Nestlé-Personalchefin setzt auf Kinderecke, Yogaraum und Schlafkapsel
Wie man Angestellte glücklich macht

Nestlé gehört zu den grössten privaten Arbeitgebern der Schweiz – und findet trotz Fachkräftemangel noch genug Personal. In den Fabriken harzt es aber mit dem Nachwuchs. Und die Deutschschweizer lassen sich kaum für den Job an den Genfersee bewegen.
Publiziert: 08.12.2023 um 00:16 Uhr
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Aktualisiert: 08.12.2023 um 07:48 Uhr
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Als Blick an einem kühlen Freitagmorgen zum Interview bei Nestlé Schweiz in Vevey VD vorbeikommt, ist im Co-Working-Büro mit einem Dutzend Arbeitsplätzen genau einer besetzt – von einem Angestellten des Hausdienstes, der sich eine kurze Pause auf dem Bürostuhl gönnt. Wir treffen Sonia Studer (45), HR-Chefin von Nestlé Schweiz, in der Kinderecke des Büros. Nestlé-Mitarbeitende können ihre Kinder unangemeldet mitbringen und während der Arbeit beaufsichtigen. An diesem Tag liegen die Spielzeuge, Farbstifte und Puzzles aufgeräumt im Regal.

Blick: Viele Arbeitgeber locken – oder zwingen – ihr Personal wieder verstärkt ins Büro. Es sieht ganz danach aus, dass sie auch bei Ihnen nicht freiwillig zurückkommen?
Sonia Studer: Am Freitag ist es tatsächlich ruhiger, aber das stört uns nicht. Bei uns gilt: Mindestens 50 Prozent der Zeit sollen die Leute im Büro verbringen, 50 Prozent können sie arbeiten, wo sie wollen. Die Teams organisieren sich selbst, das wird extrem geschätzt.

Die Schweizer Kosmopolitin

Sonia Studer (45) ist mehrsprachig aufgewachsen, spricht fehlerfrei deutsch und französisch und arbeitet viel auf Englisch. Die Doppelbürgerin mit Schweizer und deutschem Pass hat algerische Wurzeln und ist in der Westschweiz aufgewachsen, bevor sie fürs Wirtschaftsstudium an der HSG in die Deutschschweiz zog. Studer arbeitet seit 21 Jahren bei Nestlé, hat mittlerweile ihren fünften Job innerhalb des Lebensmittelmultis inne. Sie war unter anderem für die Tierfuttermarke Purina in England tätig, leitete das HR von Nespresso in der Schweiz und trug die globale Verantwortung für Diversität bei Nestlé, bevor sie zur Personalchefin von Nestlé Schweiz wurde. Studer ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren.

Sonia Studer (45) ist mehrsprachig aufgewachsen, spricht fehlerfrei deutsch und französisch und arbeitet viel auf Englisch. Die Doppelbürgerin mit Schweizer und deutschem Pass hat algerische Wurzeln und ist in der Westschweiz aufgewachsen, bevor sie fürs Wirtschaftsstudium an der HSG in die Deutschschweiz zog. Studer arbeitet seit 21 Jahren bei Nestlé, hat mittlerweile ihren fünften Job innerhalb des Lebensmittelmultis inne. Sie war unter anderem für die Tierfuttermarke Purina in England tätig, leitete das HR von Nespresso in der Schweiz und trug die globale Verantwortung für Diversität bei Nestlé, bevor sie zur Personalchefin von Nestlé Schweiz wurde. Studer ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren.

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Haben Sie diese Kinderecke umsonst eingerichtet?
Absolut nicht. Während der Sommerferien hatten wir eine sehr hohe Nutzungsrate. Auch am Mittwochnachmittag, wenn die Kinder schulfrei haben, ist hier einiges los. Und so oder so: Wir würden die Kinderecke nicht schliessen, nur weil die Nutzungsrate unter einem bestimmten Wert liegt. Für Eltern lindert es den mentalen Stress, wenn sie wissen: Es gibt diese Möglichkeit, falls in der Kinderbetreuung mal ein paar Stunden zwischen der Schule und dem Fussballtraining oder dem Musikunterricht nicht abgedeckt sind.

Blick trifft die Personalchefin von Nestlé Schweiz, Sonia Studer, in der Kinderecke des Büros.
Foto: François Wavre | lundi13
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Neben der Kinderecke gibts einen Yoga-Raum, ein Fitnesscenter, einen Stillraum, sogar einen Ruheraum, wo man sich für ein kurzes Nickerchen in eine Schlafkapsel legen kann. In speziell abgetrennten Bereichen darf man seinen Hund ins Büro mitbringen. Brauchts das heute alles im Kampf ums Personal?
Als Arbeitgeber müssen wir realistisch sein und uns an die Bedürfnisse der zukünftigen Mitarbeitenden anpassen. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass sich viele Leute in der Pandemie einen Hund zugelegt haben. Wenn sie ihn nicht mit ins Büro nehmen können, bleiben sie zu Hause. Unter dem Strich geht es um Flexibilität. In diese Richtung zielt etwa auch unsere genderneutrale Elternzeit von 18 Wochen, die an sämtlichen Nestlé-Standorten weltweit als Mindeststandard gilt, von der Schweiz über Schweden bis Mexiko.

