Die Pille ist bei den Schweizerinnen das Verhütungsmittel Nummer 1.
Foto: Keystone

Starke Nebenwirkungen verunsichern Konsumentinnen
Abstieg eines Symbols: Der Knick bei der Pille

Als die Antibabypille vor Jahrzehnten auf den Markt kam, wurde sie gefeiert: als Befreiung der Frau. Heute setzen viele die Pille ab, weil sie sich durch sie eingeengt fühlen. Was ist geschehen? Wo ist die Freiheit hin?
Publiziert: 07.07.2017 um 18:08 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2020 um 12:00 Uhr
Thomas Rickenbach

Sie schenkte der Frau Unabhängigkeit, Selbstvertrauen, Sicherheit. Sogar ein Song aus dem Jahr 1975 trägt ihren Namen: «The Pill», geschrieben von Country-Legende Loretta Lynn (heute 85). Darüber wie sie, selbst sechsfache Mutter, nun ­ihrem Ehegatten Paroli bieten könne. Darüber wie das schöne Leben begänne. Nun da er sie nicht mehr ­jedes Jahr schwängern könne. Die Pille verlieh nicht nur der Country-Frau «Power».

Heute steckt die Pille in der Imagekrise. Viele Frauen scheinen sich heute zu sagen: Ich will meinen Körper nicht über zugeführte Hormone steuern und unter ihren Nebenwirkungen leiden – zurück zur ­Natur, mit allen Risiken und Chancen. Und: Warum soll eigentlich die moderne Frau die Hauptverant­wortung bei der Verhütung tragen?

Kritischere Einstellung

Einst brauchte es für negative Publicity zur Pille die katholische Kirche. Einen Papst wie Paul VI., der sich mitten in der Hippie-Zeit der ausklingenden Sech­zigerjahre deutlich gegen die aufkommende Anti­babypille äusserte. Im Jahr 2017 geht alles ganz gut ohne. «Lieber ohne Pille», titelte der «Beobachter» im Februar. «Anti-Baby-Pille wird bei Frauen unbeliebt», hiess es auf der Frontseite von «20 Minuten»

Jahrzehnte nachdem eine grosse Euphorie um die Antibabypille ausgebrochen ist, stellt sie heute für viele Frauen eine pharmazeutische Bedrohung dar.
Foto: Thinkstock Images

im Mai. Wenige Tage später: «Fertig geschluckt» in der «NZZ» und ein viertelstündiger Themenkomplex unter dem Motto «Auslaufmodell Antibabypille?» im SRF-Gesundheitsmagazin «Puls». Viele Gynäkologen bestä­tigen: Die Einstellung der Frauen gegenüber der Pille ist kritischer geworden.

«Denk mit, kauf Kondome»

Der Apothekerverband Pharmasuisse meldet, dass in der Schweiz letztes Jahr 1,83 Millionen Packungen der Verhütungspillen verkauft wurden. 2012 war die Zahl noch über zwei Millionen gewesen. Die Statistik er­innert an jene zum «Pillenknick»: Jene bekannte Grafik, die zeigte, wie die Geburtenrate nach Erfindung der Verhütungspille zurückgeht. Heute betrifft der Knick die Pille selbst. Was ist bloss mit ihr passiert?

Mit der Antwort tun sich Experten und Branche schwer. Wie viele Frauen konkret die Pille abgesetzt haben, kann nicht gesagt werden. Ebenso wenig gibt es eine verlässliche Studie über ihre Beweggründe. Nicht alle besprechen den Entscheid mit dem Gynäkologen. Findet man es moderner, vielleicht gefühlt auch sicherer, den Zyklus per App zu berechnen? Sind es die Nebenwirkungen? Ist der Verzicht eine Form des Protests, um dem Mann zu zeigen: «Denk auch mit, kauf Kondome»? Oder gehört es zu zeitgemässem Lifestyle, dass man keine Hormone mehr schlucken will? Gemäss Interpretationen ist es eine Mischung aus allen diesen Aspekten.

