Skrupelloser Öl-Deal mit Tschad
So schröpfte Glencore das zweitärmste Land der Welt

Der Zuger Konzern machte mit Tschad ein Rohstoff-Geschäft, das sich für das bitterarme Land als verheerend erwies. Nun zeigen Recherchen: Ein Mann, der offiziell im Interesse des afrikanischen Staates handelte, kassierte von Glencore 14,5 Millionen Dollar.
Publiziert: 24.02.2024 um 17:59 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2024 um 22:35 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen stehen 191 Länder. Auf dem ersten Platz: die Schweiz.

Die Republik Tschad liegt am anderen Ende der Rangliste. Das Land mit 17,7 Millionen Einwohnern belegt den zweitletzten Platz auf dem globalen Wohlstandsindikator. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Nur im Südsudan sind die Menschen noch schlechter dran.

Das Tschader Bruttoinlandprodukt beträgt 695 Dollar – pro Kopf und Jahr. In der Schweiz liegt dieser Wert bei 93'657 Dollar, rund 135- Mal höher.

Erhielt von Glencore 14,5 Millionen Dollar: Der kamerunische Geschäftsmann Etienne S.*
Foto: ZVG
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Ölpreis fällt, Tschad muss alles liefern

Für den Zuger Rohstoffkonzern Glencore ist die bitterarme Nation im Herzen Afrikas trotzdem interessant. Denn sie ist reich an Erdöl. Vor etwa zehn Jahren kam deshalb folgender Deal zustande: Glencore gewährte dem Tschad ein Darlehen von 1,45 Milliarden US-Dollar. Diesen Betrag sollte das Land in den Jahren darauf in Form von Rohstofflieferungen zurückerstatten.

Der Handel erwies sich für den Tschad und dessen Bevölkerung als fatal. In den Wochen und Monaten nach Vertragsabschluss fiel der Ölpreis in den Keller – im Jahresverlauf um mehr als 40 Prozent. Die Folge: Tschad musste fast die gesamte nationale Ölproduktion an Glencore abliefern – und geriet in eine verheerende Schuldenspirale. Der ehemalige tschadische Präsident bezeichnete die Abmachung als «marché de dupes». Frei übersetzt: Idioten-Deal.

Nun zeigen Dokumente, die Blick und der britischen Investigativplattform Source Material zugespielt wurden: Ein Mann, der massgeblich am umstrittenen Ölhandel beteiligt war und dabei offiziell die Interessen von Tschad vertrat, arbeitete insgeheim für Glencore.

Zahlungen über karibische Steueroase

Der Kameruner Etienne S.* war Senior Partner beim Beratungsunternehmen Cameroun Audit Conseil International (CAC), das die staatliche Ölgesellschaft Société des Hydrocarbures du Tchad (SHT) beriet und auf den Milliardendeal mit Glencore grossen Einfluss hatte.

Etienne S. liess sich jedoch nicht nur für die Beratung von SHT bezahlen, sondern kassierte gleichzeitig auch von Glencore viel Geld. Die Zahlungen flossen allerdings nicht an ihn direkt, sondern an eine Gesellschaft namens Vanir Trading. Diese war in der karibischen Steueroase British Virgin Islands domiziliert. Wirtschaftlich Berechtigter war, wie aus Unterlagen hervorgeht, die Blick vorliegen, Etienne S.

Am 28. September 2012 schloss Glencore mit Vanir Trading einen Vertrag ab, der festlegte, dass die Gesellschaft an den Profiten beteiligt wird, die Glencore aus den Geschäften mit der tschadischen Ölgesellschaft SHT generiert.

Zusammenarbeit mit Vermittlern für Rohstoffkonzerne zentral

Nach 2012 wurde der Vertrag mehrmals angepasst. Am 14. Mai 2014 wurde schliesslich festgehalten, dass Vanir Trading von Glencore eine Zahlung von insgesamt 14,5 Millionen US-Dollar erhält – also genau ein Prozent des umstrittenen 1,45-Milliarden-Darlehens.

Der Vertrag legt den Schluss nahe, dass Etienne S. bewusst darauf hingewirkt hat, dass der Milliardendeal vor allem Vorteile für Glencore hatte – und nicht für den Tschad, dessen Interessen er offiziell vertrat.

Mark Pieth (70), Antikorruptionsexperte und Strafrechtsprofessor an der Universität Basel, kann den konkreten Fall nicht beurteilen. Aus anderen Fällen weiss er aber, dass die Zusammenarbeit mit Vermittlern für Rohstoffkonzerne zentral ist, um an Abbaurechte zu gelangen. «Dabei bleibt oft unklar, wer für wen arbeitet und welche Interessen verfolgt.» In der Regel bleibe das Geld aber nicht nur bei den Mittelsmännern, sondern lande über Umwege auch bei korrupten Ministern des jeweiligen Landes.

