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Politik will Parallelimporte zulassen
Kommen nach den Fake-Masken die Schummel-Pillen?

Das Parlament will Parallelimporte von Medikamenten aus dem Ausland ermöglichen – um die Preise in der Schweiz zu senken. Die Pharmaindustrie warnt vor Missbrauchspotenzial. Eine Drohkulisse, finden die Befürworter der Parallelimporte.
Publiziert: 10.04.2021 um 15:22 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2021 um 16:40 Uhr
Gianna Blum

Verschimmelte Ware, gefälschte Zertifikate und überrissene Preise: Die Corona-Krise haben so einige ausgenutzt, um mit Masken sehr viel Geld zu machen – teilweise auch mit unsauberen Mitteln. In der Kritik stehen auch zwei Jungunternehmer von Emix. In diesem Zusammenhang läuft eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt, wie die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb.

Die Pharmaindustrie warnt nun vehement davor, dass ähnliches bei den Medikamenten drohe. Bislang waren die Regeln bei Importen strenger: Jedes Medikament, das auf dem Schweizer Markt vertrieben wird, braucht eine Zulassung durch die Heilmittelbehörde Swissmedic. Doch in der Frühlingssession hat der Nationalrat einen Vorstoss von Philippe Nantermod (36, VS) durchgewunken, der Parallelimporte fordert. Konkret: Medikamente, die schon im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zugelassen sind, sollen ohne weitere Hürde verkauft werden dürfen. Das würden die Preise senken, so der FDP-Nationalrat.

Nantermod macht sich Feinde

Zum Teil sind solche Importe schon heute möglich – etwa mit einer vereinfachten Zulassung, wenn das Patent abgelaufen ist. Doch mit dem Vorstoss Nantermod würde Swissmedic faktisch umgangen werden, warnt der Verband der forschenden Pharmaindustrie, Interpharma. «Das würde Fälschungen Tür und Tor öffnen», sagt Geschäftsführer René Buholzer. Gefälschte Medikamente, die es im EWR-Raum immer wieder gebe, würden so viel leichter auf den Schweizer Markt kommen – was Patientinnen und Patienten gefährde. Dazu kommt: «Ein Rückruf von fehlerhaften Medikamenten wäre nicht möglich, da niemand mehr die Marktübersicht hat und es keine Verantwortlichen in der Schweiz gibt.»

FDP-Nationalrat Philippe Nantermod hatte im Nationalrat mit einem Vorstoss Erfolg, wonach Parallelimporte von Medikamenten zugelassen werden sollen.
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Doch die Pharma warnt nicht nur vor Schummel-Pillen. Wie im Fall der Masken auch deutlich wurde, ist die Versorgung im Notfall schwierig, wenn es keine inländische Produktion gibt. Der Verband Vips, in dem sich die in der Schweiz stationierten Pharmafirmen versammeln, macht sich zudem Sorgen um die Versorgungssicherheit. Denn für hier ansässige Firmen, die sich um die Grundversorgung kümmern, würde es schwieriger, sich im Markt zu halten. Parallelimporteure würden die Preisunterschiede vor allem nutzen, um selbst Gewinnmargen herauszuholen, so der Vips. Und sie würden auch wieder abspringen, sobald sich das Geschäft nicht mehr lohnt. Es gehe nicht an, darüber zu diskutieren, die Produktion wieder in die Schweiz zu holen und gleichzeitig Schweizer Firmen zu «bestrafen».

Schweiz als Hochpreisinsel

Trotz des pharmazeutischen Gegenwinds: Nantermods Vorschlag hat durchaus Freunde – nicht nur bei den Freisinnigen. «Ich bin überzeugt, dass die Vorteile bei den Preisen überwiegen», sagt Flavia Wasserfallen (42), SP-Nationalrätin und die Präsidentin des Verbands der Patientenstellen. Im Vergleich zum Ausland seien die Medikamentenpreise in der Schweiz zu hoch, vor allem bei Generika, also Nachahmerprodukten von Originalpräparaten. Dass gefälschte Medikamente mitimportiert werden könnten, hält Wasserfallen für «eine Drohkulisse», auch wenn man bei einer allfälligen Umsetzung ein Auge darauf haben müsse.

Auch Preisüberwacher Stefan Meierhans (52) ist Parallelimporten nicht abgeneigt. Es sei nicht einsehbar, warum der Schweizer Markt speziell geschützt werden soll, findet er. «Wenn mehr Wettbewerb zugelassen wird, könnte die Schweizer Bevölkerung davon profitieren», sagt er zu Blick. «Schliesslich würden nicht irgendwelche Pillen importiert, sondern solche, die im EWR-Raum bereits zugelassen sind.»

Streit um Kostendämpfung

Allerdings: Uneingeschränkt hinter Nantermods Vorschlag steht Meierhans nicht. «Die Erwartungen sind möglicherweise zu hoch», sagt der Preisüberwacher. Und er verweist darauf, dass Parallelimporte zwischen verschiedenen EU-Ländern heute schon möglich sind. Grosse Preisunterschiede gebe es dort trotzdem.

Damit Herr und Frau Schweizer weniger für ihre Medikamente bezahlen, sei ein Referenzpreissystem effektiver. «Das halte ich immer noch für die beste Lösung, um bei den Medikamenten die Kosten zu dämpfen», sagt er. Ein solches System wollte der Bundesrat eigentlich bei den Generika einführen, die in der Schweiz im Schnitt doppelt so teuer sind wie im Ausland: Die Krankenkassen würden nur noch das preisgünstigste Medikament bezahlen.

Das hat der Nationalrat aber abgelehnt. Stattdessen will er Anreize schaffen, um mehr Generika auf den Markt zu bringen und bei diesen die Parallelimporte zu vereinfachen. Wie sich der Ständerat positioniert, ist noch offen. Schon bald wird sich die ständerätliche Gesundheitskommission dem Thema widmen. So oder so: Die Diskussion wird das Parlament noch einige Zeit beschäftigen.

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