Negativzinsen auf dem Vormarsch
Jetzt triffts auch die Kleinsparer!

Bislang traf es nur die wirklich Reichen. Doch jetzt drohen Konsumenten neue Kosten. Bald könnten Banken damit beginnen, Minuszinsen auf die Guthaben von Kleinsparern abzuwälzen.
Publiziert: 11.09.2019 um 23:23 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2019 um 20:50 Uhr
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Ulrich RotzingerWirtschaftschef

Solche Bilder lassen Bankchefs erschaudern: Menschenschlangen an den Schaltern, die sich wie aus dem Nichts bilden; stürmende Kunden, die bis raus auf die Strasse stehen.

Wie damals beim Schaltersturm am 4. Oktober 1991: Kleinsparer belagerten nach der Zwangsschliessung die Spar- und Leihkasse Thun, um ihr Geld zurückzufordern.

Oder als nach dem Mindestkurs-Aus der Euro zum Schnäppchen wurde. Damals, Mitte Januar 2015, drängten Tausende Schweizer entlang der Grenze in die Bankfilialen, um den erstarkten Franken in billige Euro umzutauschen.

Drohende Strafzinsen auf Barguthaben bei Banken machen den Konsumenten Sorge.
Foto: Keystone
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Heute geht es nicht um eine Bankpleite oder Wechselkurse. Dennoch rutschen die Bankmanager auf ihren Chefsesseln unruhig hin und her. Und in den Haushalten macht sich bei den Konsumenten Sorge breit um die Liquidität und die Sparguthaben auf ihren Konten. Negativzinsen: Dieses Wort verbreitet Schrecken. 

Zentralbanken haben es in der Hand

Der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank (SNB) liegt heute bei minus 0,75 Prozent (siehe Grafik). Das ist noch leicht tiefer als jener der Europäischen Zentralbank. Die EZB wird den Leitzins am heutigen Donnerstag allerdings weiter senken.

Nur eine Woche später ist SNB-Präsident Thomas Jordan (56) am Drücker. Experten rechnen damit, dass die Nationalbank eine Ausweitung der Negativzinsen vornimmt. Dann müssten Banken für Gelder, die sie über Nacht bei der SNB parkieren, statt minus 0,75 neu minus 1 Prozent zahlen. Die Rechnung dafür kassieren die Kunden.

«Das nimmt Druck von der SNB»
1:56
Marc Brütsch zum EZB-Entscheid:«Das nimmt Druck von der SNB»

«Negativzinsen für Kleinsparer werden sehr bald kommen», sagt ein Spitzenmanager einer grossen Schweizer Bank zu BLICK. Die grosse Frage: Welche Bank bricht dieses Tabu als erste? 

Ein weiterer Top-Banker sagt: «Der Spielraum für die Banken ist nicht mehr allzu gross.» Noch einer sagt: «Minuszinsen sind ein grosses Thema bei uns. Der Druck, diese an die Kleinsparer weiterzugeben, ist gross.» 

«Negativzinsen haben stärkere Signalwirkung»

Hinter vorgehaltener Hand geht auch der Rat des Bankberaters schon einmal an Kunden mit viel Flüssigem auf dem Konto: nicht allzu viel Barguthaben darauf lassen, es lieber anderswo horten.

Pikant: Diese Aussagen von Bankern stammen nicht etwa von Kleininstituten, sondern von Finanzriesen wie Credit Suisse, UBS und volksnahen Banken wie Raiffeisen, Migros Bank oder Postfinance. Die befragten Spitzenmanager wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen.

Zu gross ist die Furcht, dass Kunden auf breiter Front ihr Geld abziehen und die Bank wechseln. Das sagt Experte Benjamin Manz (38). «Negativzinsen auf Sparkonten bereits ab kleineren Beträgen von einigen Tausend Franken würden bei Schweizer Bankkunden auf Unverständnis stossen», so der Geschäftsführer der Finanzvergleichsplattform Moneyland. «Nur schon null Prozent Zins auf dem Sparkonto hat eine hohe Symbolwirkung. Negativzinsen haben eine noch stärkere.» 

Bislang 250'000 Franken als Schmerzgrenze

Eine weitere grosse Frage ist, ab welchen Grenzbeträgen die Negativzinsen eingeführt werden. 

Minuszinsen zahlen bislang längst nicht mehr nur die wirklich Reichen in der Schweiz. Bei der Graubündner Kantonalbank sind bereits Kundenkonten mit 250'000 Franken durch einen Negativzins belastet. Die Liste jener Banken wird länger, die ihren normalen Kunden Strafzinsen aufbrummen.

Kassiert wird bei fast allen Kunden schon heute. Bei den Gebühren etwa für die Kontoführung. «Die Gebühren sind bereits schleichend gestiegen», sagt Moneyland-Experte Manz. Die Banken könnten nun einfach weitere Gebühren einführen, «auf anderen Konten, für andere Dienstleistungen. Oder sogar auf Sparkonten.»

