«Wir sind auch mit traditionellen Produkten innovativ»
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Traditionsfirma Caran d'Ache:«Unsere Produktion nimmt von Jahr zu Jahr zu»

Caran d’Ache-Chefin Carole Hübscher im grossen Interview
«Wir sind auch mit traditionellen Produkten innovativ»

Die Genfer Traditionsfirma Caran d'Ache wird in vierter Generation von Carole Hübscher präsidiert. Die Mitbesitzerin und ihr CEO Jean-François de Saussure gewähren Einblick in das Familienunternehmen, das in der Schweiz jedes Kind kennt.
Publiziert: 15.12.2020 um 01:36 Uhr
Interview: Christian Dorer, Fotos: Philippe Rossier

Die fast 50-jährige Fabrik von Caran d’Ache am Stadtrand von Genf ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Manufaktur: Die 280 Angestellten produzieren hier vieles von Hand, total 3400 Produkte für 90 Länder!

Jedes Kind kennt Caran d’Ache. Das Familienunternehmen ist seit Generationen quasi der nationale Lieferant von Bleistiften, Farbstiften, Kugelschreibern, Füllis und Farben aller Art.

Die Präsidentin und Mitbesitzerin Carole Hübscher (53) und CEO Jean-François de Saussure (53) führen BLICK durch die Fabrik. Sie ist zweigeteilt: Auf der einen Seite entstehen Farben und Bleistifte. Auf der anderen Seite Kugelschreiber und Füllis. Alles, was möglich ist, wird hier selber gemacht, bis hin zu den Minen. Selbst die meisten Maschinen sind Eigenproduktionen, weil es keinen Markt dafür gibt.

Caran-d'Ache-Verwaltungsratspräsidentin Caroline Hübscher (53) und Caran-d'Ache-CEO Jean-François de Saussure (53).
Foto: Philippe Rossier
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Zu Tausenden rollen die Farbstifte auf dem Fliessband daher – die Tagesproduktion würde aneinandergereiht von Genf nach Rom reichen! – und klimpern dann in einen Behälter. «La symphonie des crayons», sagt Hübscher entzückt.

BLICK: Wie funktionieren Sie beide zusammen?
Carole Hübscher: Damit Herr de Saussure Auskunft geben kann, sollte ich rausgehen (beide lachen). Im Ernst: In einem Familienunternehmen arbeiten auch die Eigentümer mit. Deshalb bin ich eine aktive Präsidentin.

Können Sie überhaupt etwas entscheiden, Herr de Saussure?
Jean-François de Saussure: Ich habe den grössten Teil meiner Karriere in Familienunternehmen verbracht und weiss, wie sie funktionieren: Solange ich das Vertrauen der Eigentümer habe, kann ich führen wie andere CEOs auch. Wir planen jedoch viel langfristiger als börsenkotierte Unternehmen.

Was macht Ihre Firma speziell?
Hübscher: Leidenschaft! Caran d’Ache ist magisch. Wir haben Kunden aller Generationen, verkaufen schöne Produkte, haben viele sehr langjährige Angestellte. Wir sind wie eine Familie. Es ist wie im Film «Charlie und die Schokoladenfabrik»: ein cooles Unternehmen!
de Saussure: Was gibt es Schöneres als eine Kinderzeichnung, eine handgeschriebene Nachricht, eine Postkarte? Wir schenken allen Generationen Freude, und die Menschen identifizieren sich stark mit dieser Marke, die sie schon so lange kennen.

Wie können Sie mit traditionellen Produkten innovativ sein?
Hübscher: Indem wir uns nie auf Lorbeeren ausruhen. Zum Beispiel gaben wir uns nicht damit zufrieden, dass wir die besten Bleistifte der Welt herstellen. Wir suchten einen Weg, wie wir das kalifornische Zedernholz mit seinen speziellen Eigenschaften durch ein Schweizer Holz ersetzen können – wir sind auf gutem Weg und werden immer mehr Bleistifte mit Schweizer Holz produzieren.

