GLP-Präsident Jürg Grossen zu den Wahlen
«Rösti darf gern eine AKW-Diskussion starten»

Jürg Grossen wird zu den Siegern des Jahres 2023 gehören – seiner GLP werden am meisten Wählergewinne vorhergesagt. Im Blick-Interview äussert sich der Berner zu seinen Zielen, seinen Erwartungen an Bundesrat Albert Rösti und zur Europapolitik.
Publiziert: 09.01.2023 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 07:26 Uhr
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Das kommende Jahr wird anstrengend für Jürg Grossen (53). Er steht nicht nur als Chef der Grünliberalen – jener Partei, die gemäss Umfragen die grosse Wahlsiegerin 2023 sein wird – unter Beobachtung, sondern auch als Ständeratskandidat im Kanton Bern. Doch der Frutiger nimmt das – wie scheinbar alles – mit stoischer Gelassenheit. Aus der Ruhe bringen lässt er sich auch beim Blick-Besuch nicht.

Blick: Herr Grossen, das typische Mitglied der Grünliberalen ist jung, hip und urban. Womöglich noch weiblich. Sie kommen vom Land, sind 53 und eher bodenständig. Sind Sie die eigene Antithese?
Jürg Grossen: Ach was, ich bin der typische GLPler und verkörpere die Partei eins zu eins.

Weil Sie kein Fleisch essen?
Ich kenne viele in unserer Partei, die Fleisch mögen, und auch in meiner Familie essen alle ausser mir Fleisch. Ich mochte Fleisch einfach nie. Doch zurück zur Ausgangsfrage: Ich vereine das Ökologische mit dem liberalen Unternehmertum. Ich beweise, dass man wirtschaftlich erfolgreich sein kann, wenn man umweltfreundlich und nachhaltig handelt.

«Ich bin der typische GLPler», sagt Parteipräsident Jürg Grossen. Er wehrt sich dagegen, dass die Grünliberalen das Image einer Mehrbesseren-Partei haben.
Foto: Peter Mosimann
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Aber das Urbane …
… ich bin ein weltoffener Mensch – und das, obwohl ich in einer ländlich geprägten Gegend lebe.

Die GLP ist eine Stadtpartei. In Zürich dürften Sie im Februar die Wahlen gewinnen.
Aber nicht in der Stadt! Sondern im Kanton. Wir wachsen in der Agglo und immer mehr auch auf dem Land. Schauen Sie sich nur den Kanton Bern an! Hier haben wir teils höhere Wähleranteile als in Zürich – und zwar in ländlichen Regionen. Weil wir gute Leute haben.

Also wachsen Sie jetzt im Speckgürtel, wohin die urbanen Leute mit Geld zügeln. Die GLP ist eine Mehrbesseren-Partei.
Das würde ich so nicht sagen.

Weil Sie zu nett sind. Ich nicht.
Gut, Umfragen zeigen, dass unsere Wählerinnen und Mitglieder eher höhere Einkommen haben als bei den anderen Parteien. Das ist ja nichts Negatives, wir ziehen in der Regel gut ausgebildete und leistungsorientierte Leute an, das freut mich. Ich selbst hab eine Berufslehre gemacht. In unserer Gesellschaft ist es zum Glück so, dass man etwas verdienen kann, wenn man etwas leistet. Aber ich weiss auch, wie es ist, wenn man nicht weiss, wie man die Krankenkasse zahlen soll.

Persönlich: Jürg Grossen

Jürg Grossens (50) politische Karriere begann spät. Doch sie nahm einen steilen Verlauf: 2011 gelang dem Berner Oberländer beinahe aus dem Nichts die Wahl ins Bundesparlament. Nur sechs Jahre später folgte er auf Martin Bäumle als Präsident der Grünliberalen. Grossen ist von Beruf Elektroplaner und führt seit Mitte der 90er-Jahre ein Unternehmen. Der Nationalrat ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Frutigen BE.

Jürg Grossens (50) politische Karriere begann spät. Doch sie nahm einen steilen Verlauf: 2011 gelang dem Berner Oberländer beinahe aus dem Nichts die Wahl ins Bundesparlament. Nur sechs Jahre später folgte er auf Martin Bäumle als Präsident der Grünliberalen. Grossen ist von Beruf Elektroplaner und führt seit Mitte der 90er-Jahre ein Unternehmen. Der Nationalrat ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Frutigen BE.

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Nicht immer sind die, die mehr leisten, auch die, denen es finanziell besser geht.
Einverstanden. Man muss auch Glück haben im Leben. Dennoch ist es nicht so, als hätten wir bloss wohlhabende Leute in der Partei. Hier machen Sie es sich zu einfach.

Ihr Ziel für die Wahlen im Herbst sind 10 Prozent. Laut Umfragen gelingt das nicht.
Wir wollen die 10-Prozent-Hürde sogar überspringen! Und wieder in den Ständerat einziehen. Dann würden wir Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben.

Laut Wahlbarometer kommen Sie auf 9,3 Prozent. Nichts mit Bundesrat.
Selbst mit 9,3 Prozent hätten wir beachtlich zugelegt. Aber dann wären wir wohl zurückhaltender, den Einzug in den Bundesrat zu fordern. Der zentrale Punkt ist aber: Wir kritisieren den Bundesrat nicht nur, wir sind auch bereit, selbst Verantwortung zu tragen.

Genügend Sitze im Nationalrat reichen nicht für einen Bundesrat. Es braucht eine Vertretung im Ständerat.
Wir wollen wieder in den Ständerat einziehen, weshalb wir in verschiedenen Kantonen antreten. Als Herausfordererpartei ist das aber nicht ganz einfach.

