Darum kommt 2021 die Ausschaffungs-Statistik
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Erfolg für SVP:Darum kommt 2023 die Ausschaffungs-Statistik

Dank der EU!
SVP kriegt nach 10 Jahren ihre Ausschaffungs-Statistik

Seit Jahren drängt die SVP den Bundesrat, endlich Zahlen zu liefern, wie viele kriminelle Ausländer seit Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative wirklich die Schweiz verlassen mussten. Ausgerechnet dank der EU solls nun die Statistik geben.
Publiziert: 05.05.2021 um 01:27 Uhr
|
Aktualisiert: 05.05.2021 um 07:49 Uhr
Lea Hartmann

Alle drei Monate stellt die SVP dem Bundesrat dieselbe Frage: Wie viele kriminelle Ausländerinnen und Ausländer haben einen Landesverweis kassiert – und wie viele davon sind auch tatsächlich ausgeschafft worden?

Ende 2016 verlangte der frühere SVP-Parteichef Toni Brunner (46) erstmals diese «Strichliliste». Als Brunner ging, übernahm Fraktionschef Thomas Aeschi (42) das Nachhaken. Vergangenen März stellte er die nunmehr 14. Anfrage zum Thema. Doch eine zufriedenstellende Antwort hat die Partei bis heute nicht erhalten.

Trotz Vorstoss ist lange nichts passiert

Gut zehn Jahre nach Annahme der Ausschaffungs-Initiative der Rechtspartei kann der Bund nicht sagen, wie viele Kriminelle, die des Landes verwiesen wurden, auch wirklich die Schweiz verlassen haben. Ja, die nationalen Behörden haben nicht einmal einen wirklich verlässlichen Überblick über die theoretische Ausschaffungsquote – also in wie vielen Fällen das Gericht einen Landesverweis angeordnet hat und in wie vielen die sogenannte Härtefallklausel zum Tragen kam.

Der ehemalige SVP-Präsident Toni Brunner bei einer Delegiertenversammlung 2011, ein Jahr nach Annahme der Ausschaffungs-Initiative.
Foto: Keystone
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Für die SVP ist das seit Jahren ein Ärgernis. Schon 2013, also noch bevor die Umsetzung der Initiative überhaupt beschlossen war, hatte der damalige SVP-Nationalrat Felix Müri (63) eine nationale Ausschaffungsstatistik gefordert. Nach dem Nationalrat stimmte 2014 auch der Ständerat dem Vorstoss zu.

Dank EU gehts vorwärts

Passiert ist dann lange wenig. Jetzt aber steht fest: Die SVP wird ihre Ausschaffungsstatistik bekommen – dank der EU!

Ohne Druck von aussen hätte die SVP wahrscheinlich noch lange auf ihre Strichliliste warten können, wie Blick-Recherchen ergaben. Zwar hat der Bundesrat schon vor Jahren verkündet, dass nun die gesetzliche Grundlage geschaffen sei, um eine Vollzugsstatistik über die Ausschaffung krimineller Ausländer zu erstellen. Doch in der Realität funktioniert der Datenfluss überhaupt nicht.

Nach Daten-Blamagen ist der Bund vorsichtig

Die Zahlen zu den vollzogenen Ausschaffungen, welche die Kantone eigentlich liefern sollten, sind viel zu lücken- und fehlerhaft. Der Bund traut sich darum bis heute nicht, dazu eine Statistik zu veröffentlichen. Vor allem auch, weil er sich im Zusammenhang mit den Ausschaffungszahlen schon zweimal mit einem Daten-Puff blamierte.

Dann aber kam die EU. Im Nachgang zu den Terroranschlägen in Paris, Nizza und weiteren europäischen Städten hat die Union eine Reform des Schengener Informationssystems beschlossen. Dabei handelt es sich um eine europäische Fahndungsdatenbank, an die auch die Schweiz angeschlossen ist. Als Schengen-Staat ist die Schweiz verpflichtet, die Änderungen zu übernehmen. Und in diesem Zusammenhang hat der Bund nun auch das Dauerthema Ausschaffungsstatistik endlich angepackt.