Sind 0,1 Prozent viel oder wenig?

Gewiss ist: Mit den Pillen der sogenannten dritten und vierten Generation haben sich die Nebenwirkungen verändert. Einige von ihnen sind durchaus erwünscht. Die Antibabypille soll über die Hormone ­nebenbei für einen grösseren Busen und für reinere Haut sorgen, heisst es. Wie stichhaltig diese Thesen sind, ist wissenschaftlich umstritten.

Gestiegen ist jedoch auch das Thrombose-Risiko, besonders bei Frauen, welche die Pille im ersten Jahr einnehmen. Dabei geht es um eine vermeintlich ­klare, nackte Zahl. Um eine Wahrscheinlichkeit, die man so oder so einstufen kann. Eine konkrete Frage, die jeder (und natürlich erst recht jede) für sich selbst beantworten kann: Halten Sie ein Thrombose-Risiko von 0,1 Prozent für gross?

Schwere Fälle beschäftigen die Öffentlichkeit

So hoch ist gemäss Studien ungefähr die Wahrscheinlichkeit, bei Einnahme einer Antibabypille der dritten oder vierten Generation innerhalb eines Jahres eine venöse Thromboembolie zu erleiden. Es passiert also ungefähr einer von tausend Frauen. Man kann sich mit Fug und Recht sagen: «Bei mir geschieht wohl nichts.» So wird die Zahl zum Argument pro Pille. Genauso richtig scheint die Antwort: «Ich will nicht diese tausendste Frau sein, die dann ein akutes gesundheitliches Problem hat» – die gleiche Statistik als Argument gegen die Pille. In der Schweiz hat diese «tausendste Frau» ein Gesicht: Es ist jenes von Céline, die als 16-Jährige nach Einnahme der Pille «Yasmin» eine Lungenembolie erlitt, nur knapp überlebte und seitdem pflegebedürftig ist. Ihr Fall beschäftigte die Öffentlichkeit.

Eine Entwicklung, dass sich das Thrombose-Risiko bei neuen Pillen wieder senken würde, ist bislang nicht auszumachen. Und Hilfe vom scheinbar starken Geschlecht auch nicht. Die Suche nach einer «Pille für den Mann» ist ein «Trial and Error»-Spiel. Im Vorjahr ist eine Untersuchung an über 300 Probanden gestoppt worden – trotz starker Statistiken, bei 95 Prozent der Tester funktionierte die «Pille», die in Tat und Wahrheit eine Spritze war.

Unangenehme Nebenwirkungen

Grund für den Übungsabbruch: Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Kopfweh, Muskelschmerzen, gesteigerte oder verminderte Libido. Keine Rede von Thrombose-Gefahr. Manche Frau mit Antibabypillen-Erfahrung wird die Stirn runzeln und sich denken: «Mit uns kann man es machen, mit dem Mann wohl nicht.» Der deutsche Pharmazie-Historiker Christoph Friedrich bestätigte im «Spiegel», dass dies wohl mit traditionellen Rollenbildern zu tun hat: «Noch in den Sechziger- und Siebzigerjahren herrschte eher die Überzeugung vor, dass die Frau für die Verhütung zuständig ist.» Ihre Verantwortung, ihr Körper. Ihr Baby.

Vor wenigen Wochen erklärte die deutsche You­tuberin Dagi Bee (22) ihren Followern ausführlich und frank und frei, dass sie jetzt lieber auf die Spirale setzt. «Ich bin jeden Morgen mit Kopfschmerzen aufgewacht, obwohl ich genügend getrunken und geschlafen habe.» Seit sie die Pille abgesetzt habe, sei es besser geworden. Das mag ihre persönliche Geschichte sein. Doch Dagi Bee hat 3,5 Millionen Follower, zu grossen Teilen Mädchen im Teenager-Alter. Das Bekenntnis des Social-Media-Stars hat vielleicht mehr Wirkung als eine Universitäts-Studie zum Thema.

