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Keine Transparenz für Sparer
Banken geben Negativzinsen durch die Hintertür weiter

Neben der Zürcher und der Graubündner Kantonalbank wälzen weitere Banken Negativzinsen auf die Kunden ab. Die meisten machen das ohne transparente Kriterien. Wegen Verdachts auf Absprache wird nun eine Weko-Untersuchung gefordert.
Publiziert: 15.01.2020 um 22:46 Uhr
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Aktualisiert: 26.01.2021 um 09:05 Uhr
Claudia Gnehm

Den Brief aus Bern hat Bankkundin Sonja Graf* letzten November erhalten. Daraus ging hervor: Ihre Hausbank Postfinance senkt die Schwelle für die Negativzinsen auf Privat- und Sparkonten per 1. Dezember von 500’000 auf 250’000 Franken.

Mit solchen Hiobsbotschaften sind hierzulande immer mehr Bankkunden konfrontiert. Wie die Postfinance verwenden die Banken den schönfärberischen Begriff Guthabengebühren statt Negativzinsen. Ebenfalls typisch: Federn lassen müssen wie bei Postfinance Kunden, die ausser einem Sparkonto keine weiteren Dienstleistungen beziehen.

Wer sich aber weitere Bankprodukten wie etwa Fonds oder Hypotheken kauft, dem wird der Negativzins erlassen. Ein Kuhhandel oder eine milde Form von Erpressung – je nach Auffassung.

Immer mehr regionale Raiffeisenbanken führen Negativzinsen ein – auch wenn die Zentrale davon abrät.
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Negativzinsen gehen schnell ins Geld

Da Kundin Graf 260’000 Franken auf dem Konto hatte, musste sie beim Negativzins von 1 Prozent der Postfinance mit jährlichen Strafgebühren rechnen. In ihrem Fall ist das zwar nur 100 Franken, da die ersten 250'000 «gratis» sind. Doch dafür zahlen zu müssen, dass man der Bank sein Geld geben darf, bereitet vielen Sparern Bauchschmerzen. Denn eigentlich möchten sie, dass ihr Geld Rendite abwirft. Weil die Schweizerische Nationalbank (SNB) nicht vor der Europäischen Zentralbank (EZB) aus den Negativzinsen aussteigen kann, wird sich an der deprimierenden Situation so schnell nichts ändern – das Ersparte schmilzt von Jahr zu Jahr.

Graf transferierte deshalb 30’000 Franken auf ihr Privatkonto bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). «Die ZKB wird wohl nicht so schnell auf den Negativzinszug aufspringen», dachte sie. Doch sie hat sich geirrt. Anfang Dezember führte die ZKB je nach Kundenbeziehung Negativzinsen ab 100’000 Franken ein. Obwohl sie etwas über 100'000 Franken auf dem Konto hatte, sagte ihr Kundenberater, sie sei derzeit nicht davon betroffen. Doch wie lange noch?

Die Suche nach Banken, die keine Strafzinsen abzwacken, gestaltet sich für Kundinnen und Kunden immer schwieriger. Zwar sind die Schwellenwerte für Negativzinsen bei Gross- und Privatbanken schon länger bekannt. Doch von den Retail-Banken legten nur vereinzelte wie die Graubünden Kantonalbank (Schwelle 250'000 Franken) ihr Regime offen.

Immer mehr betroffene Bankkunden

Dennoch ist es für betroffene Kunden kaum mehr möglich, den Negativzinsen bei einer anderen Bank zu entkommen. Kein Institut verzichtet ganz auf Negativzinsen für Privatkunden, wie eine BLICK-Umfrage bei allen grösseren Geldhäusern zeigt. Bei der Luzerner Kantonalbank müssen bisher 0,4 Prozent (1300) von 300'000 Kunden Negativzinsen zahlen. Bei der ZKB sind es rund 2500.

Gefeit sind auch Raiffeisen-Kunden nicht. Zwar empfiehlt die Zentrale ihren Genossenschaftsbanken, keine Negativzinsen auf Sparvermögen Privater zu erheben. Doch einzelne Genossenschaften sagen, dass sie bei Vermögen über 1 Million Franken, besonders bei Neukunden, allenfalls Negativzinsen erheben. Die Raiffeisenbank Winterthur ergänzte über Nacht ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen mit der Möglichkeit, «Negativzinsen einseitig auf Kundeneinlagen einzuführen». Dies berichtete das Portal «Inside Paradeplatz».

Bankkunden müssen in nächster Zeit mit einem Brief rechnen, wie ihn Graf erhalten hat. Denn es ist klar: Die Banken bauen den Anteil der mit Negativzinsen belegten Kunden stetig aus, auch wenn die meisten das nicht laut sagen würden.

Die Transparenz der Luzerner Kantonalbank ist eine Ausnahme. «Wir rechnen damit, dass sich die Zahl der Vereinbarungen mittelfristig von heute 0,4 Prozent in Richtung 1 und dann 2 Prozent bewegen dürfte», sagt LUKB-Sprecher Daniel von Arx.

Mit ihren individuellen Bestimmungen ist die Negativzinspolitik der LUKB aber genauso wenig transparent wie die der Konkurrenz.

Unkonkretes Kleingedrucktes

Bei der St. Galler Kantonalbank steht immerhin im Kleingedruckten: «Abhängig von der Höhe der Guthaben kann eine Guthabengebühr (Negativzins) belastet werden.» Doch was am Ende die Kriterien dafür sind, bleibt auch bei der SGKB geheim.

