Exklusive Umfrage zeigt
Nur jeder Vierte war für den Rahmenvertrag

Das Rahmenabkommen, wie es der Bundesrat mit Brüssel ausgehandelt hatte, fällt bei der Bevölkerung durch. Nur 26 Prozent hätten dem Vertrag an der Urne zugestimmt. Das zeigt eine neue Umfrage.
Publiziert: 12.06.2021 um 01:23 Uhr
Ladina Triaca und Aline Leutwiler

Am Ende drückte der Bundesrat die «Delete»-Taste alleine. Ohne das Stimmvolk zu befragen, gab er den Rahmenvertrag mit der EU auf. Nun gibt eine Umfrage erstmals Hinweise darauf, wie die Schweizerinnen und Schweizer den Verhandlungsabbruch vom 26. Mai beurteilen.

Das Wichtigste vorweg: Ein Grossteil steht hinter dem Entscheid des Bundesrates. Das vorliegende Rahmenabkommen war nicht mehrheitsfähig. Und die Bedenken betreffend Lohnschutz sind bei den Rechten grösser als bei den Linken.

Populärer Bundesratsentscheid

Das Markt- und Sozialforschungsunternehmen Link hat die Umfrage bei 1386 Personen in den Tagen nach dem Bundesratsentscheid durchgeführt. Die Landesregierung kommt dabei gut weg: Knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) begrüsst es, dass das Gremium um Bundespräsident Guy Parmelin (61) und Aussenminister Ignazio Cassis (60) die Verhandlungen mit Brüssel vorläufig abgebrochen hat. Nur 33 Prozent bedauern es.

Am 26. Mai verkündeten Aussenminister Ignazio Cassis (l.), Bundespräsident Guy Parmelin (M.) und Justiziministerin Karin Keller-Sutter (r.) das Aus des Rahmenvertrags mit der EU.
Foto: keystone-sda.ch
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Der Rahmenvertrag, wie ihn der Bundesrat mit der EU-Kommission ausgehandelt hatte, vermochte die meisten nicht zu überzeugen. Nur 26 Prozent der Befragten hätten ihm bei einer Volksabstimmung zugestimmt. 43 Prozent hätten Nein gesagt. Auffällig ist, dass rund jede dritte Person nicht gewusst hätte, wie abstimmen, oder einen leeren Zettel in die Urne geworfen hätte. «Das zeigt, dass die Unsicherheit in der Bevölkerung bei diesem komplexen Thema gross ist», sagt Georg Lutz (49), Politik-Professor an der Universität Lausanne und Mitautor der Studie.

Generell ist die Skepsis gegenüber dem Rahmenvertrag in der Deutschschweiz und im Tessin ausgeprägter als in der Romandie. Dieser Röstigraben erstaunt Lutz nicht: «Wir wissen aus früheren Abstimmungen, dass Romands tendenziell europafreundlicher eingestellt sind als Deutschschweizer oder Tessiner.» Dennoch findet der Vertrag selbst westlich der Saane keine Mehrheit.

Wichtig ist, wie man fragt

Die geringe Zustimmung ist insofern erstaunlich, als sich in einer Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern, die im März und April durchgeführt wurde, noch 64 Prozent für den Vertrag ausgesprochen hatten. Allerdings war die Frage bei jener Umfrage offener formuliert, und von den 64 Prozent gaben ebenfalls nur 15 Prozent an, bestimmt für einen Rahmenvertrag zu sein.

Lutz sagt, es sei wichtig, wie man die Fragen stelle. «Unsere Resultate zeigen nur, dass das Rahmenabkommen in der Form, wie es der Bundesrat ausgehandelt hatte, nicht mehrheitsfähig war. Aber sie zeigen nicht, dass die Bevölkerung ein Rahmenabkommen grundsätzlich ablehnt.»

Stolperstein Lohnschutz

Obwohl das Abkommen als Ganzes nicht überzeugte, bewerten die Befragten viele Aspekte des Vertrags durchaus positiv. So ist eine deutliche Mehrheit der Ansicht, dass Schweizer Hochschulen von einem institutionellen Rahmen mit der EU profitieren würden. Ebenfalls glauben mehr als die Hälfte, dass die Rechts- und Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen gestärkt würde.

Sorgen bereiten vielen hingegen die Aufweichung des Lohnschutzes, die Übernahme von EU-Recht und die Schwächung der direkten Demokratie. Das kommt nicht überraschend: Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften hatten sich in den letzten Wochen und Monaten genau über diese Punkte gestritten.

Letztendlich war der Bundesrat nicht bereit, beim Lohnschutz und bei der Unionsbürgerrichtlinie gegenüber Brüssel klein beizugeben. Die Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürgern den Zugang zu Schweizer Sozialwerken erleichtert hätte, wird in der Umfrage nicht thematisiert.

Gewerkschaften sprechen Rechte an

Dafür sind die Resultate zum Lohnschutz pikant. Es waren vor allem die linken Gewerkschaften um SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53), die sich gegen eine Senkung der Löhne wehrten. Nun zeigt sich, dass ihre Argumente insbesondere von rechten Wählern geteilt werden.

So glauben 63 Prozent der Personen, die sich politisch rechts verorten, dass der Lohnschutz mit dem Rahmenabkommen aufgeweicht würde. In der Mitte sind es 53 Prozent, im linken Lager 49 Prozent.

Lutz erklärt: «SVP-Wähler sind gefühlt und real stärker von Lohndumping betroffen als linke Wähler, die im Schnitt besser bezahlte Jobs haben.» Dementsprechend sei die Angst vor einer Aufweichung des Lohnschutzes im rechten Lager grösser. Oder anders ausgedrückt: Während sich Linke eher aus ideologischen Gründen gegen einen Lohnabbau stellen, wehren sich Rechte eher aus persönlicher Betroffenheit.

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