Die Pille im Wandel der Zeit

Vor vierzig Jahren schrieb man über die Pille Country-Songs, man lobpreiste sie regelrecht für die Freiheit, die sie frau verlieh. Heute plaudert man über die Pille auf Youtube, zählt ihre negativen Auswirkungen auf und nimmt sich die Freiheit, sie abzusetzen. Zeiten ändern sich.

Was ist eine Thrombose?

Die medizinische Bezeichnung Thrombose benennt einen Gefässverschluss durch ein Blutgerinnsel. Mit der Entstehung eines Gerinnsels wird der Blutfluss gestört, was zur Unterversorgung bestimmter Körperregionen führen kann. Bei der Verstopfung eines Herzgefässes, spricht man von einem Herzinfarkt, beim Hirn von einem Schlaganfall. Thrombosen können sehr gefährlich sein und müssen schnell behandelt werden. Bei Risikopatienten werden oft Blut-verdünnende Medikamente verschrieben. Die Antibabypille kann das Thrombose-Risiko erhöhen. Deshalb sollte man sich vor der Einnahme gut von einer medizinischen Fachperson beraten lassen.

Die medizinische Bezeichnung Thrombose benennt einen Gefässverschluss durch ein Blutgerinnsel. Mit der Entstehung eines Gerinnsels wird der Blutfluss gestört, was zur Unterversorgung bestimmter Körperregionen führen kann. Bei der Verstopfung eines Herzgefässes, spricht man von einem Herzinfarkt, beim Hirn von einem Schlaganfall. Thrombosen können sehr gefährlich sein und müssen schnell behandelt werden. Bei Risikopatienten werden oft Blut-verdünnende Medikamente verschrieben. Die Antibabypille kann das Thrombose-Risiko erhöhen. Deshalb sollte man sich vor der Einnahme gut von einer medizinischen Fachperson beraten lassen.

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5 Alternativen zur Pille: Was gibt es für Verhütungsmittel?

1. Das Kondom
Es gehört zu den ältesten am häufigsten benutzten Verhütungsmethoden. Das Kondom schützt bei korrekter Benutzung zu 95% vor einer Schwangerschaft. Zudem hat es den Vorteil, dass es auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt.

2. Die Spirale
Es gibt zwei verschiedene Arten von Spiralen: Die hormonelle Spirale und die Kupferspirale. Beide Typen verhindern, dass sich die befruchtete Zelle im Uterus einnistet. Zudem erschweren sie den Spermien den Weg zur Eizelle. Beide Typen sind rezeptpflichtig und müssen von einer medizinischen Fachperson eingesetzt und kontrolliert werden.

3. Der Verhütungsring
Beim Verhütungsring handelt es sich um einen kleinen Plastikring, den sich die Frau selbst in die Scheide einsetzt. Der Ring enthält die gleichen Hormone wie die Antibabypille, seine Wirkungsweise ist daher sehr ähnlich und es kann zu den gleichen Nebenwirkungen kommen.

4. Spermizide
Spermizide gehören in die Gruppe chemischer Verhütungsmittel werden häufig in Kombination mit anderen Verhütungsmitteln eingesetzt. Alleine bieten sie keinen ausreichenden Schutz vor Schwangerschaft. Es gibt sie in Form von Cremes, Gels, Zäpfchen oder Tabletten, die in der Regel kurz vor dem Geschlechtsverkehr in die Scheide eingeführt werden müssen.

5. Der Verhütungsschwamm
Auch der Verhütungsschwamm gehört zu den chemischen Verhütungsmitteln. Er verhindert, dass die Spermien in den Muttermund gelangen. Frauen können ihn selbst einsetzen und sollten ihn bis mindestens 6 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr und nicht länger als 24 Stunden in der Scheide lassen.

