Geplanter Ausbau der Wasserkraft
Diese Staumauern wollte der Bund geheim halten

Die Schweiz will die Wasserkraft ausbauen – Bund und Energiewirtschaft haben 15 wichtige Projekte definiert, die schnell realisiert werden sollen. Und 17 Ersatzprojekte. Doch Details wollte man der Öffentlichkeit vorenthalten.
Publiziert: 24.11.2022 um 14:02 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2022 um 09:27 Uhr

Auch wenn es diesen Winter wohl nicht so knapp werden wird: Die Schweiz braucht in den kommenden Jahren mehr Strom – etwa, weil man aus den fossilen Energien Öl und Gas aussteigen will.

Das soll mit viel mehr Solaranlagen auf Dächern, an Fassaden und mit riesigen Anlagen in den Alpen gelöst werden – und mit einem deutlichen Zubau der Wasserkraft. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) und die Kraftwerksbranche haben sich dazu an einem runden Tisch auf 15 Projekte geeinigt, die in erster Priorität gebaut werden sollen – dazu gehören die umstrittene Erhöhung der Grimselstaumauer und geplanten Neubauten beim Trift- und beim Gornergletscher.

Ersatzliste mit 17 weiteren Kraftwerken

Damit etwa die Grimselstaumauer um 23 Meter erhöht werden kann, hat das Parlament unter Anleitung von SVP-Bundesratskandidat Albert Rösti (55) sogar die normalen Rechtsverfahren ausgehebelt. Auch wenn das gar nichts dazu beiträgt, schnell mehr Strom zu produzieren. Denn der zuständige Kanton Bern muss noch einen neuen Richtplan genehmigen und die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) gehen davon aus, dass die Bauzeit einer höheren Mauer etwa sechs Jahre dauert.

Um den künftigen Strombedarf zu decken, wird eine Solaroffensive nicht ausreichen. Bild: Auf dem Dach des Eisfeldes der Winter und Sports World Wallisellen werden Solarpanels installiert.
Foto: keystone-sda.ch
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So könnte es auch anderen Projekten auf der 15er-Liste gehen. Weswegen der runde Tisch 17 weitere Projekte definiert hat, die realisiert werden sollen, wenn es mit den 15 nicht wie gewünscht klappt. Welche Projekte das waren, war geheim – bis jetzt. Denn der «Beobachter» hat, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, die Ersatzliste sowie weitere Details zur 15er-Liste herausgepresst.

Projekte auf der 15er-Liste

  • Der Damm beim Lac des Toules im Wallis soll um 32 Meter erhöht werden.
  • Oberhalb von Binn VS soll neben einer 120 Meter hohen neuen Staumauer ein Stollennetz entstehen – vom Chummensee über Ernen VS bis nach Mörel VS.
  • Die Staumauer auf der Trift soll 177 Meter hoch sein.
  • Die Staumauer am Gornergletscher soll 85 Meter hoch sein.

Projekte auf der 17er-Liste

  • Ein neues Wasserkraftwerk mit einer 40 Meter hohen Staumauer soll am Allalingletscher im Wallis entstehen.
  • Die Zervreila-Staumauer in Graubünden soll um 10 Meter erhöht werden
  • Bei Ferpècle VS soll ein neuer Staudamm von 90 Metern Höhe entstehen.
  • Beim Haut Glacier d'Arolla soll ein Staudamm von 54 Metern Höhe entstehen.
  • In Graubünden sollen verschiedene Flusskraftwerke ausgebaut oder neu gebaut werden.

Dokumente, die der «Beobachter» einsehen konnte, zeigen zudem, welche Kriterien eine Rolle spielten bei der Frage, welche Projekte auf welche Liste kamen: Demnach wurden insgesamt fünf Varianten für die Beurteilung ausgearbeitet – zum Zuge kam jene, bei der die von den Stromkonzernen favorisierten Grossprojekte am besten abschnitten. Denn die Konzerne hätten jene Projekte auf der Liste gewollt, die besonders viel Profit versprechen. Kleinere Kraftwerke, die seit Jahren bewilligt wären, wurden gar nicht berücksichtigt – zum Beispiel das Pumpspeicherwerk Grimsel 3.

Grosse Projekte belasten die Umwelt mehr

Namhafte Fachleute wie Bernhard Wehrli, ehemaliges Direktionsmitglied des ETH-Wasserforschungsinstituts Eawag, sprechen angesichts der Recherchen von einem «vermasselten Verfahren» und sagte dem «Beobachter»: «Die Verantwortlichen haben fundamentale Fehler gemacht.»

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Grossprojekte richten in der einzigartigen alpinen Landschaft auch besonders viel Schaden an. So hat Nick Röllin, Präsident des Grimselvereins, ausgerechnet, dass der Grimselsee nach der Erhöhung der Staumauer zwar über viermal mehr Speicherpotenzial verfügen würde als die projektierte Erhöhung des Mattmarksees – aber 54-mal mehr Umweltbeeinträchtigungen brächte. Der geplante Triftstausee belaste die Umwelt 118-mal, der Gornerstausee 225-mal stärker. «In Anbetracht solch katastrophaler Nutzen-Schaden-Verhältnisse von umweltverträglichen Projekten zu reden, ist ein Hohn», so Röllin zum «Beobachter». (sf)


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