Klima wandelt sich im Wahljahr
Pole schmelzen, Zentrum wächst

Das neue Jahr steht im Zeichen der Wahlen. Los gehts im Februar in Zürich, im Oktober stehen dann zum Abschluss National- und Ständeratswahlen an. Und das Wahljahr 2023 könnte einiges durcheinanderwirbeln.
Publiziert: 02.01.2023 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2023 um 13:43 Uhr
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Sermîn FakiPolitikchefin

Am 22. Oktober bestimmen die Schweizer Wählerinnen und Wähler, wie sich National- und Ständerat in den folgenden vier Jahren zusammensetzen – und, je nach Ausgang, auch, wie der Bundesrat künftig aussieht.

Doch bis die Parteistrategen anfangen zu rechnen, dauert es nur noch sechs Wochen. Am 12. Februar finden in Zürich die kantonalen Wahlen statt, und die gelten gemeinhin als Lackmustest für den eidgenössischen Urnengang.

Erster Stimmungstest mit interessantem Trend

Bei den Zürcher Wahlen zeichnet sich ein interessanter Trend ab: Während SVP, SP und Grüne sich auf Verluste einstellen müssen, können GLP, Mitte und FDP hoffen. Laut einer Umfrage, die das Forschungsinstitut GfS Bern im Auftrag der «NZZ» durchgeführt hat, muss die SP in Zürich am stärksten Federn lassen: ganze 1,2 Prozentpunkte. Gefolgt von der SVP mit -0,5 und den Grünen mit -0,4 Prozentpunkten.

Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament.
Foto: keystone-sda.ch
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Grösste Gewinnerin wäre Stand jetzt die GLP: Ohnehin schon viertstärkste Zürcher Partei, könnte sie in ihrem Gründungskanton nochmals um 1,4 Prozentpunkte zulegen. Auch die Mitte (+0,5 Prozentpunkte) und FDP (+0,4 Prozentpunkte) dürfen hoffen.

Pole verlieren, Zentrum wird gestärkt

Vier Jahre nach der Klimawahl 2019 – zur Erinnerung: die Grünen legten damals 6,1 Prozent zu, die GLP 3,2 Prozent – wäre es vorbei mit der grünen Welle. Stattdessen fände erneut ein politischer Klimawandel statt: Die Pol(parteien) SVP, SP und Grüne würden schmelzen, stattdessen könnte das politische Zentrum um GLP, Mittepartei und FDP profitieren.

Sicher, Vorsicht ist angezeigt: Die Grünliberalen werden auf nationaler Ebene kaum so viele neue Wähler gewinnen wie in Zürich, wo sie besonders stark sind. Doch auch das Wahlbarometer des Meinungsforschungsinstituts Sotomo von Ende Oktober 2022 sieht sie mit 1,5 Prozent Zuwachs als grosse Sieger.

Die FDP unter Präsident Thierry Burkart (47) kann laut Sotomo auf nationaler Ebene stärker zulegen als in Zürich – mit einem ganzen Prozentpunkt kommt sie der SP gefährlich nahe. Bei der Mitte ist die Lage etwas komplizierter: Wählergewinne in Zürich würden zeigen, dass der Namenswechsel von CVP (und BDP) zu Mitte im urbanen Umfeld ankommt. Doch bevor Parteipräsident Gerhard Pfister (60) die Champagnerkorken knallen lassen kann, muss er die Wahlen in Luzern Anfang April abwarten. Nur, wenn die Mitte in den katholischen Stammlanden nicht verliert, geht seine Wette auf.

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Grünen kann nur noch das Wetter helfen

Auch auf der Verliererseite ist das Bild recht eindeutig. Dass die Grünen wieder zurückgestuft werden, ist eigentlich allen klar. Ein Sensationsergebnis wie 2019 kann Präsident Balthasar Glättli (50) nur schwer bestätigen. Helfen könnten höchstens viele Wetterextreme im kommenden Jahr – Hochwasser oder extreme Dürre im Sommer würden den Klimawandel wieder zurück in die Köpfe der Wählerinnen und Wähler bringen.

Auch für die SP sieht es schlecht aus. Selbst wenn sie auf Bundesebene nicht so stark verlieren dürfte wie in Zürich, wo ihr die linke Alternative Liste Konkurrenz macht. Doch der Bewegungscharakter, den das Co-Präsidium um Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (36) den Genossen verpassen wollen, scheint noch keine Früchte zu tragen. Und trotz Inflation, steigenden Energiekosten und explodierenden Prämien verfängt bis jetzt auch ihr grosses Thema Kaufkraft nicht.

Das Sotomo-Wahlbarometer fürs Bundeshaus sieht die SVP zwar nicht wie in Zürich auf Verliererkurs. Doch selbst der dort prognostizierte Anstieg um 0,5 Prozentpunkte kann den Verlust von ebenfalls sagenhaften 3,8 Prozentpunkten bei den letzten Wahlen in 2019 nicht annähernd wettmachen.

Haben die Wähler die Polarisierung satt?

Insbesondere die Themenkonjunktur könnte das noch ändern. Je nachdem, welche Probleme die Schweiz bis in den Herbst beschäftigen, könnten die Pole auch gestärkt werden. Wetterextreme würden den Grünen helfen, eine neue Flüchtlingskrise der SVP.

Und dennoch: Schmelzende Pole, gestärktes Zentrum – es wäre ein Fingerzeig der Stimmberechtigten, dass sie die Polarisierung der letzten Jahre satthaben und wieder mehr auf Parteien setzen, die um Lösungen ringen und dabei pragmatischer unterwegs sind.


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