Wegen Ski-Zoff mit den Nachbarländern
Berset fürchtete Imageschaden

Die Skigebiete dürfen in der Schweiz ohne Kapazitätsbeschränkungen offen bleiben. Die harsche Kritik aus dem Ausland am «Schweizer Weg» liess den Bundesrat nicht kalt, wie ein vertrauliches Papier nun zeigt. Bundesrat Alain Berset warnte vor einem Reputationsschaden.
Publiziert: 01.01.2021 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2021 um 21:48 Uhr
Ruedi Studer

«Alles fahrt Schi, Schi fahrt die ganzi Nation», trällerte Sänger Vico Torriani (†77) schon 1963. Trotz Corona-Pandemie gilt das Motto schon wieder in weiten Teil der Schweiz – so haben etwa gerade die Kantone St. Gallen, Obwalden, Nidwalden, Uri, Glarus oder die beiden Appenzell ihre Skigebiete wieder geöffnet. Andere Kantone wie beispielsweise Graubünden, Wallis oder Tessin haben sie gar nicht erst geschlossen.

Dabei war den temporären Ski-Lockdowns eine heftige Debatte vorausgegangen, als der Bundesrat Anfang Dezember sein Festtags-Massnahmenpaket schnürte. SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) liebäugelt damals mit schweizweiten Kapazitätsbeschränkungen auf den Skipisten, während andere Länder ihre Skigebiete ganz in den Lockdown schicken. Die liberale Ski-Politik sorgt im Ausland für Kritik.

Hier kann man noch Ski fahren
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Zoff um Winterorte:Hier kann man noch Ski fahren
Offene Skipisten in der Schweiz – das sorgte für Kritik im Ausland.
Foto: Keystone
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Doch Berset verteidigt den Schweizer Weg in der Öffentlichkeit. «Die Schweiz reagiert nicht auf Druck anderer Länder», betont Berset bei einem Besuch im Baselbiet.

Retorsionsmassnahmen möglich

Doch ganz so locker nimmt der SP-Mann die ausländische Kritik dann doch nicht, wie ein vertrauliches Aussprachepapier von Ende November zum Festtagspaket zeigt, welches BLICK vorliegt. «Die aussenpolitische Dimension ist mit Blick auf das weitere Vorgehen bezüglich Wintertourismus nicht zu unterschätzen», wendet Berset darin ein. Er fürchtete also einen Imageschaden.

Der Gesundheitsminister schliesst nicht aus, «dass Italien, Frankreich und Deutschland den politischen Druck insbesondere auf Österreich und gegebenenfalls auch auf die Schweiz erhöhen werden». Allenfalls könnten diese Länder sogar Retorsionsmassnahmen in Betracht ziehen. Berset verweist auch auf kritische Berichte in ausländischen Medien, welche die Schweiz bei einer Offenhaltung der Skigebiete als «Krisenprofiteurin» sowie als Risiko für die europaweite Verbreitung des Virus beschreiben würden.

Berset erinnert im Papier an seinen Vorschlag vom Sommer, den Wintersport mit den Nachbarländern zu koordinieren. Eine Idee, die er angesichts des Widerstands aus den betroffenen Tourismusgebieten wieder fallen liess. «Die Kantone und die betroffenen Branchen sahen keinen Mehrwert dieser Koordination, weshalb vonseiten des Bundes darauf verzichtet wurde», hält Berset mit leicht beleidigtem Unterton fest.

«Auf keinen Fall Werbung im Ausland»

Für den Schweizer Weg drängt Berset Anfang Dezember daher auf eine Bewilligungspflicht und Kapazitätsbeschränkungen, um im Ausland ein besseres Bild abzugeben. Mit national einheitlichen und streng kontrollierten Massnahmen sollten nämlich nicht nur die Fallzahlen gesenkt, sondern «gleichzeitig auch verhindert werden, dass die Schweiz als Tourismusstandort einen Reputationsschaden erleidet, wenn Bilder mit unkontrollierten Menschenansammlungen öffentlich werden oder sich das Infektionsgeschehen in Wintersportorten beschleunigt und Gäste das Virus wieder in ihre Wohnorte zurücktragen», heisst es im Papier.

Die Verschärfungen hätten einzig zum Ziel, dass Schweizer Gäste über die Festtage Wintersport betreiben könnten, betont Berset. Er mahnt auch die Tourismus-Manager: «Auf keinen Fall soll Werbung im Ausland gemacht werden und ausländische Gäste angelockt werden.» Und sollten die Nachbarländer Massnahmen – wie etwa Quarantäneregeln – treffen, um die Attraktivität von Reisen in die Schweiz zu mindern, soll in den Diskussionen mit den Nachbarländern «Verständnis geäussert werden».

Cassis schaltet sich ein

Ein Steilpass für das Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (59). Auch der Tessiner befürchtet die Beeinträchtigung der gutnachbarlichen Beziehungen. Er pocht in der Ämterkonsultation deshalb darauf, dass der Ski-Entscheid mit einer «rechtzeitigen Kommunikation seitens der Schweiz» begleitet wird. Wobei sein Generalsekretariat auch gleich beantragt, dass das Aussendepartement die Bundesratsbeschlüsse den «relevanten Ländern» kommunizieren soll. Das heisst: Cassis will die Wogen im Skizoff höchstpersönlich glätten.

Doch auch das Staatssekretariat für Migration mahnt zur Rücksichtnahme. «Bei der Umsetzung der Kapazitätsbeschränkungen darf es indes keine Ungleichbehandlung zwischen Touristen aus dem In- und EU-Ausland geben», fordert das SEM in der Ämterkonsultation. Die neuen Regelungen dürften keine Auswirkungen auf das geltende Einreise-Regime haben, so die Erwartung. So sollten «insbesondere keine vorgelagerten Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt werden».

Bersets Ausländer-Appell

Berset dringt im Gesamtbundesrat schliesslich nicht vollends durch – von Kapazitätsbeschränkungen auf den Skipisten wollte die Mehrheit seiner Gspänli nichts wissen.

So findet er schliesslich einen anderen Weg, um die europäischen Nachbarn etwas zu besänftigen. Mit einem eindringlichen Appell: «Kommt nicht zu uns Ski fahren, liebe europäischen Freunde!» Die bestehenden Kapazitäten seien dieses Jahr für die Schweizer Wintersportler reserviert.

Ein Appell, der bei vielen Ausländern – auch mit dem neuen Mutanten-Virus infizierten Briten – allerdings ungehört verhallt.

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