«Ich habe Szenen im Kopf, die ich lieber vergesse
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Migros-Chef Zumbrunnen:«Ich habe Szenen im Kopf, die ich lieber vergesse

Migros-Chef Zumbrunnen
«Ich habe Szenen im Kopf, die ich lieber vergesse»

Die Migros wurde in den ersten Tagen des Lockdowns vom Ansturm der Kunden überrumpelt, sagt Fabrice Zumbrunnen (50) im grossen Interview mit BLICK. Hat der Migros-Chef die Lage wieder im Griff?
Publiziert: 09.05.2020 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2020 um 07:56 Uhr
Interview: Ulrich Rotzinger, Philippe Rossier (Fotos)

Der Lift geht hoch bis in den 19. Stock der Migros-Zentrale in Zürich. Fast alle am Hauptsitz sind im Homeoffice. Im grossen Sitzungszimmer gleich neben seinem Büro empfängt Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen (50) seinen Besuch – mit einer leichten Verbeugung und obligatem Abstand. Er selbst sei seit dem Lockdown praktisch täglich hier im Büro oder an der Front gewesen. «Keine Sorge, ich bin gesund», sagt er zu Mundschutz und Desinfektionsmittel, die BLICK zum Interview mitgebracht hatte.

BLICK: Herr Zumbrunnen, haben Sie auch schon eine Hygienemaske getragen?
Fabrice Zumbrunnen: Bisher noch nicht. Ich habe mir aber Masken besorgt, falls ich in vollen Zügen, Trams oder Postautos unterwegs sein sollte.

Sie arbeiteten im Homeoffice?
Nein. Ich habe seit dem Lockdown praktisch immer im Büro in der Migros-Zentrale gearbeitet. Ich brauche den direkten Kontakt, man spürt Emotionen viel besser. Für mich ist es auch selbstverständlich, dass ich nahe bei unseren Leuten bin, wenn so viele Kolleginnen und Kollegen an der Front arbeiten. Aber ich war immer mit dem Auto unterwegs. Und wenn ich den nötigen Abstand halten kann, sehe ich keinen Grund dafür, eine Maske anzuziehen.

Migros-Zentrale am Limmatplatz in Zürich: Fabrice Zumbrunnen (50) hat sein Büro im 19. Stock des Hochhauses.
Foto: Philippe Rossier
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Ihr Personal an der Front trägt teilweise Masken. Wäre es nicht sinnvoll, für alle im Laden eine dringende Maskenempfehlung auszugeben?
Wir stellen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gratis Masken zur Verfügung, wenn sie eine Maske anziehen wollen. Aber ohne Druck auszuüben. Ich sehe keinen Anlass dazu, nun eine dringende Maskenempfehlung auszugeben.

Mit «alle» meine ich auch die Kunden, die eine Filiale betreten.
Wir machen, was die Spezialisten des Bundesamts für Gesundheit für richtig halten. Dazu gehören Sicherheitsmassnahmen wie Plexiglasscheiben an den Kassen, Abstandsmarkierungen oder Desinfektionsmittel an den Eingängen, aber keine Maskenpflicht. Wenn sich Kunden im Laden mit Maske besser fühlen, können sie gerne eine anziehen.

Haben sich viele Migros-Angestellte mit dem Coronavirus infiziert?
Im Gegenteil, die Zahl der Ansteckungen ist sehr tief. Wir sprechen da von ein paar Dutzend Fällen – und das bei über 89'000 Mitarbeitenden in der Schweiz.

Der Bund hat die Migros zur offiziellen Maskenverteilstelle auserkoren. Warum verkaufen Sie dann nicht überall den Gesichtsschutz?
Das sollten wir aber (lacht). Wir haben mit dem Verkauf in allen Filialen eben erst begonnen, darum bitte ich um Nachsicht. In der Migros in La Chaux-de-Fonds, wo ich wohne und samstags einkaufe, hat es zum Beispiel mehr als genug Masken.

Das wundert mich jetzt nicht. Doch selbst in der Riesenfiliale am Migros-Hauptsitz bekommt man derzeit keine!
Je nach Standort sind die Masken im Nu ausverkauft. Wir können uns das auch nicht immer erklären. Vielleicht liegt es daran, dass die grosse Lockerung am Montag bevorsteht und die Leute sich aus Vorsicht mit einem Masken-Vorrat eindecken. Viele kehren aus dem Homeoffice ins Geschäft zurück. Ich kann aber alle beruhigen: Wir haben genug bestellt, es gibt keinen Maskenengpass. In vielen Fällen ist innerhalb von 24 Stunden Nachschub da.

Wie haben Sie den Lockdown erlebt? Ihre Lebensmittelläden waren immer geöffnet.
Freitag, der 13. März. Es war für uns der schwierigste Tag des Lockdowns. Ich habe Szenen und Bilder im Kopf, die ich lieber vergessen möchte. Als ich die Bundesratskonferenz verfolgte, hatte ich bereits ein mulmiges Gefühl. Ich dachte: Jetzt passiert gleich etwas. Wenig später wurden unsere Läden überrannt. Viele Kunden türmten ihre Wägeli voll mit Mehl, Reis, Pasta und WC-Papier. Da waren auch sehr viele Emotionen im Spiel, einige Kunden wurden richtig nervös.

