David und Goliath in der Turnschuh-Welt
Nike verliert massiv Marktanteile an kleinere Marken

Nike schwächelt, während Herausforderer wie Hoka und On stark zulegen. Letzterer konnte den Aktienwert der Schweizer Kultmarke seit Jahresbeginn um fast zwei Drittel erhöhen. Können die Kleinen den Grossen bald das Wasser reichen?
Publiziert: 16.09.2024 um 11:39 Uhr

Auf einen Blick

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
tina_fischer.jpg
161211_HZ4246 Kopie.jpg
Tina Fischer und Marcel Speiser
Handelszeitung

Manchmal erzählen simple Kurven grosse Geschichten. Zum Beispiel die Kurven, welche die Aktienkurse der grossen Sportartikelfirmen wie Nike und Adidas sowie der Herausforderer von Hoka oder On beschreiben.

Wir sehen (siehe Grafik unten) einen Marktführer Nike, der in der Krise steckt. Wir sehen die Nummer zwei auf dem Weltmarkt, Adidas, welche sich wacker schlägt. Und wir sehen die Kurse von On und Hoka, die seit Anfang Jahr markant zugelegt haben. Aktuell ist die Aktie des Schweizer Unternehmens On fast zwei Drittel mehr wert als zu Beginn des Jahres. Und die Aktie der amerikanischen Deckers Outdoor Corporation – zu ihr gehören neben Hoka auch Ugg und Teva – ist rund einen Drittel wertvoller als zum Jahresauftakt.

Foto: zVg

Die Geschichte, welche die Kurven erzählen, entspricht zwar nicht der Legende von David gegen Goliath. Es ist im Markt für Sportschuhe keineswegs so, dass die kleinen Davids die grossen Goliaths bereits besiegt hätten. Aber es geht in diese Richtung: Die Kleinen graben den Grossen erhebliche Marktanteile ab. Je länger, je mehr. Sie scheinen – um bei der Metaphorik der alten Sagen zu bleiben – die Achillesfersen der Grossen gefunden zu haben. Sie sind cooler, heisser und begehrter als ihre etablierten Rivalen.

Ob Retro-Flair des kultigen It-Sneakermodells Samba von Adidas ...
1/4

Noch kann niemand unter den Neuen Nike das Wasser reichen

Wohlgemerkt: Noch immer spielt Nike im Sportartikelgeschäft in einer eigenen Liga. Der US-Konzern hat 2023 mehr als 50 Milliarden Dollar umgesetzt. Das sind Verhältnisse, wie wir sie in der Schweiz eigentlich nur im Uhrengeschäft kennen, das Rolex seit Jahren nach Belieben dominiert.

Im Unterschied zur Marke mit der Krone zeigt die Marke mit dem «Swoosh»-Symbol in letzter Zeit allerdings Schwächen. Besonders skeptische Kritikerinnen und Kritiker reden gar von einer Krise, in der Nike stecke.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

An der Börse stimmt das zweifellos. Der Aktienkurs von Nike liegt bei unter 80 Dollar tiefer als vor fünf Jahren. Operativ aber läuft das Geschäft nach wie vor einigermassen rund. Seit dem Covid-Einschnitt ist das Unternehmen Jahr für Jahr gewachsen, teils gar markant für einen Koloss in Multimilliardengrösse. Und selbst unter dem Strich ist die Welt noch in Ordnung: Seit 2018 hat Nike immer Gewinne von 2 oder mehr Milliarden Dollar eingefahren.

Darum schwächelt die Kult-Marke

Wo also ist das Problem? Einerseits hat Nike an Dynamik eingebüsst. Es wurden Managementfehler gemacht. Besonders spürbar war die falsche Entscheidung, die eigenen Produkte viel weniger über Sportartikelhändler zu vertreiben und mehr auf eigene Verkaufskanäle zu setzen – stationär wie online.

Natürlich hilft eine solche Massnahme in der Theorie, die eigenen Margen zu verbessern – schliesslich kann man als Unternehmen so gleich auch noch die Marge der Retailer in die eigene Tasche stecken. In der Praxis aber ging der Schuss nach hinten los. Nike verärgerte damit langjährige Partner. Und diese nutzten ihre Chancen, ihre traditionell Nike vorbehaltenen Schuhwände für andere Marken zu öffnen. Just für jene, die gerade am Aufkommen sind: On, Hoka, aber auch für jene, die es schon länger gibt, wie Asics, Under Armour oder New Balance.

Markenpositionierung leidet

Wichtiger aber noch als Erklärung für die erlahmende Dynamik, unter welcher der Platzhirsch leidet, ist die Tatsache, dass es bei Sportartikeln um mehr geht als um Zahlen.

Es geht um sportliche Performance, technische Innovation und das, was man früher unter Lifestyle subsummierte und heute gerne kulturelle Relevanz nennt. Es geht darum, dass Konsumentinnen und Konsumenten in der Regel einen Schuh nicht bloss kaufen, weil er bequem ist oder gut dämpft oder schönen Halt gibt. Sie kaufen einen Schuh, den sie haben wollen, der ihrem Selbstbild entspricht. Sie wollen – ganz profan – die richtige Marke an den Füssen haben.