Glencore mit kryptischem Statement

In einem Telefonat mit Source Material bestätigte Etienne S. mündlich, dass er via Vanir Trading für Glencore gearbeitet hatte. Für weitere Nachfragen war er jedoch von Source Material und Blick nicht mehr zu erreichen.

Glencore will sich zu den Verträgen mit Vanir Trading ebenfalls nicht äussern. Die Frage, was das Ziel der Millionenzahlungen an Etienne S. war, lässt das Unternehmen unbeantwortet. Ebenso die Frage, welche Verantwortung Ivan Glasenberg (67) trägt, der von 2002 bis 2021 CEO war und bis heute der grösste Einzelaktionär des Unternehmens ist.

Stattdessen hält der Konzern in einem kryptischen Statement fest: «Der Untersuchungsausschuss des Verwaltungsrats hat die Reaktion von Glencore auf die verschiedenen staatlichen Untersuchungen überwacht. Glencore hat intensiv mit den verschiedenen Behörden kooperiert. Die Gruppe hat externe Rechtsberater und forensische Experten engagiert, um das Unternehmen bei seiner Reaktion auf die verschiedenen Untersuchungen zu unterstützen und um auf Wunsch des Untersuchungsausschusses verschiedene Aspekte der Geschäftstätigkeit von Glencore zusätzlich zu untersuchen.»

Das soll wohl heissen: Alles aufgearbeitet, alles Schnee von gestern. Heute sind wir ein Unternehmen, das komplett sauber und transparent arbeitet.

Schmiergelder in der Vergangenheit

Diese Message verbreitet Glencore fast mantraartig, seit Glasenberg 2021 seinen Posten als CEO abgegeben hat.

Beispielsweise versicherte Verwaltungsratspräsident Kalidas Madhavpeddi (68) im Jahr 2022, als der Konzern eingestehen musste, in der Vergangenheit in Kamerun, Äquatorialguinea, Elfenbeinküste, Nigeria und Südsudan Schmiergelder bezahlt zu haben: «Glencore ist heute nicht mehr das Unternehmen, das es war, als die inakzeptablen Praktiken hinter diesem Fehlverhalten auftraten.»

Der neue CEO Gary Nagle (48) gelobte ebenfalls Besserung: «Wir haben erhebliche Massnahmen ergriffen, um ein erstklassiges Ethik- und Compliance-Programm aufzubauen und umzusetzen. Das soll sicherstellen, dass unsere Kontrollmechanismen in jeder Ecke unseres Unternehmens verankert und wirksam sind.»

Druck vom Weltbank-Präsidenten

Antikorruptionsexperte Pieth überzeugen diese Beteuerungen jedoch nicht restlos. Für ihn ist klar: «Ob beim Konzern tatsächlich ein tiefgreifender Strukturwandel stattgefunden hat, muss die Zukunft zeigen.» In der Regel dauere es Jahre, bis Ungereimtheiten im Zusammenhang mit Rohstoffdeals zum Vorschein kämen.

Fest steht: Ein Wohltätigkeitsverein ist Glencore auch heute nicht. So sträubte sich der Konzern lange dagegen, zu einer umfassenden Schuldenerleichterung für den Tschad beizutragen – im Gegensatz zu zahlreichen Ländern und internationalen Organisationen, die dem Tschad ebenfalls Geld geliehen hatten.

2015 und 2018 hat Glencore den Kredit mit dem Tschad zwar angepasst. Dennoch wurde das Unternehmen 2021 vom damaligen Weltbank-Präsidenten David Malpass (67) öffentlich dazu aufgefordert, endlich Hand zu bieten für eine bessere Lösung. «Der mit Abstand grösste Betrag an umschuldbaren Schulden besteht bei Glencore», sagte Malpass damals.

Keine Reduzierung der Schulden

Eine neue Einigung mit dem Tschad konnte erst vor rund einem Jahr erzielt werden. Ein Glencore-Sprecher schreibt dazu: «Der Kredit konnte Ende 2022 mit Unterstützung aller Beteiligten erfolgreich restrukturiert werden.»

Wie diese Restrukturierung genau aussieht, ist nicht bekannt. Gemäss Informationen von Blick hat Glencore eine längere Rückzahlungsfrist für die Schulden akzeptiert. Abgeschrieben oder reduziert wurden die Schulden, die aus dem umstrittenen Öldeal entstanden sind, jedoch nicht.

Leisten könnte sich dies der Rohstoffhandels- und Bergbaukonzern allemal: Diese Woche präsentierte Glencore einen Reingewinn von 4,3 Milliarden Dollar für 2023. Ein Jahr zuvor waren es gar 17,3 Milliarden Dollar.

Zum Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt von Tschad liegt bei 12 Milliarden Dollar.

*Name geändert 

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