Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Neulich in der Milchstrasse

«Ich finde, dass man nur nach oben schauen muss, um die eigene Perspektive zu ändern», sagt der in Harvard lehrende Astrophysiker Avi Loeb. Dadurch werden wir demütig und nehmen uns nicht mehr so wichtig.
Publiziert: 09.02.2021 um 08:50 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 11:41 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

War da was? Ich gehe an die Haustür, weil ich meine, es habe geläutet. Doch niemand steht davor. Also husche ich zum Fenster und sehe am Ende der Strasse eine Person entschwinden. Wollte die zu mir? Wer war sie? Was wollte sie? Eine ähnliche Szene ereignete sich im Herbst 2017 in unserer Milchstrasse: Am 19. Oktober entdeckt ein Astronom auf den Bildern, die das Pan-STARRS-Teleskop auf Hawaii sammelte, einen Lichtpunkt, der über den Himmel saust und sich zu schnell bewegt, als dass ihn die Schwerkraft der Sonne einfangen könnte.

’Oumuamua (ausgesprochen «Ohmuamua») nennt man den Himmelskörper, was das hawaiianische Wort für «Kundschafter» ist. Am 7. Oktober 2017 muss er die Erdumlaufbahn gekreuzt haben. «Als das Objekt in den interstellaren Raum zurücksauste, hatte die Menschheit noch keine Notiz von ihm genommen», schreibt der israelische Astrophysiker Avi Loeb (58) in seinem neuen Buch «Ausserirdisch». «Wir hatten und haben kein scharfes Foto von dem Objekt, auf das wir uns verlassen könnten.»

Hundert Meter lang und keine zehn Meter breit schätzt Loeb das Teil. Ein Komet sei es, einigte sich die Wissenschaftszunft – doch es fehlte der übliche Schweif. Nein, ein Asteroid, sagten dann andere Astronomen – doch dann hätte er der Anziehungskraft der Sonne nicht entkommen können. Loeb kritisiert: «Um ’Oumuamuas Flugbahn zu erklären und die Annahme aufrechtzuerhalten, dass es sich um einen Kometen handelte, haben die Forscher ihre Theorien über seine physische Grösse und Zusammensetzung bis zum Zerreissen überdehnt.»

Der renommierte Harvard-Professor Loeb schlägt zurück: «How to Search for Dead Cosmic Civilisation» (etwa: «Wie man nach ausgestorbener ausserirdischer Zivilisation sucht») betitelt er seinen Artikel vom 27. September 2018 in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift «Scientific American». «Wenn man einen künstlichen Ursprung annimmt», argumentiert er dort, «besteht eine Möglichkeit darin, dass ’Oumuamua ein Lichtsegel ist, das im interstellaren Raum als Trümmerteil einer hoch entwickelten technischen Ausrüstung schwebt.»

«Enfant terrible der Astrophysik von Harvard» heisst Loeb fortan. «Zu sagen, dass meine Erwägung, dass ’Oumuamua ein künstliches Produkt sein könnte, auf Missfallen stiess, ist gelinde ausgedrückt», schreibt Loeb. «Zwar war die Boulevardpresse entzückt, und die breitere Öffentlichkeit war fasziniert. Aber meine Wissenschaftlerkollegen waren, sagen wir, zurückhaltender.» Aber Loeb hat es auf diese Auseinandersetzung angelegt: «Viele Naturwissenschaftler betrachten sich als eine ganz besondere Art, als Mitglieder einer Intelligenzelite. Bewusst oder unbewusst wollen sie sich vom Pöbel absondern.»

Von Ufos spricht Loeb mit keinem Wort – er hält nicht viel von Science-Fiction. Aber er fordert Demut angesichts der «Milliarde Billionen sonnenähnlicher Sterne in der beobachtbaren Ausdehnung des Universums». Die Milchstrasse beherberge zig Milliarden Planeten von der Grösse der Erde mit ähnlichen Oberflächentemperaturen wie der unseres eigenen Planeten. Warum sollte es dort kein Leben geben? Und warum sollten wir kein Zeichen davon erhalten?

Avi Loeb, «Ausserirdisch – intelligentes Leben jenseits unseres Planeten», DVA

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