Marktkennerin Christa Janjic-Marti (52) zu Bancomaten-Run und Sanktionen
«Die Sanktionen tun weh, Russland wird mehr leiden als die Weltwirtschaft»

Die Sanktionen gegen Russland sind hart – und treffen die breite Bevölkerung, sagt Expertin Christa Janjic-Marti (52) von WPuls. Diese will sich ihre Barbestände sichern. Die Folge: lange Schlangen vor den Bancomaten.
Publiziert: 01.03.2022 um 04:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2022 um 06:03 Uhr
Christian Kolbe und Kilian Marti

Die Liste der internationalen Sanktionen gegen Russland wird beinahe täglich länger und schärfer. Selbst die Schweiz hat sich nun dazu durchgerungen, sich den EU-Sanktionen anzuschliessen.

Das Sanktionsregime trifft den Staat ebenso wie die Wirtschaft, Präsident Wladimir Putin (69) und seine Entourage, Unternehmen und vor allem auch die russische Bevölkerung. «Die breite Bevölkerung wird dadurch einen erheblichen Rückgang ihres Lebensstandards erleiden», schreibt das Beratungsunternehmen WPuls in einer Studie.

Die Sanktionen zielen in erster Linie auf den Finanz- und Energiesektor – mit gravierenden Folgen für die Gesamtwirtschaft. Die Reisemöglichkeiten für Russen sind stark eingeschränkt, der Luftraum über den EU-Staaten ist für russische Flugzeuge komplett gesperrt. Umgekehrt schliesst Russland seinen Luftraum für immer mehr Staaten.

Lange Schlangen vor den Bancomaten in Russland.
Foto: keystone-sda.ch
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Sanktionen schmerzen

«Die Sanktionen tun weh, Russland wird mehr leiden als die Weltwirtschaft», sagt Christa Janjic-Marti (52), Marktspezialistin bei WPuls. Das erste Leidenszeichen ist die grosse Nachfrage nach Bargeld. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt haben sich in den letzten Tagen lange Schlangen vor Geldautomaten in Russland gebildet.

Denn in der Krise ist Cash King, selbst wenn es sich dabei um Rubel handelt. Kreditkarten und vor allem mobile Bezahlmöglichkeiten wie Apple oder Google Pay funktionieren in Russland nur noch mit Einschränkungen oder gar nicht mehr. Ein weiteres Problem: Der Rubel ist rationiert, an den Bancomaten gibt es maximal 8000 Rubel (knapp 74 Franken) – pro Tag!

Das Konto räumen? Geht nur bei einem Termin bei der Hausbank, also in vielen Fällen wohl gar nicht.

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Erinnerungen an Staatsbankrott 1998

In den sozialen Medien beklagen sich jüngere Russen darüber, dass sie den Umgang mit Bargeld gar nicht mehr gewohnt seien, seit Jahren nur noch mit dem Handy bezahlt hätten. Ältere Menschen dagegen erinnern sich mit Schrecken an 1998, als innert eines Tages erst der Staat und dann die Banken Bankrott gingen. Die Sparer nicht mehr auf ihr Geld auf den Konten zugreifen konnten.

Damals verlor der Rubel sogar 70 Prozent an Wert, in den letzten Tagen hat sich die russische Währung gegenüber dem Dollar erst um etwa 25 Prozent abgewertet. «1998 war schon brutal», sagt Janjic-Marti. «Auch die Sanktionen nach der Krim-Krise 2014 waren einschneidend, jetzt könnte es allerdings noch schlimmer kommen.» Vor allem 1998 liefen die Wirtschaftsbeziehungen noch reibungslos, konnte sich Russland aus der Krise heraus exportieren, seine Rohstoffe an den Weltmärkten absetzen.

Weniger Lohn für Staatsangestellte

Doch jetzt ist vieles anders. Seit 2014 hat sich die wirtschaftliche Situation vieler Russen und Russinnen verschlechtert, vor allem die Löhne der Staatsangestellten seien real um 20 bis 30 Prozent geschrumpft, so Janjic-Marti. Nicht alleine wegen der Inflation, sondern auch weil der tiefe Ölpreis das Staatsbudget arg strapaziert hat. «Lohnerhöhungen für Beamte oder höhere Renten waren da keine Priorität der Regierung», sagt die Expertin.

Den einfachen Bürgern droht weiteres Ungemach. Denn einerseits ist die russische Nationalbank auch von den Sanktionen betroffen, ist ein Grossteil der russischen Devisenreserven im Ausland blockiert. Geld, das nicht für die Stützung des Rubels verwendet werden kann.

Radikale Zinserhöhung

Andererseits haben die russischen Währungshüter eine langjährige Erfahrung mit Rubel-Krisen, sind auch nicht zimperlich darin, zu radikalen Massnahmen zu greifen. Die russische Nationalbank hat eben die Leitzinsen auf 20 Prozent verdoppelt und den Handel mit Rubel eingeschränkt: «Die Russen stützen lieber die Währung mit hohen Zinsen, als dass man versuchte, die Wirtschaft zu retten», erklärt Janjic-Marti.

Das Problem: Steigende Zinsen sind Gift für jede Wirtschaft, die in die Krise schlittert – das gilt auch für die russische.

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