Streit um Aufhebung der Verjährung
Linke zeigen Gnade für Mörder

Mord soll in der Schweiz nicht mehr verjähren. Dagegen wehren sich die Linken: Mord soll weiterhin nach 30 Jahren verjähren. Die SVP fordert hingegen eine noch strengere Auslegung des Gesetzes.
Publiziert: 17.04.2024 um 12:55 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2024 um 21:26 Uhr

Sommer 1982: Brigitte Meier (†17) und Karin Gattiker (†15) brachen zu einer Velotour durch die Ostschweiz auf. Doch zurück würden sie nie kommen. Am 31. Juli verschwanden sie spurlos. Neun Wochen später wurden sie tot in einer Kristallhöhle in Kobelwald SG aufgefunden. Bis heute ist der Fall ungelöst. Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt, nur eine Interessengemeinschaft ermittelt noch auf eigene Faust.

Die Chancen auf Erfolg sind klein. Die Polizei hat das Beweismaterial vernichtet – weil Mordverbrechen nach 30 Jahren verjähren. Auf Antrag des Kantons St. Gallen wollen Rechtspolitiker des Ständerats das jetzt ändern. Bis Dienstag konnten sich die Parteien und Kantone dazu äussern.

Linke finden: Mord soll nach 30 Jahren weiterhin verjähren

Dem links-grünen Lager geht die Revision gegen den Strich. Sie wollen Morddelikte wie bisher nach 30 Jahren verjähren lassen. Die Verjährung diene der «Wahrung von sozialem Frieden» und sei förderlich für den Trauerprozess der Angehörigen, schreiben die Grünen in ihrer Vernehmlassungsantwort.

An dieser Kreuzung im St. Galler Rheintal wurden sie das letzte Mal gesehen. Der Täter wurde noch immer nicht gefunden. Nur einige Anwohner ermitteln noch auf eigene Faust. Der Fall ist verjährt.
Foto: Andrea Brunner
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Auch die SP argumentiert gegen den Entwurf. Die Beweislage könne im Laufe der Zeit dünner werden und damit das Risiko eines Irrtums erhöhen. Ausserdem könnten Ermittlungen nach so langer Zeit mehrere Personen betreffen und diese psychisch belasten.

Faktor DNA-Analyse

Die andere Seite des politischen Spektrums schlägt einen ganz anderen Ton an. Morde sollten auch unverjährbar sein, wenn sie von Minderjährigen begangen wurden, fordert die SVP in ihrer Vernehmlassungsantwort. Das ist im Entwurf nicht vorgesehen. Schon heute seien Straftaten wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch bei minderjährigen Tätern unverjährbar.

Was wann verjährt?

Je schwerer eine Straftat ist, desto länger dauert es, bis sie verjährt. Wer zum Beispiel unrechtmässig Leistungen einer Sozialversicherung oder Sozialhilfe bezieht und dabei nicht erwischt wird, kann sich erst nach sieben Jahren sicher sein, ungeschoren davonzukommen. Dann ist die Tat verjährt. Wer fahrlässig eine Feuersbrunst verursacht oder ein Tätigkeitsverbot missachtet, kann ebenfalls bis zu sieben Jahre lang dafür belangt werden.

Eine Verjährungsfrist von zehn Jahren gilt für jemanden, der wider besseres Wissens grundlos einen Feuerwehralarm auslöst oder auch Kindern unter 16 Jahren alkoholische Getränke in Mengen anbietet, die deren Gesundheit gefährden kann. Und wer bei unmittelbarer Lebensgefahr keine Nothilfe leistet, obwohl dies zumutbar ist, fällt unter die Zehnjahresfrist.

Mit einer Verjährungsfrist von 15 Jahren hat zu rechnen, wer jemandem aus selbstsüchtigen Beweggründen bei Selbstmord Hilfe leistet. Auch jemand, der einen Menschen in skrupelloser Weise unmittelbar und absichtlich in Lebensgefahr bringt oder Wertsachen klaut, kann bis zu 15 Jahre lang dafür büssen müssen.

Nur Schwerstverbrechen wie, bis jetzt noch, Mord oder Geiselnahmen in besonders schweren Fällen, verjähren erst nach 30 Jahren. (zac)

Je schwerer eine Straftat ist, desto länger dauert es, bis sie verjährt. Wer zum Beispiel unrechtmässig Leistungen einer Sozialversicherung oder Sozialhilfe bezieht und dabei nicht erwischt wird, kann sich erst nach sieben Jahren sicher sein, ungeschoren davonzukommen. Dann ist die Tat verjährt. Wer fahrlässig eine Feuersbrunst verursacht oder ein Tätigkeitsverbot missachtet, kann ebenfalls bis zu sieben Jahre lang dafür belangt werden.

Eine Verjährungsfrist von zehn Jahren gilt für jemanden, der wider besseres Wissens grundlos einen Feuerwehralarm auslöst oder auch Kindern unter 16 Jahren alkoholische Getränke in Mengen anbietet, die deren Gesundheit gefährden kann. Und wer bei unmittelbarer Lebensgefahr keine Nothilfe leistet, obwohl dies zumutbar ist, fällt unter die Zehnjahresfrist.

Mit einer Verjährungsfrist von 15 Jahren hat zu rechnen, wer jemandem aus selbstsüchtigen Beweggründen bei Selbstmord Hilfe leistet. Auch jemand, der einen Menschen in skrupelloser Weise unmittelbar und absichtlich in Lebensgefahr bringt oder Wertsachen klaut, kann bis zu 15 Jahre lang dafür büssen müssen.

Nur Schwerstverbrechen wie, bis jetzt noch, Mord oder Geiselnahmen in besonders schweren Fällen, verjähren erst nach 30 Jahren. (zac)

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Die FDP unterstützt die Vorlage und verweist auf technologische Fortschritte, die Ermittlungserfolge auch nach langer Zeit noch möglich machen. Etwa mit DNA-Analysen, die in der Schweiz seit August des vergangenen Jahres erlaubt sind. Diese haben der Polizei Dortmund (D) kürzlich zu einem Durchbruch verholfen. Eine Festnahme gelang ganze 33 Jahre nach einem Mordfall, dank DNA-Spuren an einem Klebeband.

Streitpunkt zwischen Kantonen

Auch bei den Kantonen gibt es unterschiedliche Ansichten. Während der Kanton Bern den Entwurf unterstützt und zudem fordert, man solle zusätzlich die Verjährungsfristen von allen schweren Verbrechen prüfen, warnt der Kanton Aargau: Mit der Unverjährbarkeit würden falsche Erwartungen geschürt, dass ein Fall nach so langer Zeit ohne Erfolg doch noch geklärt wird. Und Basel-Landschaft gibt zu bedenken, dass das Vergeltungsbedürfnis mit der Zeit abnehme.

Das dürften einige St. Galler anders sehen. Bis heute würden sich einige Frauen in den Dörfern fürchten, dass der Täter noch unter ihnen sei, sagte der deutsche Fallanalytiker Axel Petermann zur «NZZ». Er hatte im Fall ermittelt und darüber ein Buch geschrieben. Eine Änderung des Gesetzes würde im Kristallhöhlenfall zwar nicht mehr helfen – schon verjährte Fälle würden nicht mehr rückwirkend aufgerollt. Trotzdem wünschen sich viele Anwohner abschliessende Gewissheit. An einer Buchlesung von Petermann vor zwei Jahren herrschte Einigkeit, wie der «Rheintaler» berichtete: Ohne Aufklärung werde es nie Ruhe geben.

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