2023 solls erste Statistik geben

Bis es eine erste Statistik gibt, dauert es wegen technischer Anpassungen aber noch. 2023 werde es wohl erstmals möglich sein, eine «integrierte und tagesaktuelle» Vollzugsstatistik mit Angaben zur Härtefallquote zu veröffentlichen, teilt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage von Blick mit. Anders gesagt: eine verlässliche Statistik.

Die Sache hat aber einen Haken: Die Statistik wird sich nicht rückwirkend erstellen lassen. Das heisst: Man wird künftig nur wissen, wie viele Ausländer ab 2023 ausgeschafft wurden.

Das SEM gibt hierzu allerdings zu bedenken, dass das verschärfte Ausschaffungsgesetz nur auf Delikte anwendbar ist, die nach dem 1. Oktober 2016 begangen wurden. «Ob jemand wirklich ausgeschafft wird, kann man erst sagen, wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt und die dabei ausgesprochene Strafe abgesessen ist. Das dauert oft mehrere Jahre.» Eine Vollzugsstatistik hätte deshalb in den ersten Jahren tatsächlich kaum Aussagekraft gehabt.

«Eine absolute Frechheit!»

Toni Brunner, der Erfinder der in Bundesbern längst zum geflügelten Wort gewordenen «Strichliliste», ärgert sich dennoch grün und blau – auch wenn die SVP-Forderung nun endlich umgesetzt wird. Aus seiner Sicht ist glasklar, woran es liegt, dass die Umsetzung so lange dauerte: an mangelndem Willen. «Jede Kuh, jede Sau ist in der Schweiz erfasst. Da muss man mir nicht angeben, eine Ausschaffungsstatistik sei nicht möglich!», wettert der ehemalige SVP-Nationalrat.

Brunner wirft den Behörden vor, aus politischem Kalkül nicht vorwärtsgemacht zu haben – weil sie geahnt hätten, dass die tatsächlichen Ausschaffungszahlen viel tiefer liegen als prognostiziert. «Das ist eine bodenlose Frechheit!»

Der Bund weist den Vorwurf von sich. Dass es so lange dauert, begründet das SEM damit, dass zwei komplexe Statistiktools zusammengeführt werden müssten. Das sei anspruchsvoll. Auch, da die Kantone für den Vollzug der Landesverweise zuständig sind – und jeder die Daten anders erfasst.

Da kam der Druck von Seiten der EU gerade richtig. Und für einmal kann sich die SVP darüber freuen.

Parlament will nachbessern

Die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative der SVP gibt auch elf Jahre nach deren Annahme heftig zu reden. Vergangenes Jahr gab der Bund bekannt, dass 42 Prozent der kriminellen Ausländer in der Schweiz bleiben dürfen – obwohl sie wegen einer Straftat verurteilt wurden, die eigentlich einen Landesverweis nach sich zieht. Grund dafür ist die Härtefallklausel.

Im Nachhinein zeigte sich, dass die Zahl so wohl nicht stimmt. In Wahrheit dürfte die Härtefallquote tiefer sein. Eine wirklich genaue Angabe kann der Bund aber wegen des Datenwirrwarrs bis heute nicht machen.

Mehr Landesverweise als erwartet

Klar ist: Härtefälle sind längst keine Ausnahmefälle. In der Parlamentsdebatte zur Umsetzung der Initiative hatte man von einer Härtefallquote von maximal fünf Prozent gesprochen. Das ist weit von der Realität entfernt.

Die SVP spricht jeweils von 4000 Ausschaffungen pro Jahr, welche vorhergesagt worden seien. Allerdings ging die SVP selbst im Abstimmungskampf nur von 1500 Ausschaffungen pro Jahr aus, sollte die Initiative angenommen werden. Diese Zahl wurde überschritten – wenn man die angeordneten Landesverweise anschaut. Die Zahl der kriminellen Ausländer, die dann wirklich ausgeschafft werden können, liegt tiefer. Wie viel tiefer, weiss man derzeit nicht.

Martin Dumermuth (64), Chef des Bundesamts für Justiz, gibt zudem noch etwas anderes zu bedenken: «Die SVP sagte immer, sie wolle Ausländer, die schwere Delikte begehen, ausschaffen. Schaut man nur die schweren Delikte an, ist die Ausschaffungsquote viel höher.» Bei Delikten mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren liege die Ausschaffungsquote beispielsweise bei über 80 Prozent.

