Jsabella Koller beschreibt ihre schwierige Jobsuche
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Nach 16 Jahren Mami-Zeit:Jsabella Koller beschreibt ihre schwierige Jobsuche

Jsabella Koller (56) kämpft nach 16-jähriger Familienpause mit Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt
«Ich will arbeiten, aber man gibt mir nicht die Chance»

Der Fachkräftemangel spielt jenen in die Karten, die es bislang auf dem Arbeitsmarkt schwer hatten, etwa Mütter nach der Familienpause. Doch viele Firmen belassen es bei Lippenbekenntnissen, statt wirklich in Mütter zu investieren, wie der Fall Jsabella Koller zeigt.
Publiziert: 17.02.2023 um 08:39 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2023 um 11:08 Uhr
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Jsabella Koller (56) fällt durch die Maschen. Arbeitgeber predigen, wegen des Fachkräftemangels vermehrt auf über 50-Jährige zu setzen. Geld in die Hand zu nehmen, um Frauen nach der Familienpause wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen.

Das mag in der Theorie stimmen – in der Praxis ist der Sinneswandel noch nicht überall angekommen, wie Kollers Geschichte beweist.

Witwenrente reicht nicht

Jsabella Koller wird 1994 Mutter. «Damals war es noch nicht üblich, sein Kind in eine Krippe zu geben», erzählt sie, als Blick sie in ihrem Wohnort Stäfa ZH trifft. Die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit sind eingeschränkt. Ihr damaliger Arbeitgeber, der Kanton Zürich, will sie für ein oder zwei Tage die Woche nicht zurücknehmen.

Jsabella Koller hat auf dem Arbeitsmarkt seit zwölf Jahren massiv zu kämpfen.
Foto: Rebecca Spring
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Wegen Fachkräftemangel:«Angestellte können jetzt mehr einfordern»

Koller kümmert sich 16 Jahre lang um ihren Sohn und den Haushalt. Bis Kollers Ehemann vor zwölf Jahren unvermittelt stirbt. «Die Witwenrente reicht nicht zum Leben», rechnet sie vor. Sie erhält weniger als 2000 Franken monatlich.

Also steigt sie nach 16 Jahren Familienpause wieder in den Arbeitsmarkt ein. Seither hangelt sich die 56-Jährige von einem Übergangsjob zum nächsten. Mal ist es eine Mutterschaftsvertretung in der Administration einer Autogarage. Mal eine Festanstellung im Verkauf eines Sport-Outlets – die Koller allerdings im zweiten Covid-Lockdown verliert.

Drei Tage vor der Aussteuerung

Die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat Jsabella Koller im Verkauf, wo sie ursprünglich ihre Lehre absolvierte. Eine Branche, die vom Fachkräftemangel aktuell besonders betroffen ist. Doch meist kriegt Koller nur Teilzeitstellen auf Stundenlohnbasis. «Ich habe keine Garantie, wie viele Stunden ich eingesetzt werde – und ob es am Ende des Monats aufgeht», erklärt Koller. Auch die Ferien sind nicht bezahlt, wobei die finanziell sowieso nicht drin liegen. «Es ist anstrengend, ständig die Stunden zusammenzurechnen. Reicht es, oder reicht es nicht?»

Dennoch hat Koller in den letzten Jahren unzählige solcher Jobs angenommen. Hauptsache, nicht ausgesteuert werden. «Einmal habe ich drei Tage vor der Aussteuerung etwas Neues gefunden!», erzählt sie. Wer ausgesteuert wird, erhält kein Arbeitslosengeld mehr, sondern nur noch die deutlich tiefere Sozialhilfe. Auch in der Arbeitslosenstatistik tauchen Ausgesteuerte nicht auf – das verfälscht die Zahlen. In der Schweiz liegt die Arbeitslosigkeit mit 2,2 Prozent rekordtief. «Darum beneidet uns die ganze Welt», brüstete sich Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) kürzlich am WEF in Davos GR. Für Menschen wie Jsabella Koller ein Hohn.

Vom Recruiter schikaniert

Im März beginnt sie einen neuen Job als Verkäuferin in einem Gartencenter. «Ich bin dankbar für den Job», betont sie. Dennoch sucht sie parallel weiter: nach mehr Stabilität, nach einem fixen Einkommen. «Ich schreibe jeden Tag Bewerbungen.» Meist hagelt es Standardabsagen. Manchmal auch solche, die sitzen. «Ein Recruiter hat mir mal gesagt, er kriege Augenkrebs von meinem Lebenslauf», erzählt sie empört. Grund sind die vielen Jobwechsel der letzten Jahre – dass Koller jeweils unfreiwillig wechselt, hilft ihr auf dem Arbeitsmarkt kaum.

Ihr Traumjob? «Etwas im kaufmännischen Bereich. Am liebsten bei einer Bank oder am Empfang.» In den 80er- und 90er-Jahren arbeitete Koller bei der Börse, bezeichnet sich selber als «Allrounderin». Ihr Wissen, etwa im Bankbereich, mag etwas veraltet sein, gibt Koller zu. «Aber ich will lernen!» Dass kein Arbeitgeber bereit ist, in sie zu investieren, während ständig vom Fachkräftemangel die Rede ist, stösst ihr sauer auf. «Ich will arbeiten. Aber man gibt mir nicht die Chance dazu.»

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