Schikane unter Kindern
Das können Eltern bei Mobbing in der Schule tun

Wenn normale Streitereien unter Schülern wiederholt gegen ein Kind gehen, spricht man von Mobbing. Wie können Eltern reagieren? Der Leiter der Fachstelle für Gewaltprävention bei der Stadt Zürich gibt wertvolle Tipps.
Publiziert: 13.11.2020 um 10:36 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2021 um 09:48 Uhr
Anne Grimshaw

«Mobbing kommt dort vor, wo viele Menschen aufeinandertreffen und sich den Situationen nicht einfach entziehen können», sagt Alfred Felix (58), Leiter der Fachstelle für Gewaltprävention bei der Stadt Zürich, zu BLICK. Bei Kindern heisst das vor allem: In der Schule, wenn gerade keine erwachsene Person zuschaut, also auf dem Schulweg oder in der Pause.

Wenn Eltern erkennen, dass ihr Kind gemobbt wird, ist es oft schwierig, einzugreifen. Nicht selten weigert sich auch das eigene Kind, Hilfe anzunehmen – aus Angst vor noch mehr Schikane.

Mobbing erkennen

Was unterscheidet Mobbing von gewöhnlichen Streitereien? Felix erklärt: «Mobbing geschieht dann, wenn negative, schädigende Handlungen nicht einmalig, sondern wiederholt und systematisch gegen ein Kind zur Anwendung kommen.»

Besonders in der Schule, wenn keine erwachsene Person dabei ist, kann Mobbing entstehen.
Foto: Getty Images
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Auch zu Hause gibt es Warnzeichen: «Typischerweise zieht sich ein Kind zurück, macht seltener mit Freunden ab und das soziale Umfeld, in dem es sich wohlfühlt, wird kleiner», so der Experte. In ausgeprägten Fällen zeigen sich weitere Auffälligkeiten, wie das Klagen über Kopfschmerzen, ängstliches, unsicheres, nervöses Verhalten oder Unkonzentriertheit.

Es kann auch dazu kommen, dass Kinder ihr Schulmaterial nicht mehr finden oder einen Leistungsabfall in der Schule erleben, wie Felix ausführt. Das gehe bis hin zur Angst, überhaupt in die Schule zu gehen. Auch wenn diese Zeichen auf Mobbing hindeuten, können sie natürlich auch andere Ursachen haben. «Man sollte aber auf jeden Fall ganz genau hinschauen», stellt Felix klar.

Kann ich mein Kind vor Mobbing schützen?

Die harte Wahrheit nimmt der Experte gleich vorweg: «Vor Mobbing ist niemand komplett geschützt». Aber man könne dem Kind Möglichkeiten und Lösungsstrategien auf den Weg geben, damit es im Ernstfall souveräner auf Angriffe reagieren kann. «Das Selbstvertrauen eines Kindes ist wichtig, aber auch, dass es anderen klar ‹Stopp› sagen kann, wenn ein Witz nicht mehr lustig ist», meint Felix. «Es war ja nur Spass» – diese Aussage hört er bei seiner Arbeit mit Schulklassen nämlich oft als Rechtfertigung. Mobbing entwickelt sich häufig schleichend und kann tatsächlich aus einem anfänglichen Spass entstehen.

In Mobbing-Situationen können auch Kinder in passiver Rolle der gemobbten Person schaden, indem sie nicht eingreifen. Das sind die sogenannten Bystander. Diese werden von den Mobbing-Ausübenden in Ruhe gelassen. Die passiven Bystander mischen sich nicht ein, solidarisieren sich aber auch nicht mit dem Opfer. Bystander unterstützen in der Rolle von Verstärkern und Verstärkerinnen die Verhaltensweise der Mobbenden und deren Mitläufer.

«Leider kommt es immer wieder vor, dass Kinder, die sich positiv für andere einsetzen und Zivilcourage beweisen, selbst zum Mobbingopfer werden», erklärt Felix.

Gemobbt – und jetzt?

Wird das eigene Kind gemobbt, sollte man dies unbedingt mit ihm besprechen. Etwas gilt es aber zu beachten: «Eltern sollen mit dem Kind und nicht anstelle des Kindes handeln. Das heisst: niemals ohne dessen Einverständnis eingreifen», so Felix. Denn mit Alleingang-Aktionen der Eltern sei dem Kind selten geholfen. Stattdessen leide das Vertrauensverhältnis und das Kind erzähle den Eltern nichts mehr.

«Die Eltern müssen dem Kind zeigen, dass sie auf seiner Seite stehen und ihm keine Vorwürfe machen. Auch sollen keine Vorhaltungen geäussert oder die Situation verharmlost werden. Gemeinsam können Lösungspläne geschmiedet werden, die das Kind nachvollziehen kann», erklärt der Experte. Das kann beispielsweise ein Gespräch mit der Lehrperson oder der Schulsozialarbeiterin sein. «Ein Schulwechsel, auch wenn ihn das Kind wünscht, sollte in der Regel nicht die angestrebte Lösung sein. So lässt man die mobbenden Kinder nur gewinnen und bestärkt sie in ihrem Tun. Ihnen werden keine Grenzen gesetzt», rät Felix.

Lediglich in zwei Fällen sieht er die Notwendigkeit, dass die Eltern eingreifen: «Zum einen sollte man sicherstellen, dass von Mobbing im Internet Screenshots gemacht werden. So hat man im Notfall klare Beweise, die unter Umständen auch strafrelevant sein können.» Die zweite Ausnahme sieht Felix dann, wenn die körperliche Unversehrtheit des Kindes bedroht ist: «Bei physischer Gewalt dürfen Eltern nicht wegschauen. Die nötigen Schritte sollten aber auch in diesem Fall mit dem Kind besprochen werden. Auch sollte das von Mobbing betroffene Kind nicht im Mittelpunkt stehen und keine Grossaktionen vor versammelter Klasse gestartet werden. Der Schutz der von Mobbing-Betroffenen hat oberste Priorität».

Wenn das eigene Kind mobbt

Auch das eigene Kind kann zum Täter werden. «Damit dies nicht passiert, müssen Erwachsene ihrem Nachwuchs Vorbilder sein», weiss Felix. Das heisst, eine klare Haltung gegenüber Gewalt und Grenzüberschreitungen einzunehmen und Werte zu definieren.

Wichtig sei zudem, die Hintergründe des Mobbings zu erfahren. «Mobbende haben zum Ziel, ihren Status zu verbessern. Sie haben erfahren, dass sie mit rücksichtslosem Verhalten ihre eigenen Ziele erreichen. Gegebenenfalls überwinden sie auch eine persönliche Überforderung und Hilflosigkeit», sagt der Experte. Ist diese Erkenntnis einmal da, kann man gemeinsam nach sinnvollen Möglichkeiten suchen, um diese Dynamiken zu beenden.

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