Aus Angst vor globaler Mindeststeuer
Schweizer Grosskonzerne rufen nach staatlichen Subventionen

Tiefe Steuersätze werden im interantionalen Standortwettbewerb an Bedeutung verlieren. Jetzt wollen die Vertreter von Schweizer Multis völlig neue Wege gehen: Sie fordern staatliche Beihilfen.
Publiziert: 13.06.2021 um 00:26 Uhr
Thomas Schlittler (Text), Igor Kravarik (Karikatur)

Olaf Scholz (62) nannte es eine «Steuerrevolution». Der Grund für die grossen Worte des deutschen Finanzministers: Die sieben führenden Industriestaaten G-7 haben sich auf eine Mindeststeuer von 15 Prozent für Grosskonzerne geeinigt. «Das ist eine schlechte Nachricht für Steueroasen in aller Welt», so der Sozialdemokrat triumphierend.

USA, Kanada, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Japan verkaufen die geplante Reform als Start in eine bessere Welt. Viele Steuerexperten und Wirtschaftsvertreter in der Schweiz beurteilen den Beschluss der G-7 komplett anders. Sie taxieren die Pläne als ungerechtfertigte Machtdemonstration der grossen Industrienationen – und als weiteren Versuch, kleine, wirtschaftlich erfolgreiche Länder wie die Schweiz zu schwächen.

An die Idee einer besseren Welt glauben sie nicht. «Die Reformpläne der G-7 sind nicht zielführend», sagt Martin Hess (49), Leiter Steuern beim Verband Swissholdings. Er vertritt die Interessen von Grosskonzernen wie ABB, Glencore, Nestlé, Novartis und Roche.

In Zug liegt der Gewinnsteuersatz bei 12 Prozent. In Zukunft wird das den ansässigen Firmen aber nicht mehr viel nützen.
Foto: Igor Kravarik
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Hess ist überzeugt, dass der Unterbietungswettlauf um die tiefsten Steuersätze – er nennt ihn «Race to the Bottom» – zu einem «Race to 15 Prozent» führen wird. Und zu einem Boom von Subventionen und anderen Staatshilfen. «Dass die internationalen Konzerne unter dem Strich mehr abgeben werden, glaube ich nicht», so Hess. Der Standortwettbewerb um diese wichtigen Steuerzahler lasse sich nicht unterbinden.

Steuern könnten an andere Länder verschenkt werden

Frank Marty (49), Steuerverantwortlicher beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, sieht es ähnlich: «Die globalen Reformpläne werden nicht zu mehr Gerechtigkeit führen. Aus dem Steuerwettbewerb wird einfach ein Subventionswettbewerb – und dieser ist deutlich intransparenter.»

Aller Kritik zum Trotz scheinen sich die Verantwortlichen in der Schweiz mit der neuen Steuerrealität bereits abgefunden zu haben. Theoretisch könnten Kantone wie Zug ihre tiefen Gewinnsteuersätze zwar beibehalten. Den hier ansässigen Grosskonzernen würde das aber in Zukunft nichts mehr bringen.

Der Grund: Wenn ein Unternehmen in der Schweiz weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern bezahlt, werden diese Beträge in einem anderen Land eingezogen.

«Wenn zum Beispiel ein Schweizer Unternehmen in Zug nur zwölf Prozent Gewinnsteuern abliefert, werden die restlichen drei Prozent bei einer Schwestergesellschaft in den USA eingezogen, die Lizenzgebühren an die Schweizer Gesellschaft bezahlt», erklärt Peter Uebelhart (51), Leiter Steuerpolitik beim Beratungsunternehmen KPMG.

Mit anderen Worten: Die Schweiz wäre schlecht beraten, wenn sie die Steuerbelastung für Grosskonzerne bei weniger als 15 Prozent beliesse. Sie würde damit Steuermittel an andere Länder verschenken.

Wie bleibt die Schweiz attraktiver als andere Wirtschaftsstandorte?

Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Bund, Kantonen und aus der Wissenschaft erörtert deshalb, wie sich die Schweiz an das neue Steuerregime anpassen kann. Dabei geht es im Kern um zwei Fragen: Wie setzen wir die neuen internationalen Vorgaben am besten um? Und: Wie bleibt die Schweiz attraktiver als andere Wirtschaftsstandorte? Um dies zu gewährleisten, wollen die Vertreter der Grosskonzerne völlig neue Wege gehen: Sie rufen nach staatlichen Subventionen.

«In der Vergangenheit hat die Schweiz direkte Unterstützungs- und Fördermassnahmen zwar gemieden. Jetzt werden wir von der internationalen Staatengemeinschaft aber dazu gedrängt, solche Instrumente ins Auge zu fassen», sagt Martin Hess von Swissholdings.

Die Möglichkeiten dazu sind beinahe unbegrenzt, wie ein Blick ins Ausland zeigt. Hess bringt folgende Massnahmen ins Spiel: «Die Schweiz könnte zum Beispiel Unternehmen, die sich bei uns ansiedeln wollen, Vorzugskredite für Investitionen gewähren. Oder bei der Anstellung von Forschern könnten die Kantone einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge übernehmen, wobei dann auch die Gewinne aus der Forschung hier besteuert werden.»

Streichung der Emissionsabgabe wäre möglich

Frank Marty von Economiesuisse hat weitere Vorschläge: «Fördergelder für Forschung und Entwicklung könnten direkt an Unternehmen fliessen, die hier investieren. Oder Firmen könnten Subventionen erhalten, wenn sie Sanierungen vornehmen, die zur Minimierung des Energieverbrauchs beitragen.»

Ganz wohl ist es den Verfechtern der freien Marktwirtschaft bei diesen Vorschlägen nicht. So betont Hess, dass solche Massnahmen «aus liberaler Sicht» unschön seien. Eine Industriepolitik à la Frankreich müsse unbedingt vermieden werden. Er ist jedoch überzeugt, dass die Schweiz nicht darum herumkomme, neue Wege zu gehen. Marty sagt es klipp und klar: «Auch wenn es uns nicht gefällt: Wir müssen solche Massnahmen nun ins Auge fassen.»

Neben Subventionen werden auch fiskalische Schritte diskutiert – also ein Wegfall oder eine Reduktion von Unternehmenssteuern, die bei der Mindeststeuer von 15 Prozent nicht angerechnet werden. Möglich wären etwa eine Streichung der Emissionsabgabe oder Anpassungen bei der Verrechnungssteuer oder der Umsatzabgabe.

Bei all diesen Neuerungen dürfte jedoch stets die Frage im Raum stehen: Werden sie von der internationalen Staatengemeinschaft geduldet?

Eidgenossenschaft müsste Wirtschaft möglichst indirekt unterstützen

René Matteotti (52) hat einen Lehrstuhl für Steuerrecht an der Universität Zürich und sitzt in der Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen. Er gibt zu bedenken, dass die Schweiz bei den Subventionen nicht einfach schalten und walten kann, wie sie will. Zu berücksichtigen seien das Wirtschaftsverfassungsrecht, das Subventionsrecht der WTO sowie das Beihilfeverbot im Freihandelsabkommen mit der EU.

All diese Verträge setzen wettbewerbsverzerrenden Massnahmen Schranken. Für Matteotti ist deshalb klar: «Die Schweiz kann bei einem Grosskonzern nicht einfach eine Zusatzsteuer einziehen und sie dann als Fördergelder gleich wieder zurückgeben. Das würde international kaum akzeptiert werden.»

Wenn die Eidgenossenschaft die Wirtschaft zusätzlich unterstützen wolle, dann müsse dies möglichst indirekt geschehen, so Matteotti. Zum Beispiel durch Investitionen in Forschung und Entwicklung, Nachhaltigkeit und Infrastruktur.

Doch auch da gibt es ein Problem: Die Grosskonzerne haben an solchen Plänen wenig Freude. Für sie und ihre Aktionäre wäre eine direkte Unterstützung – wie bis anhin die tiefen Steuersätze – um einiges lukrativer.

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