1. Das Kondom
Es gehört zu den ältesten am häufigsten benutzten Verhütungsmethoden. Das Kondom schützt bei korrekter Benutzung zu 95% vor einer Schwangerschaft. Zudem hat es den Vorteil, dass es auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt.

2. Die Spirale
Es gibt zwei verschiedene Arten von Spiralen: Die hormonelle Spirale und die Kupferspirale. Beide Typen verhindern, dass sich die befruchtete Zelle im Uterus einnistet. Zudem erschweren sie den Spermien den Weg zur Eizelle. Beide Typen sind rezeptpflichtig und müssen von einer medizinischen Fachperson eingesetzt und kontrolliert werden.

3. Der Verhütungsring
Beim Verhütungsring handelt es sich um einen kleinen Plastikring, den sich die Frau selbst in die Scheide einsetzt. Der Ring enthält die gleichen Hormone wie die Antibabypille, seine Wirkungsweise ist daher sehr ähnlich und es kann zu den gleichen Nebenwirkungen kommen.

4. Spermizide
Spermizide gehören in die Gruppe chemischer Verhütungsmittel werden häufig in Kombination mit anderen Verhütungsmitteln eingesetzt. Alleine bieten sie keinen ausreichenden Schutz vor Schwangerschaft. Es gibt sie in Form von Cremes, Gels, Zäpfchen oder Tabletten, die in der Regel kurz vor dem Geschlechtsverkehr in die Scheide eingeführt werden müssen.

5. Der Verhütungsschwamm
Auch der Verhütungsschwamm gehört zu den chemischen Verhütungsmitteln. Er verhindert, dass die Spermien in den Muttermund gelangen. Frauen können ihn selbst einsetzen und sollten ihn bis mindestens 6 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr und nicht länger als 24 Stunden in der Scheide lassen.

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Zur Geschichte der Pille

Erste Erfolge auf dem Weg zur Erfindung der Antibabypille wurden bereits 1929 und 1934 gefeiert: Wissenschaftlern in den USA gelang die Isolierung von Östrogen. Bereits 1945 wurden in Mexiko-Stadt zum ersten Mal Hormone künstlich hergestellt. Ab 1957 wurden in den USA 41% der verheirateten Frauen unter 30 mit der Pille Enovid gegen Menstruationsbeschwerden behandelt. Sie giltet als «die erste Pille». Ab 1960 erfolgte die Zulassung von Inovit als erstes hormonelles Verhütungsmittel. Noch in den 60er Jahren kam die Pille auch in die Schweiz.

Die Euphorie um die Pille und die damit verbundene Geburtenkontrolle war riesig: Bereits im Sommer 1967 setzen knapp 13 Millionen Frauen weltweit auf die Pille. Mit dem Aufkommen von Aids in den 80er Jahren kam die Wende: Die Pille hatte dem Kondom gegenüber den Nachteil, dass sie nicht vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt, trotzdem blieb die Pille bis heute populär. In der Öffentlichkeit wurde durch das Bekanntwerden von Nebenwirkungen und deren schwere Folgen die Diskussion um die Einnahme der Pille neu entfacht. Hersteller, Betroffene und Kritiker begannen sich um den hormonellen Eingriff bei Frauen durch die Pille zu streiten.

Erste Erfolge auf dem Weg zur Erfindung der Antibabypille wurden bereits 1929 und 1934 gefeiert: Wissenschaftlern in den USA gelang die Isolierung von Östrogen. Bereits 1945 wurden in Mexiko-Stadt zum ersten Mal Hormone künstlich hergestellt. Ab 1957 wurden in den USA 41% der verheirateten Frauen unter 30 mit der Pille Enovid gegen Menstruationsbeschwerden behandelt. Sie giltet als «die erste Pille». Ab 1960 erfolgte die Zulassung von Inovit als erstes hormonelles Verhütungsmittel. Noch in den 60er Jahren kam die Pille auch in die Schweiz.

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