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Vergessene Wörter zum Wiederentdecken

Warum immer englische Ausdrücke, um Deutsch aufzupeppen? Dieses Wörterbuch bietet vergessene Wortschönheiten, die einmal unsere Sprache bereicherten und nun auf Wiederverwendung warten.
Publiziert: 30.03.2021 um 07:06 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 14:22 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Was heute «mega» ist, war in meiner Jugend noch «s Zäni» und in der Antike offenbar eine «Venus» – eine Sechs auf dem Würfel. Denn wie heisst es im Wörterbuch des Baslers Johann Jakob Spreng (1699–1768): «Venus nennten die Römer den höchsten und glücklichsten Wurf mit Drey Würfeln, nämlich Drey Sechs.» Von der Sechs über die Zehn bis zur Million (mega): So wie der Superlativ im Laufe der Zeit an Ziffern zunahm, so nahm die Zahl der Wörter bis heute insgesamt ab – die Sprache ist ausdrucksärmer als früher.

Diesen Eindruck gewinnt jedenfalls, wer in der «unerhörten Auswahl vergessener Wortschönheiten» blättert. Oder haben Sie schon einmal so wohlklingende Wörter gehört oder gar gebraucht: Abfläumling (ein durchtriebener Schalk), diddig (willig), Federklauber (Schmeichler), hälsen (umarmen), pfoserachtig (welk), reuschig (scharf), vermoseln (besudeln), Wirrwerre (Unordnung), zwispeln (verdoppeln) – alles vor mehr als 250 Jahren von Spreng dokumentiert, aber nicht mehr in Gebrauch.

«Johann Jakob Spreng war ein Basler Gelehrter, der sich, wie es sich in dieser Zeit gehörte, mit vielen Federn schmückte», heisst es im Vorwort dieser Ausgabe. Der studierte Theologe arbeitet zunächst als Hauslehrer in Wien, ehe er 1742 in seine Geburtsstadt zurückkehrt, wo er die ehrenamtliche Professur für deutsche Poesie und Beredsamkeit erhält und Vorlesungen zur Schweizer Geschichte in deutscher Sprache hält – ein Novum an der damals lateinisch geprägten Universität Basel.

«Lateinische und französische Lehnwörter waren ihm ein Graus», heisst es im Vorwort weiter, «lieber verwendete er seltsame Verdeutschungen, oft eigens erfundene Neologismen.» Doch für sein Wörterbuchprojekt «Allgemein deutsches Glossarium» geht Spreng akribisch vor und durchforstet unterschiedliche schriftliche Dokumente seiner Zeit – von Rechtstexten über Chroniken bis zu literarischen Werken. «Es überkommt einen bei der Betrachtung der Quellenliste der Eindruck, kaum ein Buch sei Spreng nicht recht gewesen.»

Fast 100'000 Lexikoneinträge sammelt er für sein Wörterbuch: das umfangreichste und bedeutendste lexikografische Vorgaben im 18. Jahrhundert – doch es kommt nicht in Druck. Es mangelt an Geld, Gesundheit des Autors und gesellschaftlicher Stabilität wegen des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763). Und so schlummert dieser Sprachschatz bis zur Wiederentdeckung durch den Germanistikprofessor Heinrich Löffler (82) in der Universitätsbibliothek Basel.

«Das kulturelle Gedächtnis» heisst der passende und verdienstvolle Berliner Verlag, der nun erstmals eine Blütenlese mit den schönsten Wörtern aus Sprengs Sammlung veröffentlicht – von «Aalkugel» bis «Zwitterzahl». Wer allerdings das ganze «Glossarium» haben will, der muss bis Dezember warten: Dann veröffentlicht Löffler das «historisch-etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache» in einer siebenbändigen Ausgabe beim Basler Schwabe-Verlag – über 250 Jahre nach der Projektierung.

Johann Jakob Spreng, «Unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten», Das kulturelle Gedächtnis

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