Hat Caran d'Ache während der Corona-Krise mehr verkauft, weil die Menschen mehr Zeit hatten zum Schreiben und Malen?
de Saussure: Der Umsatz war gesamthaft tiefer. Weltweit waren die Geschäfte geschlossen, und heute haben viele nicht die Liquidität, um grosse Vorräte einzukaufen. Gleichzeitig ist unser Online-Verkauf explodiert, was das Minus in den Geschäften aber nicht wettmachen konnte. So mussten wir das ganze Jahr über unsere Produktion der Nachfrage anpassen, was durch Kurzarbeit und die strengen Gesundheitsvorkehrungen besonders kompliziert war. Es geht uns aber den Umständen entsprechend gut, da wir von unserer Bekanntheit profitierten.

Wie spürten Sie die Schulschliessungen?
Hübscher: Am Anfang deckten sich viele mit Schreibwaren für zu Hause ein. Bei den Schulbestellungen spürten wir bisher nichts, da diese Ende Jahr zur Lieferung im Frühling getätigt werden.

Erhalten Sie noch alle Rohstoffe?
de Saussure: 86 Prozent stammen aus Europa und der Schweiz, darum hatten wir kaum ein Problem.

Wie wichtig ist das Weihnachtsgeschäft?
Hübscher: Sehr wichtig! Glücklicherweise sind in der Schweiz, unserem wichtigsten Markt, die Geschäfte offen. Wir haben unsere Linie «Klein-Blue» lanciert: alles Produkte in einer blauen Farbe, die der Künstler Yves Klein entwickelt hat. Blau ist eine der Lieblingsfarben der Menschen.

Was läuft am besten?
Hübscher: Die schönen Stifte, die Farben-Holzetuis und die Bleistift-Spitzmaschine! Sie ist ein Kult-Designobjekt, das jeder aus der Schule kennt.
de Saussure: Und die Personalisierung von «Caran d'Ache and me»: Wir haben ein Konfigurationstool entwickelt, das es ermöglicht, aus 3600 Varianten einen persönlichen Stift mit Gravur zu bestellen. Sie sehen: Wir sind auch mit traditionellen Produkten innovativ.

Familienunternehmen Caran d'Ache

Carole Hübscher (53) ist seit 2012 in vierter Generation Verwaltungsratspräsidentin des Familienunternehmens Caran d’Ache. Sie absolvierte die Hotelfachschule in Genf, studierte an der Harvard Business School und arbeitete für mehrere Schweizer Uhrenfirmen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Jean-François de Saussure (53) ist seit 2013 Generaldirektor. Er arbeitete zuvor bei der Waadtländer Firma SICPA, die Sicherheitsfarben für Banknoten herstellt. De Saussure besitzt ein Diplom für Internationale Wirtschaft, ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Caran d’Ache ist die einzige Schweizer Bleistift-, Farbstift- und Kugelschreiberfabrik der Schweiz. Das Familienunternehmen wurde 1924 gegründet, hat seinen Sitz in Thônex GE, beschäftigt 280 Mitarbeitende und exportiert in mehr als 90 Länder. Geschäftszahlen gibt die verschwiegene Firma keine bekannt. 2024 oder 2025 soll eine komplett neue Fabrik die bisherige ablösen.

Carole Hübscher (53) ist seit 2012 in vierter Generation Verwaltungsratspräsidentin des Familienunternehmens Caran d’Ache. Sie absolvierte die Hotelfachschule in Genf, studierte an der Harvard Business School und arbeitete für mehrere Schweizer Uhrenfirmen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Jean-François de Saussure (53) ist seit 2013 Generaldirektor. Er arbeitete zuvor bei der Waadtländer Firma SICPA, die Sicherheitsfarben für Banknoten herstellt. De Saussure besitzt ein Diplom für Internationale Wirtschaft, ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Caran d’Ache ist die einzige Schweizer Bleistift-, Farbstift- und Kugelschreiberfabrik der Schweiz. Das Familienunternehmen wurde 1924 gegründet, hat seinen Sitz in Thônex GE, beschäftigt 280 Mitarbeitende und exportiert in mehr als 90 Länder. Geschäftszahlen gibt die verschwiegene Firma keine bekannt. 2024 oder 2025 soll eine komplett neue Fabrik die bisherige ablösen.

