SP-Co-Chef Cédric Wermuth zur Juso-Initiative
«Einige wenige sind einfach verdammt reich geworden»

Kapitaleinkommen soll stärker besteuert werden, das fordert die 99-Prozent-Initiative der Juso. Diese ist ganz nach dem Gusto von SP-Co-Chef Cédric Wermuth. Er will Reiche stärker zur Kasse bitten.
Publiziert: 14.09.2021 um 10:20 Uhr
Interview: Ruedi Studer

«Nicht ganz 100» – mit diesem Slogan bekämpft ein bürgerliches Komitee die 99-Prozent-Initiative der Juso, über die das Stimmvolk am 26. September entscheidet. Die SP unterstützt die Kampagne ihrer Jungpartei mit 60'000 Franken, wie SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35) gegenüber Blick erklärt. Im Interview nimmt der Aargauer die Superreichen ins Visier.

Blick: Herr Wermuth, sind Sie nicht ganz 100?
Cédric Wermuth: (lacht) Ja, das stimmt! Wir gehören zu den 99 Prozent der Bevölkerung, die in den letzten Jahren viel zu wenig vom wirtschaftlichen Erfolg in diesem Land profitiert haben. Die Ungleichheit nimmt zu. Die Mieten oder Krankenkassenprämien steigen, die Renten sind unter Druck, die Löhne stagnieren – den Menschen bleibt weniger im Portemonnaie. Auf der anderen Seite explodieren die Vermögen weniger Reicher. Wir machen Politik für das Volk, dessen grosse Mehrheit von Lohn oder Rente lebt – nicht von Kapitaleinkommen.

Es ist doch plump, immer auf den bösen Reichen herumzuhacken. Ist Reichtum für Sie ein Verbrechen?
Nein, Reichtum ist kein Verbrechen. Tatsächlich ein Verbrechen ist aber der Klassenkampf von oben, der seit Jahrzehnten läuft. Diesen Klassenkampf wollen wir beenden. Er ist ein Verbrechen an der gesellschaftlichen Solidarität. Und ein Verbrechen am Recht der Lohn- und Rentenbezüger, gerecht am Wohlstand teilzuhaben. Dieser wurde gemeinsam erarbeitet – und nicht von ein paar Gucci- und Prada-Managern, die sich übermässig bereichern.

2019 reichten die Juso ihre 99-Prozent-Initiative ein. Auch Cédric Wermuth war damals mit dabei.
Foto: Keystone
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Sie jammern auf hohem Niveau! Den Menschen geht es in der Schweiz gut.
Fakt ist: In der Schweiz ist immer mehr der Dumme, wer sein Geld noch mit Arbeiten verdient. Die Rechten haben das System so umgebaut, dass vor allem jene profitieren, die davon leben, dass andere für ihren Profit arbeiten. Wirtschaftspolitisch sind die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, Mitte und GLP an der kurzen Leine der Grosskonzerne. Sie lesen ihnen die Steuerwünsche von den Lippen ab.

Sie übertreiben!
Jahrelang haben sie im Bund und den Kantonen Steuergeschenke verteilt, statt zu investieren. Mit der Folge, dass wir heute zu wenig Pflegepersonal haben, die Poststellen abgebaut werden, die Krippenplätze fehlen und die Krankenkassenprämien kaum mehr tragbar sind. Beteiligen sich die Kapitaleinkommen nur ein bisschen mehr an der Finanzierung öffentlicher Leistungen, wird das Leben für alle verbessert.

Wir haben bereits ein austariertes Steuersystem. Und die direkte Bundessteuer ist eine Umverteilungsmaschinerie!
Gerade die direkte Bundessteuer zeigt doch, wie ungleich die Einkommen und Vermögen verteilt sind. Mit der 99-Prozent-Initiative können wir die Ungleichheit ein wenig reduzieren.

Selbst wenn man über Lücken im Steuersystem diskutieren kann, verfolgen Sie einen falschen Ansatz: Sie schaffen mit dem 150-Prozent-Satz eine neue Ungerechtigkeit.
Die Verfassung fordert eine Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.

Die haben wir schon mit der Progression.
Seit gut 30 Jahren wird das Kapital praktisch im Jahresrhythmus von Steuern entlastet. Die Verfassung ist längstens krass verletzt. Das zeigt auch, wer in diesem Land noch wichtig ist: Die Konzern-Zentralen haben das Sagen, nicht mehr die Menschen. Das geht nicht. Nehmen Sie zum Beispiel die Teilbesteuerung der Dividenden – warum zahlen die weniger Steuern als jemand, der einen normalen Lohn hat?

Das gilt vor allem für Familienunternehmen, wenn ein Aktionär mehr als zehn Prozent hält.
Es gibt keinen Grund, Dividendeneinkommen tiefer zu besteuern als Lohneinkommen. Zudem kennt die Schweiz nicht mal eine Kapitalgewinnsteuer.