Der Generation Z wird nachgesagt, mit einem ganzen Forderungskatalog beim Vorstellungsgespräch aufzutauchen. Finden Sie als Personalchefin das nicht etwas mühsam?
Ganz im Gegenteil sogar! Ich finde es gut, dass die jüngere Generation mehr Ansprüche hat. Und sowieso: Ich halte es für ein Klischee, dass die Jungen arbeitsfaul sind. Sie haben allerdings in der Tat eine sehr tiefe Toleranz für Ineffizienz. 

Sie beschäftigen in der Schweiz 8400 Mitarbeitende, gehören damit zu den grössten privaten Arbeitgebern im Land. Jedes Jahr schreiben Sie 450 Stellen aus. Gehen angesichts des Fachkräftemangels überhaupt noch Bewerbungen ein?
Ja, wir erhalten sogar nach wie vor sehr viele Bewerbungen. Wo wir den Fachkräftemangel spüren, ist in den Fabriken. Besonders, wenn wir Lehrstellen ausschreiben, etwa als Automatiker oder Lebensmitteltechniker. Dabei wären das spannende Berufe, wo die Jugendlichen auch dank der Digitalisierung viele Weiterbildungsmöglichkeiten haben.

Und in den klassischen Bürojobs am Hauptsitz?
Da hätten wir gerne noch mehr Deutschschweizer. Es ist manchmal schwierig, die Leute davon zu überzeugen, für einen Job nach Vevey zu kommen. Dabei ist es wunderschön hier!

Werden Mitarbeitenden in der Produktion – zum Beispiel in der Thomy-Fabrik in Basel – nicht benachteiligt, wenn hier am Hauptsitz Flexibilität gepredigt wird, während sie weiterhin im Schichtdienst am Fliessband stehen?
Auch an den Produktionsstandorten sorgen wir für mehr Flexibilität, etwa mit neuen Schicht- und Ferienplanungen. Ausserdem: Dass wir in so vielen unterschiedlichen Bereichen tätig sind, von der Fabrik übers Labor zum Büro, ist eine unserer Stärken als Arbeitgeber.

Wie meinen Sie das?
Wer bei Nestlé arbeitet, kann in einer Karriere oft mehr als drei unterschiedliche Berufe ausüben. Bei uns gibt es die Geschichten noch von Menschen, die in der Lehre anfangen und bis zur Pensionierung hier arbeiten. Durch unsere Grösse können die Leute innerhalb des Unternehmens aufsteigen.

Und das funktioniert?
Ja, sehr gut sogar. Natürlich sind wir manchmal nicht schnell genug, den Leuten den nächsten Schritt anzubieten. Dann verlassen sie uns. Doch viele von ihnen kehren später zu uns zurück. «Bumerang-Mitarbeitende» nennen wir sie.

Mit all Ihren Programmen und Angeboten umgarnen Sie die Jungen. Bleiben da die Über-50-Jährigen nicht auf der Strecke?
Also erstens: Flexibilität ist allen Generationen ein grosses Anliegen, nicht nur den Jungen. Und zweitens: Wir müssen als Arbeitgeber dafür sorgen, dass alle Altersgruppen Zugang zu Entwicklungs- und Weiterbildungsprogrammen haben, nicht nur die Jungen. Viel entscheidender als das Alter ist die Motivation.

Apropos Motivation: Überarbeitung und Stress sind gesamtgesellschaftliche Trends. Spüren Sie das?
In der Vergangenheit gab es mehr Krankheitsausfälle wegen Rückenschmerzen und anderen körperlichen Beschwerden. Heute steht mentaler Stress im Vordergrund. Das sehen wir gerade bei Jugendlichen verstärkt, und das bereitet uns Sorgen.

Was tun Sie dagegen?
Wir sprechen das Thema an, um es zu enttabuisieren. Und wir setzen auf Coachings, zum Beispiel spezifische Resilienz-Trainings. Das haben wir bereits während der Pandemie gemacht und nehmen es nun wieder auf. Es gibt ausserdem seit 2001 eine Hotline, die all unseren Mitarbeitenden und ihren Angehörigen anonym zur Verfügung steht und wo sie bei psychischen Problemen Hilfe erhalten.

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