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Werden eines Tages Tablets Ihre Kugelschreiber und Playstations die Farbstifte verdrängen?
Hübscher: Sehen Sie sich selber an, Sie schreiben auch immer noch von Hand (lacht).

Ich bin eben altmodisch!
de Saussure: Als die E-Reader eingeführt wurden, sagte man das Ende des Buches voraus. Es wurden aber noch nie so viele Bücher verkauft wie heute! Auch wurden noch nie zuvor so viele Notizbücher verkauft. Dazu braucht es Bleistifte oder Kugelschreiber. Zudem wächst die Bevölkerung, die sich Caran d’Ache leisten kann und will. Unsere Produktion nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Wie setzen Sie sich gegen billigere ausländische Konkurrenz durch?
Hübscher: Mit Beständigkeit und Swiss-made-Qualität. Unser Farbstift 070 zum Beispiel hat immer noch exakt dasselbe Rot wie vor dreissig Jahren, auch wenn sich das Rezept für seine Herstellung ständig weiterentwickelt. Dann die Liebe zum Detail, die Kontrolle bei jedem Schritt und natürlich die Rohstoffe: Innerhalb von zehn Jahren wollen wir 20 Prozent unserer Bleistifte mit Schweizer Holz herstellen und dabei den ausgezeichneten Qualitätsstandard «Swiss made» aufrechterhalten. Es ist wie beim Bio-Obst: Man zahlt eine Prämie für Qualität.

Wie kommt es, dass fast alle Schulen zu Ihren Kunden gehören?
de Saussure: Wir gewinnen viele, aber nicht alle kantonalen oder kommunalen Ausschreibungen. Unsere Präsenz an den Schulen ist enorm wichtig. Deshalb bilden wir seit 1975 jedes Jahr mehr als 2000 Lehrerinnen und Lehrer aus. Wir bringen ihnen Techniken bei, wie sie mit ihren Schülern unsere Produkte nutzen können.

Welche Länder boomen?
de Saussure: Wir wachsen stark in China, ebenso in Japan – dort ist Schreiben wichtig und Schweizer Qualität gefragt. Dann sind die skandinavischen Länder wichtige Märkte, aber auch Westeuropa und die USA.

Wie erkennen Sie billige chinesische Raubkopien?
Hübscher: An der Farbe des Holzes oder wenn die Bleistiftmine nicht richtig zentriert ist. Noch öfter als die Stifte werden jedoch einfach die Verpackungen kopiert.
de Saussure: Wir leiten jeweils rechtliche Schritte ein. Oft ist es aber schwierig, die Fälschungen bis zur Quelle zurückzuverfolgen.

Welchen Wert hat «Swiss made»?
Hübscher: Wir merken, dass es überall sehr wichtig ist, besonders in Asien hat das eine hohe Bedeutung. Das Vertrauen in dieses Label müssen wir unbedingt verteidigen.

Sie planen den Bau einer neuen Fabrik. Bleiben Sie trotz Wirtschaftskrise dabei?
Hübscher: Ja, wir möchten 2024 oder 2025 umziehen, das Land ist bereits gekauft. Es ist eine grosse Investition, die zeigt, dass wir auf unser Geschäft vertrauen. Der Umzug in einen Neubau lohnt sich mehr als die Renovierung dieses fast 50-jährigen Gebäudes. Wir werden den Umzug staffeln und so gestalten, dass möglichst wenig Produktionstage wegfallen.

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