Neue Erkenntnisse im Wirecard-Skandal
Grösster Betrugsskandal der Nachkriegsgeschichte

Der Fall Wirecard könnte sich zum grössten Betrugsskandal der Nachkriegsgeschichte entwickeln - mehr als drei Milliarden Euro sind wohl für immer verloren. Ein Dax-Konzern geleitet von einer kriminellen Bande?
Publiziert: 23.07.2020 um 09:23 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2020 um 10:08 Uhr

Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von «gewerbsmässigen Bandenbetrug» seit 2015 aus, wie die Ermittlungsbehörde mitteilte. Ex-Vorstandschef Markus Braun wurde zum zweiten Mal innerhalb eines Monats in Untersuchungshaft genommen - und anders als Ende Juni auch nicht mehr gegen Millionenkaution auf freien Fuss gesetzt.

Ebenfalls mit Haftbefehl hinter Gittern sitzen nun der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley und der ehemalige Chef der Buchhaltung. Derweil gerät die Bundesregierung politisch weiter unter Druck, weil Kanzlerin Angela Merkel noch 2019 in China bei der Pekinger Führung für den geplanten Markteintritt des Konzerns in der Volksrepublik warb.

Kriminelle Bande am Werk?

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft laufen darauf hinaus, dass Wirecard womöglich seit 2015 von einer kriminellen Bande geführt wurde - ein in der Geschichte der deutschen Börsen-Oberliga noch nicht da gewesener Vorgang. «Banken in Deutschland und Japan sowie sonstige Investoren stellten, durch die falschen Jahresabschlüsse getäuscht, Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereit, die aufgrund der Insolvenz der Wirecard AG höchstwahrscheinlich verloren sind», hiess es in der Mitteilung der Ermittler.

Der Wirecard-Skandal entwickelt sich zum grössten Betrugsskandal der Nachkriegsgeschichte.
Foto: keystone-sda.ch
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Grösster Betrug der Nachkriegszeit

Sollte sich das bestätigen, könnte Wirecard zum grössten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte werden. Bisheriger Spitzenreiter ist das badische Unternehmen Flowtex, das in den 1990er Jahren mit dem Verkauf nicht existenter Spezialbohrmaschinen einen Schaden von gut zwei Milliarden Euro anrichtete. «Auch wir fragen uns, wie ein solches System etabliert werden konnte», sagte Oberstaatsanwältin Anne Leiding, die Sprecherin der Ermittlungsbehörde.

Nach Zeugenaussagen war womöglich Ex-Vorstandschef Braun der Kopf: Zeugen hätten bei ihren Vernehmungen von «Korpsgeist» und einem «streng hierarchischen System» unter dem Vorstandsvorsitzenden gesprochen, berichtete Leiding.

Die im Münchner Vorort Aschheim ansässige Wirecard hatte vor seinem Insolvenzantrag eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren, die auf philippinischen Treuhandkonten verbucht sein sollten.

«In Wirklichkeit war den Beschuldigten spätestens seit Ende 2015 klar, dass der Wirecard Konzern mit den tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erzielte», schrieben die Ermittler in ihrer Mitteilung. Dies bedeutet auch, dass Wirecard niemals in den Dax hätte aufrücken dürfen. Zeitweilig war das Unternehmen an der Frankfurter Börse mehr als 20 Milliarden Euro wert - offenbar auf Basis von Erfindungen.

Geschäfte erdichtet

«Die sehr intensiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I haben ergeben, dass der den Beschuldigten zur Last gelegte Sachverhalt noch einmal ganz erheblich erweitert werden muss», sagte Oberstaatsanwältin Anne Leiding, die Sprecherin der Behörde. «Wir haben ganz umfassende Aussagen eines Kronzeugen.» Demnach sollen die beschuldigten Manager 2015 beschlossen haben, die Wirecard-Bilanz durch vorgetäuschte Einnahmen «aufzublähen» - also nicht vorhandene Scheinumsätze und -gewinne zu melden.

Soweit bekannt, erdichtete die Wirecard-Chefetage dafür Geschäfte mit Subunternehmern in Dubai und Südostasien, die für das deutsche Unternehmen angeblich Kreditkartenzahlungen in Südostasien und im Mittleren Osten abwickelten. Schon vorher in Untersuchungshaft sass der frühere Chef der Wirecard-Tochtergesellschaft in Dubai, der Cardsystems Middle East.

Dieses Unternehmen steuerte laut Bilanz der Muttergesellschaft Wirecard AG 2018 mit 237 Millionen Euro einen grossen Anteil der Gewinne bei - Gewinne, die nicht existierten. Wer der Kronzeuge ist, enthüllten die Ermittler nicht, doch hatte der ehemalige Cardsystems-Geschäftsführer seine Kooperation zugesagt. Nach wie vor auf der Flucht ist der frühere Vertriebsvorstand Jan Marsalek, wie Braun österreichischer Staatsbürger. (SDA)

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