Schweizer Arbeitsmarkt
Entlassungswelle fegt übers Land – oder doch nicht?

Die Arbeitnehmenden waren noch nie in einer so komfortablen Lage wie heute. Dem Arbeitskräftemangel sei Dank können sie viele Forderungen stellen. Dem laufen Meldungen der vergangenen Wochen über den Abbau Hunderter Stellen zuwider. Wie geht das zusammen?
Publiziert: 24.10.2023 um 07:02 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2023 um 09:58 Uhr
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Die Stellenausschreibung als Techniker einer Autowaschanlagen-Firma beginnt nicht mit den Anforderungen – sondern mit den Benefits: Geschäftsauto, Handy, flexible Arbeitszeiten. Kein Einzelfall, sondern typisch. Gerade in Industrieberufen ist Personal weiterhin hart umkämpft – auch wenn Meldungen über den Abbau Hunderter Stellen in den vergangenen Wochen anderes vermuten liessen. So streicht etwa der Winterthurer Textilmaschinenkonzern Rieter bis zu 900 Jobs. 

Doch die jüngste Ausgabe des Swiss Job Market Index des Personalvermittlers Adecco in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich zeigt nun: In der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) werden immer noch deutlich mehr Mitarbeitende gesucht als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Gemäss den neusten Zahlen wurden in den letzten 12 Monaten über sämtliche Berufe hinweg 7 Prozent mehr Stelleninserate publiziert. Bei den MEM-Berufen beträgt das Wachstum 19 Prozent. Und die Kurve zeigt nach oben: Im dritten Quartal 2023 legte der Index erstmals wieder zu, nachdem er in den beiden Vorquartalen stagniert hatte.

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«Für Arbeitnehmer gab es noch nie eine bessere Zeit.»
Yanik Kipfer, Universität Zürich
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Doch wie passt das Wachstum auf dem Stellenmarkt mit den wiederholten Meldungen über Kahlschläge in diversen Firmen zusammen? Einerseits gibt es eine zeitliche Verzögerung: Der jüngst angekündigte Stellenabbau bei Rieter zum Beispiel kommt im Index noch gar nicht zum Tragen. 

Im 3. Quartal gab es in Industrie-Berufen mehr Stellenausschreibungen. Blick in eine Fabrik in Heerbrugg SG. (Symbolbild)
Foto: Gaetan Bally
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Ausserdem sind die Auftragsbücher der Industrie-Unternehmen noch proppenvoll. Selbst wenn die schwächelnde Weltwirtschaft, die Frankenstärke und die geopolitische Unsicherheit langsam Bremsspuren hinterliessen und die Auftragseingänge zurückgingen: «Die Arbeitnehmer drehen nicht Däumchen.» Das hält Yanik Kipfer (33) fest, an der Uni Zürich für die Erhebung verantwortlich.

Andererseits liegt die Zahl der offenen Stellen auf einem historischen Höchststand. «Das haben wir so seit Beginn der Messungen noch nie gesehen, für Arbeitnehmer gab es noch nie eine bessere Zeit», sagt Kipfer. Selbst wenn das eine oder andere Unternehmen in den kommenden Monaten wegen der schwächeren Konjunktur bei der Personalsuche zurückhaltender agiert – sorgen müssen sich Stellensuchende momentan nicht. «Wir sehen eine Normalisierung, aber noch keinen Einbruch.»

Sorgenfalten bei Personalverantwortlichen

Besonders, weil der Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels anhalten wird. Selbst wenn der konjunkturelle Teil der Personalnot sich nun verkleinert – der strukturelle Teil bleibt. Gemäss der letzten Quartalsbefragung des Branchenverbands Swissmechanic ist der Mangel an Arbeitskräften denn auch die Nummer 1 Sorge der KMU in der MEM-Branche.

Wer sich heute als Techniker in der Autowaschanlagen-Firma bewirbt, hat damit auch morgen noch gute Karten auf dem Arbeitsmarkt – eingetrübte Konjunkturaussichten und Schlagzeilen über einzelne Kahlschläge hin oder her. Geschäftsauto, Handy und flexible Arbeitszeiten gibts erst noch obendrauf.

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