Russische Soldaten beschuldigen Kommandanten
«Wurden illegal eingesperrt, weil wir nicht kämpfen»

Erstmals seit Ausbruch des Krieges sind offizielle schriftliche Beschwerden von russischen Soldaten aufgetaucht. Die Dokumente zeigen: Wer nicht kämpfen will, muss ins Gefängnis.
Publiziert: 03.08.2022 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 05.08.2022 um 09:59 Uhr

Schon wieder gibt es Ärger innerhalb der russischen Armee. Eine Gruppe von Soldaten erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre Kommandanten. Diese hätten sie in ein Gefängnis in der Ostukraine gesteckt, weil sie sich geweigert hätten, an der Front zu kämpfen.

Wie der «Guardian» unter Berufung auf einen Anwalt in Moskau berichtet, hätten mindestens vier russische Soldaten Beschwerde eingereicht. «Wir haben bereits eine Liste mit Namen von rund 70 Soldaten, die von ihren Kommandanten eingesperrt wurden. Wir gehen davon aus, dass insgesamt rund 140 Soldaten vorübergehend wegen Befehlsverweigerung hinter Gitter mussten», berichtet der Anwalt.

Bewacht von Wagner-Miliz

In einem der Beschwerdeschreiben, das dem «Guardian» vorliegt, beschreibt ein Soldat, dass er rund eine Woche ins Gefängnis musste. Er habe sich geweigert, auf das Schlachtfeld zurückzukehren, und sei daraufhin in «verschiedenen Zellen im Gebiet rund um Luhansk» eingesperrt worden.

Russische Soldaten, die nicht kämpfen wollen, kommen ins Gefängnis.
Foto: keystone-sda.ch
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«Aufgrund der meiner Meinung nach taktischen und strategischen Fehler meiner Befehlshaber ... und ihrer völligen Missachtung von Menschenleben ... habe ich mich entschlossen, die Militäroperation nicht fortzusetzen», beschreibt einer der Soldaten. Daraufhin sei er mit 25 anderen Soldaten in einen Raum eingesperrt worden. Essen hätten sie kaum erhalten, ein Mal pro Tag sei ihnen Nahrung gereicht worden.

Bewacht worden sei die Soldaten-Gruppe von drei Mitgliedern der gefürchteten Wagner-Gruppe. Die Wagner-Miliz ist eine gefürchtete Söldner-Gruppe aus Russland. «Putins Schattenarmee», wie die Truppe auch genannt wird, ist eng mit dem russischen Präsidenten verzahnt. Offiziell gibt es die Miliz nicht, denn privates Söldnertum ist in Russland verboten. Die Wagner-Gruppe operiert daher unter dem Deckmantel einer privaten Sicherheitsfirma.

Druck oder plötzliches Verschwinden

«Die Wagner-Jungs haben uns gesagt, dass sie Minen auf dem Gelände platziert hätten. Wer versuche, zu fliehen, werde als Feind angesehen und auf der Stelle erschossen», so der Soldat weiter. Nebst dem wenigen Essen sei auch die mangelnde Hygiene ein grosses Problem gewesen.

Immer wieder seien die Kommandanten zu den Soldaten gekommen und hätten Druck ausgeübt. «Sie wollten, dass wir unsere Meinung ändern und wieder auf das Schlachtfeld zurückkehren», schreibt er. «Einige Soldaten wurden unter Androhung von Gewalt an einen unbekannten Ort gebracht. Wir haben sie nicht wieder gesehen.»

Handelte der Kreml illegal?

Richterliche Dokumente hätten sie während der ganzen Zeit nicht erhalten. «Wir wurden illegal eingesperrt, weil wir nicht kämpfen», schrieb der Soldat in seiner Beschwerde. Er selbst habe das Gefängnis verlassen können, nachdem ihn ein Doktor aufgrund seiner Kriegsverletzungen in ein Spital überwiesen hatte.

Auch einer der Anwälte sagt gegenüber der Zeitung, dass die Soldaten nicht verhaftet oder gar eingesperrt werden dürfen. Der Kreml habe der Ukraine bislang nicht offiziell den Krieg erklärt. Das bedeute, dass Soldaten zwar entlassen werden dürfen, wenn sie nicht kämpfen wollen. Eine Verurteilung oder Haftstrafe sei aber gegen das Gesetz.

Die Beschwerden der Soldaten sind laut dem «Guardian» die ersten offiziellen Dokumente, die aufzeigen, dass russische Soldaten bei einer Verweigerung des Kampfes bestraft werden. Bereits seit längerem halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass die Moral innerhalb der russischen Truppen weiter sinkt und auf einem neuen Tiefpunkt angelangt ist. (zis)

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