Professor Hengartner erklärt
Wozu 5G?

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: 5G wird die Welt verändern, wir wissen nur noch nicht, wieso.
Publiziert: 01.02.2021 um 09:28 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2021 um 10:54 Uhr
Michael Hengartner

Erinnern Sie sich ans Zugfahren früher? Man musste die Verbindung im Kursbuch nachschlagen oder am Bahnhof den Fahrplan konsultieren. Meine Güte, ist das lange her! Hätte mir damals jemand gesagt, dass wir Zugsverbindungen künftig mit einer App über ein Handy im Internet nachschlagen, hätte ich vielleicht gesagt: «Aber wozu? Wir haben doch all diese Pläne!» Apps, Handys und Internet wurden nicht für die SBB erfunden – aber wenn wir heute von St. Gallen nach La Chaux-de-Fonds fahren, möchten wir nicht mehr darauf verzichten.

Mit dem neuen Mobilfunk-Standard 5G ist es dasselbe: Wir wissen noch gar nicht, was er uns alles erleichtern wird. Technisch nutzt 5G grundsätzlich dieselben Frequenzen wie 4G, sowie etwas höhere. Wichtiger aber ist, dass es dezentral funktioniert. Wenn Sie heute eine Nachricht von der Lenzerheide an Ihre Freundin im benachbarten Valbella schicken, macht diese einen Umweg über Chur. Mit 5G fällt dieser Umweg weg. Überhaupt ist 5G rund 100-mal so schnell wie das heutige Netz, und die Zeit zum Aufbau von Verbindungen reduziert sich auf quasi null. Dafür braucht es aber auch neue Antennen.

Viele Leute meinen, mehr Antennen würden mehr Strahlung bedeuten. Das Gegenteil ist wahr. Je mehr Antennen man hat, desto weniger stark müssen diese strahlen. Wissen Sie übrigens, wo Sie heute der grössten Strahlung ausgesetzt sind? Im Verkehr. Ihr Handy verbindet sich immer wieder mit der nächsten Antenne. Und das nicht nur, wenn Sie gerade ein Skirennen schauen. Es verbindet sich auch einfach für den Fall, dass eine Nachricht reinkommt. Das verursacht Strahlung und frisst Akku. Mit 5G fällt dieses vorsorgliche Verbinden weg, es gibt weniger Strahlung, und der Akku hält länger.

Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats.
Foto: Nathalie Taiana

Aber zurück zur Frage, was wir mit der neuen Technik anstellen werden. Wir wissen es wirklich noch nicht. Aber lassen Sie mich ein wenig träumen. Sagen wir, ich fahre per Velo durch die Stadt und Sie mit dem Auto hinterher. Wir können auch tauschen, jedenfalls: Der Radfahrer stürzt, der Autofahrer muss sofort auf die Bremse. Vielleicht ist er aber gerade abgelenkt oder wird von der Sonne geblendet. Künftig könnten Velos Sensoren haben, die merken, wenn das Rad stürzt. Dieser Sensor würde sofort ein Signal ans Auto hinter ihm schicken – und zwar direkt und nicht über eine weit entfernte Zentrale. Das Auto ginge dann augenblicklich «uf d Chlötz». Übrigens: Auch selbstfahrende Autos funktionieren so richtig nur mit 5G.

Ein anderes wichtiges Beispiel sind Operationsroboter. Diese werden in grossen Spitälern schon heute verwendet, weil man mit ihnen präziser arbeiten kann als von Hand. Der Chirurg kann sein Messer am Computer 1 cm bewegen, der Roboter schneidet am Patienten 1 mm. Heute steht der Chirurg meist im OP oder in der Nähe. Mit 5G aber wäre das Netz so schnell, zuverlässig und stabil, dass ein Basler Spezialist am Morgen eine Operation in Zürich machen könnte und am Nachmittag eine in Brig.

Die ersten Eisenbahnen wurden für Kohleminen erfunden, die ersten Flugzeuge als Spielzeuge und Sportgeräte. Ich weiss auch noch nicht, was wir mit 5G alles anstellen können, aber ich weiss, dass wir kreative Köpfe haben, die damit viele nützliche Dinge austüfteln werden. Darum hoffe ich, dass es in der Schweiz mit 5G bald einen Schritt vorwärtsgeht.

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