Armee besorgte Schutzmaterial für 900 Millionen
1000 Atemgeräte stehen nur herum

Interne Dokumente lassen erstmals abschätzen, wie viel das Militär für den Schutz gegen Covid-19 ausgab. Nicht alles findet Verwendung.
Publiziert: 27.09.2020 um 00:17 Uhr
Sven Ziegler

In der Pandemie ging die Angst um, dass der Staat zu wenig Schutzmaterial hat. Dann beauftragte der Bund die Armee mit der Beschaffung – und die Militärs haben mächtig zugegriffen!

Preislisten und Bestellmengen aus internen Armeedokumenten, die SonntagsBlick vorliegen, ­machen erstmals eine Schätzung der Beschaffungsausgaben möglich.
Gemäss einer Berechnung dürften sich die Kosten bislang auf rund 900 Millionen Franken belaufen. Pro Kopf wären es etwa 105 Franken. Das VBS will zu dieser Berechnung keine Stellung nehmen.

Ob die gigantische Beschaffungsaktion der Schweiz gerechtfertigt war, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Bei den Beatmungsgeräten wurde der Bedarf wohl überschätzt. Nach Rücksprache mit den Kantonen bestellte das VBS 1550 Beatmungsgeräte beim Schweizer Hersteller Hamilton. Viele davon stehen noch immer ungenutzt im Lager der Armeeapotheke.

Den Bedarf wohl überschätzt: Neue Beatmungsgeräte im Spital Basel.
Foto: Keystone
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Kantone wollen bestellte Maschinen nicht bezahlen

Jetzt haben die Streitkräfte ein Problem: Weil die Hospitali­sa­tionszahlen tief sind, wollen viele Kantone die Bestellungen nicht übernehmen. Von den 1550 Ge­räten befinden sich derzeit nur 501 Stück bei den Kan­tonen. Der Rest wurde entweder zurück­ge­geben, gar nicht genutzt oder ist noch in Auslie­ferung.

Das ist teuer. Für die überschüssigen Geräte hat das VBS fast 45 Millionen Franken bezahlt. Eine hohe Summe, die der Bund decken muss. Von der ursprünglichen Abmachung, dass die Kantone die bestellten Maschinen auch bezahlen, sind die Kantone weit abgerückt.

Einsatz für Spitäler nicht geeignet

Recherchen zeigen: Eine formelle Kaufpflicht besteht tatsächlich nicht. Zwischen den Kantonen und der Armee wurden keine schriftlichen Verträge abgeschlossen. Armeesprecher Daniel Reist bestätigt auf Anfrage: «In der Notlage zu Beginn der ­Covid-19-Krise ging es darum, rasch eine grosse Anzahl von Beatmungsgeräten zu beschaffen, um für allfällige Notsituationen mit ­einer grossen Anzahl an Intensivpflegepa­tienten vorbereitet zu sein. In dieser Situation hatte die Behebung der Notsituation Vorrang vor der administrativen Abwicklung.»

Die Kantone verteidigen ihr Vorgehen. Gegenüber SonntagsBlick machen sie geltend, die Hamilton-Maschinen seien kaum für den Einsatz in Spitälern geeignet. «Bei ­einem so komplexen Gerät und der Anwendung auf der Intensivmedizin ist es essenziell, dass sich das Personal auf eine gesicherte, geschulte Handhabung verlassen kann. Ein Mix von Gerätemodellen ist daher zu vermeiden und nur in einer Notlage zu vertreten», meldet etwa der Kanton Thurgau.

Kompatibel mit Nachtsichtgeräten

Der Kanton Aargau bestätigt: «Das Gerät ist kompatibel mit Nachtsichtgeräten (...) Diese Optionen sind aber teuer und werden im Spitalalltag nicht benötigt. Unsere Abklärungen haben ergeben, dass ein für den Spitalbetrieb optimales Gerät zu einem Stückpreis von rund 22'000 Franken beschafft werden kann.»
Zum Vergleich: Ein Hamilton-Gerät kostet die Kantone 30'000 Franken. Einige Kantone behalten die Geräte dennoch – allerdings nur für den Notfall.

Was mit dem Millionen-Überbestand passieren soll, ist unklar. Die Kantone können bei ­einer zweiten Welle auf die Armee­apotheke zurückgreifen. Sollten die Hospitalisations­zahlen nicht steigen, bliebe der Bund auf den Maschinen sitzen.

Aus Unterlagen geht hervor, dass die Geräte gespendet oder zu ­einem tieferen Preis verkauft werden könnten. Eine «noch nicht definierte Anzahl» Atem­geräte werde als Notvorrat in der ­Armeeapotheke bleiben, teilt das VBS mit.

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