Ökonom Mathias Binswanger (57) von der Fachhochschule Nordwestschweiz sagt: «Die Bedingungen für die Erhebung von Negativzinsen sollten transparent sein ebenso wie die Gebühren.» Das sei bis heute zu wenig der Fall. Er ist der Meinung, die Banken hätten es gar nicht nötig, Privatkunden Negativzinsen abzuzwacken.

Anderer Ansicht ist Adriel Jost (34). Aus Sicht des Beraters von Wellershoff & Partners sind die Negativzinsen der Banken richtig. «Es wäre fahrlässig, wenn eine Bank Kunden behält, mit denen sie insgesamt Geld verliert», sagt der Ökonom.

Ausnutzung der Marktmacht?

Dem pflichtet Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz (54) bei. Allerdings sehe er ein juristisches Problem, das bis anhin vernachlässigt würde. Wenn sich alle Banken gleich verhalten und Negativzinsen einführten, entweder durch Absprache oder sonstige Abstimmung («Gentlemen's Agreement»), könnte es kartellrechtliche Probleme geben.

«Denn damit spielen die Banken eine gemeinsame Marktmacht aus und blockieren den Wettbewerb», sagt Kunz. Die Wettbewerbskommission und die Finanzmarktaufsicht sollten dieses Thema anschauen, meint er.

Kundin Graf beschloss sich, einen Teil des Geldes bei der Postfinance präventiv in Wertpapiere anzulegen. Kein Zufall: Die Bank hatte extra ein befristetes Angebot mit tiefen Anlage-Kommissionen für Kundinnen wie sie. «Eigentlich habe ich eine Partnerschaft vertieft, die ich gar nie wollte», sagt sie desillusioniert.

* Name von der Redaktion geändert

Negativzinsen wären nicht nötig gewesen

Das Jammern der Banken über Negativzinsen ist aus mehreren Gründen fragwürdig. Zwar zahlen die Banken der Nationalbank seit der Einführung der Strafzinsen vor rund fünf Jahren etwas, wenn sie bei ihr Geld parkieren. Doch jede Bank hat einen Freibetrag, auf den sie der Nationalbank keine Strafzinsen von 0,75 Prozent zahlen müssen.

Manche Banken nutzen den Freibetrag nicht selber, sondern für die profitable aktive Bewirtschaftung – etwa um kurzfristige Geldanlagen Dritter zu parkieren.

Ökonom Mathias Binswanger (57) von der Fachhochschule Nordwestschweiz sieht derzeit keinen triftigen Grund, wieso Kunden neben Kontogebühren auch noch Negativzinsen zahlen sollten. Kommt hinzu: Seit Anfang November letzten Jahres müssten Banken aufgrund einer Anpassung der Freibeträge deutlich weniger Negativzinsen an die SNB bezahlen.

Druck kommt vom Hypothekenmarkt

Nach Binswangers Berechnung sanken dadurch die jährlichen Negativzinszahlungen der Banken an die SNB von bisher etwa 2 auf 1 Milliarde Franken. «Das ist eine starke Entlastung», sagt er. Die Anpassung habe für die Banken etwa den gleichen Effekt, wie wenn die SNB den Negativzins auf –0,4 Prozent und damit auf das Niveau der Europäischen Zentralbank angehoben hätte.

Sowieso sei es nur die halbe Wahrheit, wenn die Banken die Negativzinsen für ihre Kunden mit ihren Zinszahlungen an die SNB begründen. «Der 2019 gestiegene finanzielle Druck auf die Banken rührt vielmehr von der zunehmenden Konkurrenz auf dem hart umkämpften Markt für Hypothekarkredite», führt Binswanger aus. Dies habe die Zinsen weiter nach unten gedrückt. Deshalb sei die Suche nach neuen Einnahmequellen nur logisch. Claudia Gnehm

Das Jammern der Banken über Negativzinsen ist aus mehreren Gründen fragwürdig. Zwar zahlen die Banken der Nationalbank seit der Einführung der Strafzinsen vor rund fünf Jahren etwas, wenn sie bei ihr Geld parkieren. Doch jede Bank hat einen Freibetrag, auf den sie der Nationalbank keine Strafzinsen von 0,75 Prozent zahlen müssen.

Manche Banken nutzen den Freibetrag nicht selber, sondern für die profitable aktive Bewirtschaftung – etwa um kurzfristige Geldanlagen Dritter zu parkieren.

Ökonom Mathias Binswanger (57) von der Fachhochschule Nordwestschweiz sieht derzeit keinen triftigen Grund, wieso Kunden neben Kontogebühren auch noch Negativzinsen zahlen sollten. Kommt hinzu: Seit Anfang November letzten Jahres müssten Banken aufgrund einer Anpassung der Freibeträge deutlich weniger Negativzinsen an die SNB bezahlen.

Druck kommt vom Hypothekenmarkt

Nach Binswangers Berechnung sanken dadurch die jährlichen Negativzinszahlungen der Banken an die SNB von bisher etwa 2 auf 1 Milliarde Franken. «Das ist eine starke Entlastung», sagt er. Die Anpassung habe für die Banken etwa den gleichen Effekt, wie wenn die SNB den Negativzins auf –0,4 Prozent und damit auf das Niveau der Europäischen Zentralbank angehoben hätte.

Sowieso sei es nur die halbe Wahrheit, wenn die Banken die Negativzinsen für ihre Kunden mit ihren Zinszahlungen an die SNB begründen. «Der 2019 gestiegene finanzielle Druck auf die Banken rührt vielmehr von der zunehmenden Konkurrenz auf dem hart umkämpften Markt für Hypothekarkredite», führt Binswanger aus. Dies habe die Zinsen weiter nach unten gedrückt. Deshalb sei die Suche nach neuen Einnahmequellen nur logisch. Claudia Gnehm

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