Wurde Ihr Verkaufspersonal auch nervös?
Ich bewundere unsere Mitarbeitenden im Laden, wie geduldig und verständnisvoll sie geblieben sind. Für den grossartigen Einsatz aller Kolleginnen und Kollegen vor und hinter den Kulissen bin ich sehr dankbar.

Ihr Migros-Imperium wurde vom Corona-Shutdown erschüttert. Haben Sie die Situation wieder im Griff?
Der erste Ansturm hat uns überrumpelt. Doch schon wenige Tage später hatten wir die Lage wieder im Griff. Die Kunden gewöhnten sich schnell an die neuen Regeln und bringen jetzt viel mehr Geduld mit.

Ihre Online-Shops waren dem Ansturm nicht gewachsen. Bei LeShop warte ich immer noch über zehn Tage auf ein Bestellfenster.
Die Bestellvolumen haben sich in den letzten Wochen verfünffacht, nein verzehnfacht. Alle wollten plötzlich Lebensmittel online kaufen. Wenn Sie wie in den ersten Tagen 100-mal mehr Bestellungen bekommen als zuvor, muss sich die ganze Logistik erst einmal darauf einstellen. Mit einer solchen Entwicklung hatte ich erst in zwei Jahren gerechnet.

Haben Sie eine Erklärung für die Hamsterkäufe von WC-Papier?
Das habe ich nicht (lacht). Die europäischen Statistiken zeigen mir aber, dass die Schweiz beim WC-Papier-Hamstern kein Einzelfall ist. Und in Mexiko etwa ist WC-Papier kein Thema. Dort lachte man über Europa. Es gibt eben kulturelle Unterschiede.

Immer wieder stehen die Kunden auch heute vor leeren Regalen. Bei Ihnen in Zürich gehen andauernd die Kompostierbeutel aus.
Was wir als fixfertige Convenience-Produkte verkaufen, dazu gehören abgepackte Salate oder Mikrowellenessen, funktioniert gerade nicht mehr. Die Leute sind zu Hause, haben mehr Zeit zum Kochen und kaufen darum mehr Frischprodukte wie Gemüse und Fleisch. Ich möchte aber nochmals betonen, es gibt auch heute keinen Engpass an Lebensmitteln. Es hat genug, und der Nachschub ist gesichert. Auch wenn wir derzeit immer noch in einer Ausnahmesituation sind, ist es nicht notwendig, Reserven anzulegen, die weit über einen normalen Vorrat hinausgehen. Kurz: Hamsterkäufe sind absolut unnötig.

Obst und Gemüse ist ein gutes Stichwort. Nicht nur vor den Supermärkten, auch hier staut es sich immer wieder. Es wird teilweise gedrängelt. Auch beim Fleisch. Spielen Ihre Verkäuferinnen jetzt auch noch Polizist?
Ich teile diesen Eindruck nicht. Der Grossteil der Leute hält sich an die Hygieneregeln. Sie machen mit. Wir brauchen keine Aufpasser im Laden und fangen schon gar nicht an, Polizei zu spielen. Ich glaube an eine gewisse soziale Kontrolle. Ich habe schon beobachtet, wie Kunden sich höflich gegenseitig auf den nötigen Abstand aufmerksam machten.

Spüren Sie bei den Kunden auch eine gewisse Corona-Müdigkeit bei der Einhaltung der Vorsichtsmassnahmen?
Das spüre ich noch nicht. Doch ich sehe wie alle die Gefahr einer zweiten Ansteckungswelle auf uns zurollen. Darum macht es auch Sinn, dass Bundesrat Alain Berset und die Experten die Bevölkerung weiter warnen und betonen, dass wir aufpassen und uns dringend an die Sicherheitsmassnahmen halten müssen.

Die Disziplin lässt nicht nach?
Niemand will so einen Shutdown nochmals erleben. Der Wunsch, wieder ein normales Leben zu haben, ist die grösste Motivation, diszipliniert zu bleiben. Die Schweizerinnen und Schweizer sind es. Sie müssen das aber auch in den nächsten Monaten bleiben.

Dann müssen Konsumenten sich an Plexiglasscheiben und Abstandszonen im Laden gewöhnen?
Wenn eine zweite Welle kommt, müssen wir alles tun können, um die Effekte zu dämpfen. Braucht es die Sicherheitsmassnahmen noch 12, vielleicht sogar 18 Monate? Wir wissen es nicht. Wir brauchen Geduld. Nicht nur beim Warten vor den Läden oder an der Kasse.

Sind Sie ein geduldiger Mensch?
Na, ja. Je nachdem (lacht). Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Aber ohne Geduld, Bescheidenheit und Verständnis für Schwierigkeiten kommen sie in meiner Position nicht weit. Es geht nicht immer alles auf Knopfdruck.