Verschärfen – oder Härtefälle abschaffen

Die SVP bewirtschaftet das Thema dennoch fleissig weiter. Vergangenes Jahr kündigte die Partei gross an, nochmals einen Anlauf zur Abschaffung der Härtefallklausel zu nehmen. Wenn nicht anders möglich, werde man eine dritte Volksinitiative zum Thema prüfen. Auch der ehemalige FDP-Präsident Philipp Müller (68) forderte den Bundesrat auf, die Härtefallklausel massiv zu verschärfen – und hielt eine Streichung sonst für unumgänglich.

Bis jetzt blieb es aber bei den Klagen und Drohungen; im Parlament ist die SVP bislang nicht aktiv geworden.

Es laufen aber sowieso bereits Arbeiten, nachzubessern. So schlägt die Staatspolitische Kommission des Nationalrats zum Beispiel vor, dass leichtere Delikte wie zum Beispiel ein Einbruch – gerade, wenn sie von Ausländern begangen werden, die in der Schweiz aufgewachsen sind – von der obligatorischen Landesverweisung ausgenommen werden. Sogar die SVP hat sich dafür ausgesprochen. (lha)

Die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative der SVP gibt auch elf Jahre nach deren Annahme heftig zu reden. Vergangenes Jahr gab der Bund bekannt, dass 42 Prozent der kriminellen Ausländer in der Schweiz bleiben dürfen – obwohl sie wegen einer Straftat verurteilt wurden, die eigentlich einen Landesverweis nach sich zieht. Grund dafür ist die Härtefallklausel.

Im Nachhinein zeigte sich, dass die Zahl so wohl nicht stimmt. In Wahrheit dürfte die Härtefallquote tiefer sein. Eine wirklich genaue Angabe kann der Bund aber wegen des Datenwirrwarrs bis heute nicht machen.

Mehr Landesverweise als erwartet

Klar ist: Härtefälle sind längst keine Ausnahmefälle. In der Parlamentsdebatte zur Umsetzung der Initiative hatte man von einer Härtefallquote von maximal fünf Prozent gesprochen. Das ist weit von der Realität entfernt.

Die SVP spricht jeweils von 4000 Ausschaffungen pro Jahr, welche vorhergesagt worden seien. Allerdings ging die SVP selbst im Abstimmungskampf nur von 1500 Ausschaffungen pro Jahr aus, sollte die Initiative angenommen werden. Diese Zahl wurde überschritten – wenn man die angeordneten Landesverweise anschaut. Die Zahl der kriminellen Ausländer, die dann wirklich ausgeschafft werden können, liegt tiefer. Wie viel tiefer, weiss man derzeit nicht.

Martin Dumermuth (64), Chef des Bundesamts für Justiz, gibt zudem noch etwas anderes zu bedenken: «Die SVP sagte immer, sie wolle Ausländer, die schwere Delikte begehen, ausschaffen. Schaut man nur die schweren Delikte an, ist die Ausschaffungsquote viel höher.» Bei Delikten mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren liege die Ausschaffungsquote beispielsweise bei über 80 Prozent.

Verschärfen – oder Härtefälle abschaffen

Die SVP bewirtschaftet das Thema dennoch fleissig weiter. Vergangenes Jahr kündigte die Partei gross an, nochmals einen Anlauf zur Abschaffung der Härtefallklausel zu nehmen. Wenn nicht anders möglich, werde man eine dritte Volksinitiative zum Thema prüfen. Auch der ehemalige FDP-Präsident Philipp Müller (68) forderte den Bundesrat auf, die Härtefallklausel massiv zu verschärfen – und hielt eine Streichung sonst für unumgänglich.

Bis jetzt blieb es aber bei den Klagen und Drohungen; im Parlament ist die SVP bislang nicht aktiv geworden.

Es laufen aber sowieso bereits Arbeiten, nachzubessern. So schlägt die Staatspolitische Kommission des Nationalrats zum Beispiel vor, dass leichtere Delikte wie zum Beispiel ein Einbruch – gerade, wenn sie von Ausländern begangen werden, die in der Schweiz aufgewachsen sind – von der obligatorischen Landesverweisung ausgenommen werden. Sogar die SVP hat sich dafür ausgesprochen. (lha)

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