Sie selbst treten in Bern an. Eine reelle Chance hat Ihre Partei aber nur in Zürich.
Es freut mich, dass Sie Tiana Moser in Zürich gute Chancen einräumen! Diese Sicht teile ich. Ich bin aber überzeugt, dass ich ebenfalls eine reelle Chance habe. Natürlich, die Berner Konkurrenz ist stark – genau das reizt mich aber!

Ihre Partei hat sich ein besonderes Alleinstellungsmerkmal ausgesucht: Sie sind die EU-Turbos. War das eine wahltaktische Überlegung?
Keineswegs! Es liegt in der DNA der GLP, gute und geregelte Beziehungen zu unseren direkten Nachbarn und wichtigsten Handelspartnern haben zu wollen. Das ist zu 100 Prozent meine Überzeugung. Ich wollte auswandern, als wir 1992 den EWR abgelehnt haben!

Darum kommen Sie jetzt wieder mit dem EWR!
Ja! Wir hätten auch das Rahmenabkommen mit der EU unterschrieben. So, wie es vorlag. Das wäre sicher der beste Weg für die Schweiz gewesen. In einem Anflug von Überheblichkeit hat es der Bundesrat aber abgeschossen. Ohne Plan B.

Der Bundesrat hat eine nüchterne Analyse gemacht und befunden, dass das Abkommen nicht gut genug ist, um im Volk eine Mehrheit zu finden.
Das ist das Gegenteil von Leadership! In einer solch wichtigen Frage kann sich der Bundesrat nicht einfach über Volk und Parlament stellen. Man hätte es im Parlament beraten und die Bevölkerung befragen müssen. Ich bin überzeugt, dass man diese Abstimmung hätte gewinnen können. Wenn man stattdessen aber auf Zeit spielt und mit irgendwelchen Interessenvertretern Hinterzimmergespräche führt, klappt das nicht.

Was genau stört Sie?
Man fragt zwar die Gewerkschaften und Verbände, bringt das Abkommen aber nicht vor die gewählten Volksvertreter. Das ist eine Missachtung des Parlaments und entspricht nicht meinem demokratiepolitischen Verständnis.

Aufgrund der neuen Transparenzregeln wird man jetzt sehen, woher das Geld für den Wahlkampf kommt. Das für die GLP kommt aus Brüssel, oder?
(Lacht) Wir haben – leider – keinen direkten Draht nach Brüssel. Unter den neuen Transparenzvorschriften sind Spenden aus dem Ausland sowieso untersagt. Wir begrüssen diese Transparenzregeln aber sehr. Endlich sieht man, woher das Geld kommt. Wir können der Wirtschaft in Erinnerung rufen, wovon sie profitiert – von stabilen Verhältnissen – und daran erinnern, was ihre Verantwortung für unser Land ist: Unsere Parteien sind nicht staatlich finanziert. Wir brauchen Geld aus der Wirtschaft, das aber nicht an Bedingungen geknüpft sein darf.

Also, woher kriegt die GLP ihr Geld?
Wir erhalten Mittel von vielen Kleinspendern und auch von wichtigen Wirtschaftsakteuren. Manche Grossunternehmen geben meines Wissens an alle Parteien etwas. Und ich begrüsse es, wenn deren Grosszügigkeit öffentlich wird. Die Firmen können und sollen stolz darauf sein, dass sie etwas zum Funktionieren unseres Milizsystems beitragen. Ich bin überzeugt: Die neuen Transparenzregeln bringen den Parteien mehr Geld. Die Firmen signalisieren uns nämlich, dass sie gern spenden, wenn alle das sauber öffentlich deklarieren.

Kommen wir noch zum Hauptthema der GLP, die Ökologie. Sind Sie zufrieden, wie es derzeit läuft?
Mir wäre es lieber, wenn der ökologische Umbau schneller vonstattenginge. Dann wären wir jetzt nicht derart abhängig von fossilen Energien, und unsere Energieversorgung wäre sicherer. Aber wir haben im letzten Jahr vieles auf den Weg gebracht. Ich rechne nun mit einem starken Zubau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie.

Trotz des neuen Energieministers? Albert Rösti will doch lieber auf AKW setzen.
Albert Rösti wird das Ruder nicht herumreissen können. Er darf gern eine Diskussion zu neuen Atomkraftwerken starten. Ich freue mich darauf. Sie wird zeigen: Die AKW neuster Generation gibt es noch gar nicht. Sie kämen viel zu spät und niemand wird neue AKW bauen, denn das rechnet sich nie. Herr Rösti setzt die Prioritäten besser anders!

Nämlich?
Er sollte die zweite Etappe der Energiestrategie vorlegen und damit die Versorgungssicherheit verbessern. Das wird sicher nicht mit neuen Atomkraftwerken funktionieren. Es wird die älteren AKW zwar noch länger brauchen, sofern sie sicher sind, davon bin ich überzeugt. Aber mit dem Zubau von Fotovoltaik, der jetzt schon aufgegleist ist, werden wir mit insgesamt jährlich 45 Terawattstunden im Sommer riesige Stromüberschüsse produzieren, die wir dann zur Speicherung in synthetische Treib- und Brennstoffe umwandeln können. Diese können wir im Winter, wenn wir sie brauchen, zurückverstromen. Ich erwarte, dass Herr Rösti hier konkrete Lösungen bringt, und werde ihn dabei unterstützen.

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