Weshalb diese Leser ihre Lehre hinschmissen
«Der Chef hat mir die Hand in die Fritteuse gehalten»

Eine Ausbildung ist kein Zuckerschlecken. Handwerkslehren werden am häufigsten abgebrochen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Leserinnen und Leser haben uns erzählt, weshalb sie ihre Ausbildungen hinschmissen.
Publiziert: 03.07.2019 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2019 um 12:33 Uhr
Janosch Tröhler

Der Schweiz fehlen die Handwerker. Über 42'000 Stellen sind frei, wie eine Untersuchung von BLICK zeigt. Und der Nachwuchs fehlt: Für viele Junge ist es nicht mehr attraktiv genug, in einen handwerklichen Beruf einzusteigen. Die Lehre kann richtig hart sein. «Die Bäcker-Ausbildung besteht man nicht ohne eine grosse Portion Leidenschaft», sagt Urs Wellauer, Direktor des Bäckerverbands SBC, dem BLICK.

Dazu kommt, dass Handwerker-Ausbildungen eher abgebrochen werden. Spitzenreiter ist Coiffeur mit 41,9%, danach folgt der Carrossierspengler mit 40,6%, dicht gefolgt vom Plattenleger mit 40,4%. Das Bundesamt für Statistik erfasste für eine Statistik 2012 fast 60'500 Lernende, die in jenem Sommer ihre Ausbildung begannen. 17% von ihnen brachen eine Lehre ab, als über 10'000 junge Menschen.

Die Gründe für den Lehrabbruch sind vielfältig. BLICK hat Leserinnen und Leser gefragt, weshalb sie ihre Ausbildungen abgebrochen haben. Das sind ihre Schilderungen.

Egal ob Bäcker oder ...
Foto: imago/Westend61
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«Mehrmals 11,5 Stunden gearbeitet»

Beni* fing eine Lehre als Bäcker-Konditor an. «Am ersten Tag wurde ich direkt angeschrien. Es wurde mir mitgeteilt, dass ich einfach nur zu arbeiten und zu fragen hätte», schreibt er. Nachdem sich das Verhältnis mit seinem Chef weiter verschlechterte, brach er die Ausbildung ab.

Doch Beni ist nicht der Einzige, der den Chef als Hauptgrund für den Abbruch nennt. Simon* hat seine Lehre als Detailhändler 2014 abgebrochen. Sein Chef hatte ihm im ersten Monat 20 Minusstunden eingeschrieben. «In den nächsten zwei Monaten habe ich mehrmals 11,5 Stunden am Stück gearbeitet, aber trotzdem hielt sich mein Stundensaldo im Minus auf», erzählt er. Als Simon ihn darauf ansprach, wich der Chef aus und sei in sein Büro «abgehauen». Auf das Ende der Probezeit kündigte Simon seinen Vertrag auf, doch es kam fast noch zu einem juristischen Nachspiel.

Auch Mike* und sein damaliger Chef gerieten aneinander. Nachdem Mike seine Lehre zum Automonteur abgeschlossen hatte, entschied er sich für eine Zusatzausbildung zum Automechaniker. «Obwohl ich einen Tag Schule hatte, erwartete mein Chef die gleiche Leistung», schreibt er. Weil er dies nicht schaffte, drohte man ihm mit der Kündigung. Erfolglos suchte Mike eine Werkstatt, die ihn anstellen würde. «Als ich nichts fand, habe ich die Zusatzausbildung abgebrochen.»

«Lehrlinge wurden täglich angeschrien»

Noch brutaler sind die Schilderungen von Timon*. Er hat die Lehre als Bäcker abgebrochen, nachdem er vom neuen Inhaber stark gemobbt wurde. «Die Bäckerei wurde für mich zum schlimmsten Ort. Der Inhaber hat mir die Hand in die Fritteuse gehalten, weil die Berliner nicht rechtzeitig fertig waren.»

Körperliche Gewalt erlebte auch Peter* in seiner Ausbildung zum Kunststofftechnologen. «Maschinenführer wurden teilweise handgreiflich mit Fusstritten. Ich hatte keinen Mut, mich zu wehren, weil ich fürchtete, die Lehrstelle zu verlieren. Was dann?»