Und auch da kam von Nike wenig, während die Konkurrenz mit einem frischen Image und technischen Neuerungen auftrumpfte – als Beispiele können die mittlerweile berühmten «Gartenschlauch-Sohlen» von On gelten oder die ganz neue Silhouette, welche Hoka an den Füssen von Hollywoodstars etablierte. Die Konsumentinnen und Konsumenten, so hielt das Fachmagazin «Business of Fashion» kürzlich nüchtern fest, seien «müde» geworden. Die immergleichen Variationen von Modellen wie «Air Force 1» oder «Jordan» hätten sie «ermatten» lassen.

Die Krise von Nike, wenn wir sie denn so nennen wollen, ist mittlerweile auch für den Chef John Donahoe zum Problem geworden. Zwar hat er diese Woche eine verhältnismässig heisse Generalversammlung überlebt, bei der dem Board erstmals seit Jahren überhaupt Gegenwind entgegenschlug. Aber über seinen Posten wird nun schon seit Wochen öffentlich diskutiert. Wobei der Grundton immer der gleiche ist: Schafft er es? Bekommt er es hin, das Blatt wieder zu wenden? Zugunsten des Giganten?

Unterschiedliche Signale auf dem Markt

Positive Signale, die für ein Revival von Nike sprechen, kommen vom Secondhandmarkt. Dort werden Sneaker mittlerweile gehandelt wie Uhren, Schmuckstücke oder Memorabilia. Und dort gehören Vintage-Nikes nach wie vor zur heissen Ware.

Alle drei der teuersten je versteigerten Turnschuhe tragen den «Swoosh». Und Eric LiBassi, beim Auktionshaus Sotheby’s für Streetwear verantwortlich, sagt: «Nike und Jordan sind im Bereich der Turnschuhe bei Sammlern nach wie vor führend.» Auch heute könne ein gut erhaltenes Paar «Air Jordan 1» – es wurde anno 1985 für 65 Dollar verkauft – noch «zwischen 15'000 und 30'000 Dollar kosten». Die historische Bedeutung des Modells sei eben nicht zu unterschätzen, so LiBassi. Will heissen: Die kulturelle Relevanz hat Nike noch lange nicht eingebüsst.

Für die Herausforderer sind 50 Prozent Marktanteil in Reichweite

Die Vergangenheit allerdings ist nicht das Gleiche wie die Zukunft, der Markt der Sammlerinnen und Sammler ist nicht der gleiche wie jener der Leute, die im Store oder im Netz nach einem neuen Paar Sportschuhe suchen. Und diesbezüglich sieht es für Nike – aber auch für andere etablierte Grössen wie Adidas oder Puma – nicht rosig aus. Während die grossen Marken noch vor zehn Jahren auf einen Marktanteil von 80 Prozent kamen, ist dieser heute auf noch 64 Prozent geschrumpft. Notabene in einem Tempo, das sich seit der Corona-Krise massiv verschärft hat.

Foto: zVg

Zudem dürften die Dynamikvorteile in den kommenden Jahren bei den Herausforderern wie Hoka und On bleiben. Zwischen 2021 und 2023 jedenfalls stieg der Umsatz der 13 von der US-Bank RBC untersuchten Herausforderermarken um durchschnittlich 29 Prozent pro Jahr, während die etablierten Unternehmen nur um 8 Prozent zulegten.

Weiter gehen die RBC-Analysten davon aus, dass die Herausforderer ihre etablierteren Konkurrenten auch in Zukunft übertreffen werden. Konkret rechnen sie für On, Hoka und Co. bis 2026 mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 11 Prozent. Bei Nike, Adidas und Co. liegt die Projektion bei 5 Prozent pro Jahr. Es würde ergo nicht erstaunen, wenn die Challenger in drei Jahren ihren Marktanteil auf gegen 50 Prozent ausbauen würden.

Finaler Ausgang ist noch offen

Aber eben: Nike könnte für das Weihnachtsgeschäft noch im laufenden Jahr mit einem Schuh auf den Markt kommen, der alles Bisherige in den Schatten stellt. Stilbewusste Konsumentinnen und Konsumenten könnten plötzlich genug haben vom klobigen Look der Hokas oder vom Retro-Flair der It-Sneaker «Samba» von Adidas. Dann sähe die nahe Zukunft wieder ganz anders aus. Und die Investoren, die Asics, On und die Hoka-Muttergesellschaft Deckers dieses Jahr in neue Höhen geschickt haben, müssten grundlegend über die Bücher.

Denn klar ist: Nike ist und bleibt eine Macht. Die Macht. Jedenfalls im Turnschuhbusiness. Nur zwei Zahlen: Trotz allem Buzz kommt On derzeit auf einen Marktanteil von unter 1 Prozent. Nike dagegen liegt bei 17 Prozent. Anders formuliert: Die Herausforderer mögen derzeit eine neue Weltordnung im Sportartikelmarkt heraufbeschwören. Noch aber sind sie für die Platzhirsche nur als Kollektiv stark. Und in der Regel wissen sich die Starken gegen die aufkommenden Kräfte durchaus zu wehren.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.