Milliarden-Skandal um Luftbuchungen und Geisterkonten
Wirecard-Ex-Chef Markus Braun verhaftet

Jetzt geht es im Betrugsskandal um den Dax-Konzern Schlag auf Schlag: Gestern kamen Luftbuchungen an den Tag, jetzt sitzt der Ex-Chef in Haft. Es geht um Milliarden.
Publiziert: 23.06.2020 um 13:41 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2020 um 08:17 Uhr

Im Bilanzskandal bei Wirecard hat die Staatsanwaltschaft München den zurückgetretenen Chef des Finanzdienstleisters festgenommen. Markus Braun (50) habe sich am Montagabend gestellt, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Der Österreicher werde im Laufe des Tages der Ermittlungsrichterin vorgeführt. Dann soll das Münchner Amtsgericht im Laufe des Tages über die Fortdauer der Haft entscheiden.

Die Strafverfolger werfen Braun einer Mitteilung zufolge vor, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard «durch vorgetäuschte Einnahmen aus Geschäften» aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen.

Hinterlegt Braun eine Kaution von fünf Millionen Euro, werde er aus der U-Haft entlassen und komme auf freien Fuss. Das teilte die Staatsanwaltschaft München am Dienstag mit. Die Ermittlungsrichterin am Amtsgericht München habe entschieden, den Haftbefehl unter dieser Bedingung ausser Vollzug zu setzen. Ausserdem müsse sich Braun wöchentlich bei der Polizei melden.

Der Ex-Chef von Wirecard, Markus Braun (50), befindet sich vorerst in Haft.
Foto: keystone-sda.ch
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1,9 Milliarden verschwunden

Es ist einer der grössten Betrugsfälle, die dem Dax je begegneten. Wirecard hatte Anfang der Woche eingeräumt, dass es die Summe von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht war, sehr wahrscheinlich nicht gibt. Braun betreute Geschäfte mit Drittfirmen, die mutmasslich zum Grossteil nicht existierten.

Nach dem Eingeständnis mutmasslicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe muss der Konzern weitere Ermittlungen fürchten. «Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten», sagte eine Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft am Montag.

Wegen Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pressemitteilungen läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Spitze.

Mitwisser und Mittäter

Die Ermittler gehen davon aus, dass es Mitwisser beziehungsweise Mittäter in der Firmenzentrale im Münchner Vorort Aschheim gab. Ungeklärt ist noch, ob und inwieweit Braun oder andere Mitglieder des Vorstands über die Lage im Bilde oder möglicherweise sogar beteiligt waren. Das Unternehmen sieht sich als Opfer.

Doch mehren sich die Anzeichen für Fehlverhalten in der Wirecard-Spitze. Der Aufsichtsrat feuerte am Montag den bereits suspendierten Vorstand Jan Marsalek «mit sofortiger Wirkung», der Anstellungsvertrag wurde ausserordentlich gekündigt, wie Wirecard mitteilte. Marsalek war für das operative Tagesgeschäft einschliesslich Südostasiens zuständig, wo die Affäre ihren Anfang nahm. Gründe nannte der Aufsichtsrat nicht.

«Komplettes Desaster»

Mit Fragen und scharfer Kritik sind die Finanzaufsicht Bafin und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY konfrontiert, die die Wirecard-Abschlüsse 2017 und 2018 testiert hatte. Bafin-Chef Felix Hufeld sprach von einem «kompletten Desaster» und gab sich selbstkritisch: «Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert», räumte der Behördenpräsident in Frankfurt ein. «Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe.» Wichtig sei nun rasche Aufklärung.

Nachträglich prüft der Konzern jetzt seine Bilanzen. «Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden.»

«FT» berichtete schon früher

Bereits seit über einem Jahr gibt es kritische Berichte. Im Oktober hatte die britische «Financial Times» berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe. Braun hatte die Berichterstattung der «FT» über Monate als haltlos zurückgewiesen.

Da es schon nach den ersten «FT»-Artikeln zu aussergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten Bafin und Münchner Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.

In den Händen der Banken

Die Zukunft des Dax-Konzerns hängt vom Wohlwollen der Banken ab, die nach Angaben von Wirecard wegen des fehlenden testierten Jahresabschlusses für 2019 das Recht haben, zwei Milliarden Euro Kredite zu kündigen. Der seit Freitag amtierende Interims-Chef James Freis kämpft ums Überleben seines Unternehmens: Man stehe weiterhin mit Hilfe der am Freitag angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in «konstruktiven Gesprächen» mit den kreditgebenden Banken.

Jetzt ist die Frage, ob eine Pleite des Unternehmens weniger Schaden anrichtet, oder ob Wirecard am Leben erhalten werden soll. Entscheiden sich die Banken gegen Wirecard, muss das Unternehmen Insolvenz anmelden.

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