Leserinnen und Leser berichten aber nicht nur von körperlicher Gewalt in der Lehre. Der psychologische Druck ist ebenso hoch. Während heute manche Eltern ihre Kinder ins Gymnasium drängen, war es früher dasselbe mit gewissen Berufen. Elmar* schreibt, er hätte Bäcker-Konditor gelernt, weil er es musste. «Meine Eltern hatten eine Bäckerei-Konditorei. Sie wollten unbedingt, dass ich das Geschäft weiterführe.» Kurz nach der Lehre wurde der Druck so hoch, dass er eine Mehlallergie entwickelte. «Ich habe eine Umschulung als Krankenpfleger mit Schwerpunkt Psychiatrie gemacht. Ich arbeite nun seit 1989 in der Pflege und liebe meinen Beruf», erzählt er.

Carola* berichtet von ihrem Sohn, der die Ausbildung zum Elektroinstallateur erfolgreich und regulär bestanden hat. Allerdings: «Schon in den ersten Monaten wurden die Lehrlinge von einzelnen überforderten Vorgesetzten massiv vulgär beleidigt und täglich angeschrien.» Solche Vorgesetzte, ist sie überzeugt, seien in jedem nicht-handwerklichen Beruf längst entlassen worden. «Momentan hat mein Sohn völlig die Freude am Beruf verloren.»

«Die Arbeit war toll, aber der Lohn zu niedrig»

Markus* hat seine Maurerlehre abgebrochen, weil wie ein normaler Angestellter arbeiten musste. «Ich kam mir vor wie eine billige Arbeitskraft», schildert er. Heute hat er eine eigene Firma und sagt: «Ich habe nur schlechte Erfahrungen mit den sogenannt qualifizierten Arbeitern gemacht. Erfahrung ist mehr wert als ein Diplom.»

Das Geld war auch der Grund, weshalb Ivo* seine Lehre zum Forstwart nach zwei Jahren hinschmiss. «Die Arbeit war toll und hat mir gefallen, aber der Lohn war einfach zu niedrig», sagt er. Würde man den Handwerkern finanziell mehr bieten, gäbe es keinen Mangel, meint er. Für Ivo ist auch klar, dass viele gerne ein Handwerk machen würden, anstatt im Büro zu sitzen. Doch jetzt ist er selbst seit sechs Jahren in einem Bürojob. «Für mich eine einfache Rechnung: Mehr Lohn, besserer Arbeitsbedingungen, angenehmeres Arbeitsklima, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und keinen geschändeten Körper im Alter. Wir fragen uns, wieso die Handwerker fehlen? Ist doch offensichtlich!»

Cornelia* begann nach einer ersten Ausbildung zur Malerin eine weitere Lehre als Plattenlegerin. «Ich wurde verdonnert, ein halbes Jahr Grundputz zu machen. Ich verdiente 1500 Franken brutto.» In den Kursen wurde sie immer als «die Malerin» angesprochen. Cornelia hatte dann die Nase voll. Heute arbeitet sie wieder als Malerin.

«Es gibt immer einen Weg»

Dass ein Lehrabbruch nicht das Ende der Welt bedeutet, erzählen uns die Leserinnen und Leser aber auch. Marco* wusste mit 15 nicht, was er für eine Ausbildung machen sollte. Sein Vater fand eine Lehrstelle in einer Spenglerei. «Nach einem Jahr schmiss ich hin, weil es einfach nichts für mich war», sagt er. Heute arbeitet er als Risk Manager bei einer Bank und macht Mut: «Es gibt immer einen Weg.»

Und Roland* hält ein Plädoyer fürs Durchhalten. «Ich wollte meine Lehre als Koch 1980 abbrechen, weil ich nicht mit dem Küchenchef klar kam.» Seine Eltern suchten dann das Gespräch mit dem Patron des Hotels. Unter einem neuen Küchenchef konnte Roland die Lehre erfolgreich abschliessen. Später schulte er sich weiter und machte Karriere als Einkaufsleiter für Lebensmittelrohstoffe. Sein Fazit: «Nicht gleich alles hinschmeissen, sondern durchbeissen. Es lohnt sich.»

* Namen der Redaktion bekannt

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