Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
«Parlamentarier – kümmert euch um Uber»

Die gute Nachricht zuerst: Uber-Fahrer haben Anrecht auf Sozialbeiträge. Nun die schlechte: Das haben Bundesrichter entschieden. Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein.
Publiziert: 24.06.2022 um 09:28 Uhr
Werner Vontobel

Auch eine Marktgesellschaft braucht gewisse Grundwerte und Grundüberzeugungen. Dazu gehört, dass alle von nützlicher Arbeit zwar nicht gut, aber mindestens anständig leben können soll. Das bedeutet auch, dass man eine Familie gründen und sich mit 65 pensionieren lassen kann. Weil dies der Markt allein nicht leistet, gibt es die Sozialwerke mit ihren obligatorischen Beiträgen. Damit wird sichergestellt, dass alle, die eine Leistung in Anspruch nehmen, dafür auch anständig bezahlen.

Das hat auch den moralischen Vorteil, dass ich als Migros- oder Coop-Kunde kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn ich der Frau an der Kasse kein Trinkgeld bezahle. Ihr anständiger Lebensunterhalt ist im Preis einkalkuliert.

Als Bürger nicht wegschauen

Umgekehrt heisst das aber auch, dass ich als Bürger dieser Marktgesellschaft nicht wegschauen darf, wenn die Sozialbeiträge systematisch unterlaufen werden. Eine Fahrt im Uber-Taxi ist nur deshalb so billig, weil all die zur Finanzierung eines anständigen Lohns nötigen Sozialbeiträge wegfallen. Das sind mit AHV, Arbeitslosenbeitrag und Pensionskasse gut 25 Prozent. Das gilt im Prinzip für alle Jobs, die über eine elektronische Plattform vermittelt werden.

Wirtschaftsexperte Werner Vontobel schreibt, ...
Foto: Paul Seewer
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Gewiss: Man kann argumentieren, dass Plattformen gemäss dem geltenden Gesetz keine Arbeitgeber, beziehungsweise dass Uber-Fahrer als selbständig gelten und deshalb ihre Sozialbeiträge selber abführen und einkalkulieren müssen. Doch der juristische Unterschied zwischen selbständig und angestellt ist in einer Zeit gemacht worden, als es noch keine Plattform-Arbeit gab.

Und das Obligatorium der Sozialbeiträge hat den Zweck, dass die Lebenshaltungskosten der Arbeiter auf die Konsumenten abgewälzt werden, also auf die, die Arbeit in Anspruch nehmen. Mit der «selbständigen» Plattform-Arbeit wird das unterlaufen.

Unterklasse wächst in der Schweiz

In der Schweiz wächst eine Unterklasse von Mitbürgern heran, die in allen Wechselfällen des Lebens auf Staatshilfe angewiesen sind. Die Plattform-Arbeit unterminiert das moralische und rechtliche Fundament unserer Marktwirtschaft.

Die Bedrohung, in einer unsolidarischen Gesellschaft zu leben, wiegt viel schwerer als die 9.50 Franken, die ich dank einer billigen Taxifahrt sparen kann. Deshalb sind wir alle als Staatsbürger gefordert. Das gilt erst recht für die von uns gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Sie dürfen sich nicht länger hinter den Richtern verstecken, sondern müssen endlich ihre Hausaufgaben machen. Das Problem der scheinselbständigen Plattform-Arbeit muss politisch gelöst werden.

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