Zuletzt gingen Ihre Gartencenter und Baumärkte auf. Auch da brauchte man Geduld!
Der Ansturm war zu erwarten. Hier gab es einen massiven Nachholbedarf. Das haben wir auch an den Einnahmen gesehen. Wir haben die Umsätze verdoppelt. So eine gute Woche haben wir in der ganzen Geschichte der Migros noch nie gesehen nach der Gartencenter-Öffnung. Das vermag jedoch die Einbussen der letzten zwei Monate nicht annähernd aufzuwiegen.

Die grosse Wiedereröffnung aller Läden steht am Montag an. Haben Sie vorgesorgt?
Wir sind bereit, die Lager sind mehr als gefüllt. Ich rechne nicht mit einem riesigen Ansturm, aber mit guten Umsätzen. Die Konsumenten müssen erst ihre Freude am Einkaufen wieder entdecken. Das kann etwas dauern.

Die Stimmung der Konsumenten ist so schlecht wie seit 30 Jahren nicht mehr. Viele sind auf Kurzarbeit oder fürchten um ihren Job. Auch bei der Migros?
In der Gastronomie, bei den Fitnessstudios und beim Reiseanbieter Hotelplan haben wir Kurzarbeit. Wir bezahlen dabei unseren Mitarbeitenden weiterhin den vollen Lohn. Kurzarbeit gab es bislang noch nie in der Migros-Geschichte.

Kommt es wegen der Corona-Krise zu Entlassungen?
Die Läden dürfen jetzt wieder öffnen, das gibt uns Vertrauen. Es gibt aber leider in vielen Bereichen noch viele Unsicherheiten, wie zum Beispiel in der Reisebranche.

Studien rechnen in diesem Jahr – ausser bei den Lebensmitteln – mit einem Einbruch von 20 Prozent im Detailhandel. Macht die Migros in diesem Jahr Verluste?
Auch wenn die Migros-Gruppe in einigen Geschäftsfeldern mit grossen Schwierigkeiten konfrontiert ist, werden wir keinen Verlust machen. Einzelne Bereiche, zum Beispiel Hotelplan, werden in die roten Zahlen rutschen. Insgesamt erwarte ich solide Resultate.

Die Sicherheitsmassnahmen in den Läden kosten Millionen. Steigen jetzt die Preise bei der Migros?
Auf keinen Fall erhöhen wir deswegen die Preise. Da können Sie auf die Migros zählen (lacht).

Jüngster Migros-Chef aller Zeiten

Der Neuenburger Fabrice Zumbrunnen (51) übernahm Anfang 2018 den Chefsessel von Migros-Urgestein Herbert Bolliger (66). Er ist der jüngste Migros-Chef aller Zeiten. Der orange Riese, grösster privater Arbeitgeber der Schweiz, erzielte im Jahr 2020 einen Umsatz von fast 30 Milliarden und einen Gewinn von 555 Millionen Franken. Zumbrunnen wohnt mit seiner Familie in der Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds NE. Ehefrau Paule (53) ist Konzertgeigerin. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder, Rose und Rodolphe.

Fabrice Zumbrunnen (51) kurz nach seinem ersten Auftritt als neuer Migros-Chef.

Der Neuenburger Fabrice Zumbrunnen (51) übernahm Anfang 2018 den Chefsessel von Migros-Urgestein Herbert Bolliger (66). Er ist der jüngste Migros-Chef aller Zeiten. Der orange Riese, grösster privater Arbeitgeber der Schweiz, erzielte im Jahr 2020 einen Umsatz von fast 30 Milliarden und einen Gewinn von 555 Millionen Franken. Zumbrunnen wohnt mit seiner Familie in der Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds NE. Ehefrau Paule (53) ist Konzertgeigerin. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder, Rose und Rodolphe.

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Die grosse Lockerung am 11. Mai bedeutet vor allem eines: Ab Montag sind wieder deutlich mehr Personen unterwegs als in den vergangenen Wochen. Das Tragen von Hygienemasken rückt in den Fokus. Die SBB und Postauto raten nun «dringend» zum Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Verkehr, falls sich der Mindestabstand von zwei Metern nicht einhalten lässt. Eine Tragepflicht gibt es in der Schweiz aber nicht. Vom Bund mit Masken für die breite Bevölkerung beliefert werden die Detailhändler Migros, Coop, Volg und Landi. Sie sollen daran nichts verdienen. Eine Packung Hygienemasken à 20 Stück kostet rund 20 Franken. Ab Montag gibts die Masken vom Bund auch beim Discounter Lidl. Selbst eingekaufte Masken (50 Stück) kosten weiterhin 34.90 Franken, bestätigt eine Sprecherin. Natürlich gibt es Mund-Nase-Schutz auch in Apotheken und Drogerien sowie in zahlreichen Online-Shops ergänzend zum Sortiment. Ein Preisvergleich lohnt sich hier auf jeden Fall. Ulrich Rotzinger

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