gültige Reisedokumente nicht möglich», so das SEM zur bekannten Problematik.

Keine Visa, keine Entwicklungshilfe

Die Politik mag dem Asyl-Irrsinn nicht länger zuschauen. «Das ist unhaltbar», sagt FDP-Migrationsexperte Philipp Müller (67). SP-Nationalrat Angelo Barrile (43) meint ebenfalls: «Diese Situation ist ärgerlich.»

Nur: Was tun, um die bockenden Staaten auf Kurs zu bringen? Die Antwort der Politik lautet: Triff den Gegner da, wo es ihn am meisten schmerzt. «Unkooperative Staaten müssen abgestraft werden», fordert SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (40). Beispielsweise, indem man die Entwicklungshilfe sistiert. In Marokko etwa unterstützt die Schweiz eine Justizreform für die Gleichstellung der Geschlechter und finanziert ein Projekt für Kinder mit Behinderungen. «Oder man könnte den Eliten wie dem marokkanischen Königshaus die Einreise in die Schweiz verweigern.» Denn gerade die nordafrikanischen Eliten würden den Sommer gern in der Romandie verbringen, so Aeschi.

Schengen-Staaten machen vorwärts

FDP-Ständerat Müller unterstützt beide Forderungen: «Hier braucht es politischen Druck – und zwar gemeinsam mit unseren Schengen-Partnern.» Vielleicht tut sich schon bald etwas: Die Schengen-Staaten haben beschlossen, ab Februar 2020 die Visa-Regeln zu verschärfen. Visa-Gesuche aus unkooperativen Staaten sollen verzögert beantwortet und zudem teurer werden.

Im Inland ansetzen will derweil die Linke. «Der Staat muss sich darauf fokussieren zu verhindern, dass solche Leute überhaupt erst straffällig werden», so Barrile. Dazu gehörten würdige Lebensbedingungen für alle – auch für abgewiesene Asylsuchende.

Glücklich mit den Problem-Staaten ist auch Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (47) nicht. Doch er warnt vor Doppelmoral: «Aus unserer Sicht ist die Haltung von Marokko, dass sie straffällige Bürger nicht zurücknimmt, völkerrechtlich ebenso problematisch wie die Weigerung der Schweiz, Dschihad-Kämpfer mit Schweizer Pass aus Syrien oder dem Irak zurückzunehmen.»

Darum kann Moestafa K. nicht ausgeschafft werden

Es ist keine einfache Beziehung zwischen der Schweiz und Marokko, wenn es um Migrationsfragen geht. Marokko gehört nicht zu jenen 64 Ländern, mit denen die Schweiz Rücknahmeabkommen abgeschlossen hat.

Wenn Marokkaner, die keine gültigen Reisedokumente besitzen, die Schweiz verlassen müssen, gibt es dementsprechend regelmässig Probleme mit dem nordafrikanischen Staat. So auch bei Moestafa K.* (27).

«Ohne Identifikation der rückzuführenden Person durch deren mutmassliches Herkunftsland ist keine Rückführung möglich», sagt Rolf Kormann, Sprecher des Staatssekretariats für Migration, zu BLICK. Für mutmassliche marokkanische Staatsbürger wie K. erfolge die Identifikation via Fingerabdruckvergleich in Rabat. Bloss: «Das dauert unverhältnismässig lange», sagt er.

Immerhin: «Die Zusammenarbeit mit Marokko konnte dank regelmässiger Kontakte zwischen dem SEM und den für die Rückkehr zuständigen marokkanischen Behörden in den letzten Jahren verbessert werden.» 2018 konnten 63 identifizierte Marokkaner zwangsweise ausgeschafft werden. «Obwohl Marokko keine Sonderflüge erlaubt.»

Wie aber mit Fällen wie Moestafa K., die auch noch straffällig werden, in der Schweiz umgehen? «Personen mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid werden von der Sozialhilfe ausgeschlossen und erhalten nur noch Nothilfe», sagt Kormann. Zudem dürften Kantone Rayonverbote erteilen. Und es könne die ausländerrechtliche Administrativhaft angeordnet werden, falls entsprechende Haftgründe vorliegen. 

Häufig tauchen solche Personen aber einfach unter. «Im Idealfall reisen die Untergetauchten in ihren Heimatstaat zurück», sagt Kormann.   Flavio Razzino

* Name geändert

Es ist keine einfache Beziehung zwischen der Schweiz und Marokko, wenn es um Migrationsfragen geht. Marokko gehört nicht zu jenen 64 Ländern, mit denen die Schweiz Rücknahmeabkommen abgeschlossen hat.

Wenn Marokkaner, die keine gültigen Reisedokumente besitzen, die Schweiz verlassen müssen, gibt es dementsprechend regelmässig Probleme mit dem nordafrikanischen Staat. So auch bei Moestafa K.* (27).

«Ohne Identifikation der rückzuführenden Person durch deren mutmassliches Herkunftsland ist keine Rückführung möglich», sagt Rolf Kormann, Sprecher des Staatssekretariats für Migration, zu BLICK. Für mutmassliche marokkanische Staatsbürger wie K. erfolge die Identifikation via Fingerabdruckvergleich in Rabat. Bloss: «Das dauert unverhältnismässig lange», sagt er.

Immerhin: «Die Zusammenarbeit mit Marokko konnte dank regelmässiger Kontakte zwischen dem SEM und den für die Rückkehr zuständigen marokkanischen Behörden in den letzten Jahren verbessert werden.» 2018 konnten 63 identifizierte Marokkaner zwangsweise ausgeschafft werden. «Obwohl Marokko keine Sonderflüge erlaubt.»

Wie aber mit Fällen wie Moestafa K., die auch noch straffällig werden, in der Schweiz umgehen? «Personen mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid werden von der Sozialhilfe ausgeschlossen und erhalten nur noch Nothilfe», sagt Kormann. Zudem dürften Kantone Rayonverbote erteilen. Und es könne die ausländerrechtliche Administrativhaft angeordnet werden, falls entsprechende Haftgründe vorliegen. 

Häufig tauchen solche Personen aber einfach unter. «Im Idealfall reisen die Untergetauchten in ihren Heimatstaat zurück», sagt Kormann.   Flavio Razzino

* Name geändert

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