Dafür eine Vermögenssteuer, die es in vielen anderen Ländern nicht gibt.
Und trotzdem explodieren die Vermögen ganz oben. Ich bin jetzt seit zwei Jahren in der Wirtschaftskommission. Das Ziel der Rechten ist klar und übrigens auch offen deklariert: Kapital und Konzerne sollen praktisch von allen Steuern befreit werden. Steuern zahlen soll man noch auf Einkommen und auf den Konsum. Wir müssen gerade schon wieder ein unsinniges Steuergeschenk mit einem Referendum bekämpfen. Auch die Streichung der Stempelsteuer entlastet nur den Finanzplatz und die Grosskonzerne. Wir wollen, dass endlich wieder die Menschen im Zentrum der Politik stehen.

Cédric Wermuth

Der Aargauer Cédric Wermuth (35) stieg 1999 beiden Jungsozialisten ein, deren Präsident er 2008 wurde. 2009 zog er ins Badener Stadtparlament ein, 2011 in den Nationalrat. Seit dem 17. Oktober 2020 ist er Co-Präsident der SP Schweiz. Er studierte Politologie und arbeitet für eine Kampagnenagentur. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt in Zofingen AG.

Der Aargauer Cédric Wermuth (35) stieg 1999 beiden Jungsozialisten ein, deren Präsident er 2008 wurde. 2009 zog er ins Badener Stadtparlament ein, 2011 in den Nationalrat. Seit dem 17. Oktober 2020 ist er Co-Präsident der SP Schweiz. Er studierte Politologie und arbeitet für eine Kampagnenagentur. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt in Zofingen AG.

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Die Juso-Initiative trifft aber nicht nur die Reichen. Nehmen wir einen Hausbesitzer, der nach zwei Jahrzehnten seine Immobilie mit Gewinn verkauft. Mit der Initiative werden da viele abgestraft.
Die werden doch nicht bestraft. Die Initianten schlagen einen Schwellenwert von 100'000 Franken Kapitaleinkommen vor. Wenn wir von einer Rendite von circa drei Prozent ausgehen, muss man dafür also rund drei Millionen Franken Vermögen haben. Wenn man das erreicht, kann man auch ein paar Franken Steuern mehr verkraften. Die Initiative trifft nur knapp 80'000 Personen in der Schweiz, also fast genau ein Prozent der Bevölkerung. Eine kleine, privilegierte Schicht von Superreichen. Denen tut die Initiative doch nicht weh.

Aber den Familienbetrieben, deren Aktionäre vom Dividendeneinkommen leben. Erst recht, wenn die Nachfolgeregelung ansteht.
Der Gewerbeverband ist heute leider völlig unter der Fuchtel der grossen Wirtschaftslobbys. Für die KMU kämpft da zumindest keiner mehr. Eine Nachfolgeregelung ist in erster Linie eine Veränderung der Besitzverhältnisse, das hat mit der Besteuerung der Kapitaleinkommen zuerst einmal nichts zu tun.

Doch, wenn die Nachfolge für die Betriebsübernahme Schulden machen und abstottern muss. Dafür braucht sie Kapitalertrag.
Jedes Mal, wenn wir ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit verlangen, kommen die Rechten mit dem KMU-Hammer. Die Mehrheit der KMU zahlt hierzulande keine Gewinnsteuer, hat also gar keine grossen Kapitaleinkommen, die sie an die Eigner ausschütten kann. Von der Initiative sind nur wenige Grosse betroffen. Es will ja niemand Kapitaleinkommen verbieten. Wir wollen nur, dass auch diese Leute ihren gerechten Beitrag zu den gemeinsamen Aufgaben leisten.

Einmal mehr will die Linke also der Familie Blocher ans Portemonnaie.
Die Familie Blocher interessiert mich nicht. Die Juso-Initiative ist völlig pragmatisch: Einige wenige sind in den letzten Jahren einfach verdammt reich geworden. Auf Kosten von uns allen. Zu viel Kapital in wenigen Händen landet oft in der Spekulation, das führt zu Krisen und belastet die Kaufkraft der Mehrheit. Jene, die betroffen sind von der Initiative, merken nicht mal, wenn sich hinter der Kommastelle ihrer Finanzbuchhaltung etwas verändert.

Ein Spiel mit dem Feuer: Wenn bewegliches Kapital ins Ausland abfliesst, schadet dies dem Wirtschaftsstandort. Am Schluss bleibt weniger für alle.
Hören Sie doch auf damit! Wir müssen uns fragen, was wir uns vom Kapital noch alles bieten lassen. Jedes Mal, wenn es um einen Mindestlohn, Armutsbekämpfung oder einen Ausbau des Sozialstaats geht, drohen die Reichen mit Kapitalabzug und Wirtschaftskrise. Ein paar wenige erpressen das Volk und die Demokratie. Die führen sich auf wie früher Kaiser und Könige und meinen, sich jedes Privileg einfach herausnehmen zu können. Davon dürfen wir uns nicht weiter einschüchtern lassen. Wer seinen Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft nicht leisten will, soll halt gehen. Ich helfe sogar die Koffer tragen. Tatsächlich werden die wenigsten gehen. Die Lebensqualität in der Schweiz ist einzigartig.

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