Deregulierung der Finanzindustrie
Neue Freiheiten für die Skandal-Branche

Bundesbern will neue Fonds erlauben, die von der Finanzmarktaufsicht nicht beaufsichtigt werden. Welche Folgen das in Zukunft haben wird, ist kaum absehbar.
Publiziert: 28.11.2021 um 15:16 Uhr
Thomas Schlittler

Limited Qualified Investor Fund, kurz L-QIF. Nie gehört? Das ist keine Schande. Den meisten Bundesparlamentariern dürfte es bis vor kurzem genauso ergangen sein.

Nichtsdestotrotz hat der Ständerat im Sommer grünes Licht gegeben für die Schaffung der neuen Fondskategorie, die von der Finanzmarktaufsicht (Finma) unbeaufsichtigt bleiben soll. Im Nationalrat, wo L-QIFs am kommenden Donnerstag behandelt werden, dürfte die Vorlage ebenfalls durchkommen.

Deregulierung trotz Skandalen

Diese Einhelligkeit überrascht. Schliesslich betrifft die Deregulierung eine Branche, die regelmässig für Skandale sorgt. Jüngstes Beispiel sind die geplatzten Greensill-Fonds der Credit Suisse (CS). Dabei kaufte das Finanzunternehmen Greensill Capital Lieferanten auf der ganzen Welt offene Rechnungen ab, wandelte sie in Wertpapiere um und bündelte sie in Fonds.

Bundesbern will neue Fonds erlauben, die von der Finanzmarktaufsicht nicht beaufsichtigt werden. Die geplante Deregulierung trifft eine Branche, die regelmässig für Skandale sorgt.
Foto: Keystone
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Die CS pries diese Fonds als «risikoarme Investments» mit «attraktiven Renditen» an. Verkauft wurden sie einzig an qualifizierte Anleger, dazu gehören Banken, Vermögensverwalter, Pensionskassen und Superreiche. Doch die Risiken wurden komplett falsch eingeschätzt. Zu viele Rechnungen blieben unbezahlt. Zudem kaufte Greensill auch offene Rechnungen von Lieferanten, die noch gar nichts produziert, verkauft oder geliefert hatten. Der eingebaute Versicherungsschutz erwies sich als nutzlos. Das System kollabierte. Die qualifizierten Anleger verloren Milliarden.

Undurchschaubare L-QIFs

Auch L-QIFs sind ausschliesslich für qualifizierte Anleger bestimmt. Was L-QIFs genau sind und was von ihnen zu erwarten ist, geht aus der Botschaft zur geplanten Gesetzesänderung allerdings nicht wirklich hervor. Zwar ist darin wiederholt von «innovativen» (neunmal), «flexiblen» (zehnmal) und «alternativen» (29-mal) Finanzprodukten die Rede. In welchen Bereichen genau neue Anlagemöglichkeiten geschaffen werden sollen – und wieso dafür keine Finma-Aufsicht nötig sein soll –, bleibt aber weitgehend im Dunkeln.

Dieser Umstand war auch im Ständerat ein Thema. Roberto Zanetti (66, SP) stellte fest: «Ich will nicht mitverantwortlich sein für etwas, was ich nicht durchschauen kann und was ein Reputationsrisiko für den Finanzplatz Schweiz birgt.»

Der Vater der L-QIF-Vorlage, Ständerat Ruedi Noser (60, FDP), räumte daraufhin ein, dass auch er nicht alles durchschaue bei diesem Geschäft. Problematisch finde er das aber nicht. «Wenn wir nur noch dort Gesetze erlassen sollten, wo wir alles durchschauen, dann erinnere ich Sie an pränatale Untersuchungen und andere ethisch sehr schwierige Bereiche, wo wir auch auf Expertenmeinungen zurückgreifen und Gesetze erlassen müssen, obschon wir nicht alles durchschauen.»

Nationalrätin Jacqueline Badran (60, SP) findet diese Attitüde mehr als bedenklich. Die Wirtschaftspolitikerin befürchtet vor allem, dass mittels L-QIFs zusätzliches Kapital auf den überhitzten Schweizer Immobilienmarkt fliesst: «Fonds brauchen unterliegende Produkte. Weinsammlungen, wie von den Befürwortern gerne behauptet, sind es wohl in den seltensten Fällen. Also sind es Immobilien – und das erhöht den Preisdruck zusätzlich.»

Stärkung des Finanzplatz Schweiz

Ruedi Noser bestreitet diese Gefahr. Er sieht in den L-QIFs nur Vorteile: «Wir schaffen die Möglichkeit, in einem rechtlich gesicherten Rahmen ein konkurrenzfähiges Finanzprodukt zu schaffen und dieses in der Schweiz anzusiedeln statt wie bisher im Ausland.» Heute gebe es viele qualifizierte Anleger aus der Schweiz, die in Luxemburg in solche Fonds investierten. «Diese können wir zurückgewinnen, wenn der Schweizer Finanzplatz ein konkurrenzfähiges Angebot ermöglicht. Damit holen wir Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Steuersubstrat zurück in die Schweiz.»

Was Noser in der Debatte nicht erwähnte: Die geplatzten Greensill-Fonds waren in Luxemburg domiziliert. Und wer sitzt bei der Credit Suisse Asset Management AG, welche die Fonds zu verantworten hat, im Verwaltungsrat? Genau: Ständerat Ruedi Noser.

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