Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Wer unsere Demokratie wirklich gefährdet

Die Pandemie hat unsere Gesellschaft erschüttert. Auf diesem Boden der Verunsicherung gedeihen die sogenannten alternativen Fakten. Im schlimmsten Fall driftet die Schweiz dorthin ab, wo die USA unter Trump gelandet sind.
Publiziert: 17.10.2021 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2021 um 23:59 Uhr

Politik ist ein Ringen um Deutungshoheit. Gerade in Abstimmungskämpfen spielen Verzerrungen und Desinformation stets eine Rolle. Heute spitzt sich das Phänomen allerdings dramatisch zu. Wegen Corona, wegen Social Media und weil das rechte Establishment Kapital aus der Situation schlagen möchte. Im schlimmsten Fall driftet die Schweiz dorthin ab, wo die USA während der Präsidentschaft von Donald Trump gelandet sind.

Die Pandemie hat unsere Gesellschaft erschüttert. Auf diesem Boden der Verunsicherung gedeihen jene sogenannten alternativen Fakten, die unter anderem via Telegram, Twitter oder Youtube unter die Leute gebracht werden und viele Gemüter in Dauererregung versetzen. Auf dem gleichen Boden wächst eine heftige Abneigung gegen den Journalismus und die Journalisten.

Die SVP ist Getriebene wie Treiberin dieser Entwicklung. Sie ist darauf bedacht, dass ihr aus der Bewegung der sogenannten Corona-Skeptiker keine Konkurrenz erwächst. Die Schweizerische Volkspartei begegnet den radikalen Impfgegnern darum mit einer Umarmungsstrategie und trommelt für ein Nein zum Covid-Gesetz am 28. November. Zugleich nutzt sie die Stimmung, um ein Anliegen voranzubringen, das seit langem auf ihrer Agenda steht: der Kampf gegen jene Medien, die nicht stramm auf ihrer Linie sind. Gemeinsam mit den Corona-Skeptikern hat sie das Referendum gegen das neue Medienförderungsgesetz ergriffen. Vor vier Tagen wurde der Abstimmungstermin festgelegt: Dieser Urnengang findet Mitte Februar statt.

SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty.

Das Mediengesetz sieht Subventionen für die Zustellung von abonnierten Zeitungen vor. Zusätzlich soll es Geld geben für Online-Portale sowie lokale Radio- und TV-Sender.

Gewiss: SonntagsBlick und andere grosse Titel würden von der Medienförderung ebenfalls profitieren.
Die Gegner der Vorlage fokussieren in ihrer Kampagne denn auch auf die bekannten Verlagshäuser. Sie tun es mit einem Vokabular, das an Polemik nichts zu wünschen übrig lässt: «Mainstream-Medien», «Hetze», «Zerstörung der Meinungsfreiheit» und – wer hätte das gedacht – «Fake News».

Die perfide Ironie an der Geschichte: Wirklich überlebenswichtig ist das Mediengesetz für die regionalen
und lokalen Zeitungen im ländlichen Raum – jenen Gegenden, als deren Fürsprecherin die SVP so gern auftritt. Martin Nietlispach ist Verleger des «Wohler Anzeigers». In einem E-Mail schreibt er mir: «Aus Sicht kleinerer Titel hat das Medienförderungsgesetz zumindest mittelfristig existenzielle Bedeutung.» Und: «Wenn die notwendigen Investitionen nicht getätigt werden können, dann sind wir für Jüngere nicht mehr attraktiv und werden über kurz oder lang eingehen.»

Dabei geht es keineswegs um etwas papierene Nostalgie. Es geht darum, ob die Nachbeben der Pandemie einen Grundpfeiler unseres Staates zum Einsturz bringen. Gilbert Bühler, Direktor der «Freiburger Nachrichten», formuliert es so: «Wer, wenn nicht wir, berichtet kritisch über die Politik im Kanton und in den Gemeinden? Ohne unsere publizistische Leistung ist unsere Demokratie hochgradig gefährdet.»

Der aktuelle Abstimmungskampf zum Covid-Gesetz wird seitens des Nein-Lagers besonders lautstark geführt. (Während sich die Befürworter bislang in angstvolles Schweigen hüllen.) Die Gegner der Vorlage reden von der Schweiz als «ehemaligem Rechtsstaat» und «ehemaliger Demokratie». Der viele Lärm der Schlagwörter und der Trycheln vermag über diese entscheidende Tatsache aber nicht hinwegzutäuschen: Hier werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Wenn unsere Demokratie wirklich in Gefahr ist, so droht diese Gefahr nicht von den Befürwortern des Covid-Gesetzes und einer intakten Medienlandschaft.

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