Ein Bankchef sagt zu BLICK, dass sein Institut lieber auf Gewinn verzichte, als beim normalen Kunden die Negativkeule schwingen zu müssen. 

Horten Schweizer bald noch mehr Geld zu Hause?

Respekt haben die Banken auch vor dem Schaltersturm der Kunden auf die Barvermögen bei ihrer Hausbank. 

Ein Indiz dafür: Schon heute stellen Banken fest, dass die Bargeldbezüge kurz vor dem Jahreswechsel massiv ansteigen. Kunden holen ihre nicht angelegten Ersparnisse nach Hause, um ihre Vermögenssteuerlast zu senken. Stichtag für die Steuerbewertung ist der 31. Dezember.

Anfang Januar stellen Banken wiederum fest, dass die Bargeldeinzahlungen massiv ansteigen. «Wenn die Leute so einen Aufwand betreiben, um ein paar Promille zu sparen – was tun sie dann erst bei Negativzinsen?», fragt ein Bankchef im Gespräch mit BLICK in die Runde.

Die nächsten Wochen sind entscheidend

Eine Antwort erwartet er nicht. Banken müssten folglich vorsorglich weitere Bezugslimiten in ihre Verträge einbauen. Bis diese Änderungen wirksam sind, könnte es aber bereits zu spät sein. 

Oder es läuft so wie bereits bei der Zürcher Kantonalbank. Die ZKB habe keinen fixen Betrag definiert, so Sprecher Patrick Friedli, ab welchem Negativzinsen zwingend erhoben werden.

Das ist der Leitzins – und darum ist er negativ

Der Leitzins wird von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) festgelegt und gibt an, zu welchem Zinssatz sich Geschäftsbanken Geld bei der SNB leihen können. Mit dem Leitzins steuert die Nationalbank die Geldpolitik und versucht unter anderem, den Wert des Schweizer Franken zu beeinflussen. Konkret: den Franken gegenüber Euro oder US-Dollar zu schwächen.

Seit Januar 2015 – kurz nach der Aufhebung des Mindestkurses – ist der Leitzins in der Schweiz negativ, liegt bei minus 0,75 Prozent. Das heisst, die Geschäftsbanken bezahlen nicht für das Ausleihen von Geld, sondern für das Anlegen. Konkret: Wenn die Banken zu viel Geld bei der SNB parkieren, müssen sie abzüglich eines Freibetrags einen Strafzins zahlen. Dank der Negativzinsen hat die SNB im letzten Jahr gut 2 Milliarden Franken eingenommen.

Der Leitzins hat einen grossen Einfluss auf das allgemeine Zinsniveau in der Schweiz. Viele Zinssätze wie etwas Spar- und Hypothekarzinsen richten sich nach der Veränderung des Leitzinses. Christian Kolbe

Der Leitzins wird von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) festgelegt und gibt an, zu welchem Zinssatz sich Geschäftsbanken Geld bei der SNB leihen können. Mit dem Leitzins steuert die Nationalbank die Geldpolitik und versucht unter anderem, den Wert des Schweizer Franken zu beeinflussen. Konkret: den Franken gegenüber Euro oder US-Dollar zu schwächen.

Seit Januar 2015 – kurz nach der Aufhebung des Mindestkurses – ist der Leitzins in der Schweiz negativ, liegt bei minus 0,75 Prozent. Das heisst, die Geschäftsbanken bezahlen nicht für das Ausleihen von Geld, sondern für das Anlegen. Konkret: Wenn die Banken zu viel Geld bei der SNB parkieren, müssen sie abzüglich eines Freibetrags einen Strafzins zahlen. Dank der Negativzinsen hat die SNB im letzten Jahr gut 2 Milliarden Franken eingenommen.

Der Leitzins hat einen grossen Einfluss auf das allgemeine Zinsniveau in der Schweiz. Viele Zinssätze wie etwas Spar- und Hypothekarzinsen richten sich nach der Veränderung des Leitzinses. Christian Kolbe

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Will heissen: Dort wird bereits individuell mit und für jeden einzelnen Kunden entschieden, wann Minuszinsen zu entrichten sind. «Die Weitergabe der Negativzinsen wird aufgrund der Marktgegebenheiten laufend überprüft und falls möglich beziehungsweise erforderlich angepasst», sagt Friedli.

Enormer Druck baut sich derzeit also an der Zinsfront auf, auf den Bankchefs in irgendeiner Weise reagieren müssen. Und was können Kleinsparer tun? Gegen die Einführung der Negativzinsen durch ihre Hausbank sind sie machtlos. Experte Manz von Moneyland rät: häufiger vergleichen, häufiger wechseln – sofern die anderen Konditionen stimmen.

Lesen Sie morgen: Auswege aus der Zinsfalle: Wie Sie Ihr Erspartes absichern können.

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