Caran d'Ache-Chefin Carole Hübscher im Interview
«Wir Frauen zweifeln immer – das ist in unserer DNA»

Diese Bleistifte und Malkästen kennt jedes Kind. Caran d'Ache ist eine Schweizer Traditionsfirma, die sich jetzt sogar eine neue Fabrik leistet. Ein Gespräch über das Ziel, Schweizer Holz zu verwenden, und die grösste Bedrohung für ein Familienunternehmen: die Familie.
Publiziert: 03.11.2019 um 12:30 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2020 um 20:34 Uhr
Alexandra Fitz

«Sie brauchen einen richtigen Stift», sagt die Chefin von Caran d’Ache am grossen Sitzungstisch am Firmensitz in Thônex GE und rollt einen Kugelschreiber des Modells Stylon 849 rüber. «Tun Sie den anderen weit weg», tadelt sie weiter und lacht. Auf dem Bild soll ein schöner Stift sein. Einer von Caran d’Ache.

Carole Hübscher, jedes Kind kennt Caran D’Ache. Warum sind Sie so verbandelt mit den Schulen?
Carole Hübscher:
Die Lehrer vertrauen uns, sie benutzen unsere Produkte seit Jahren und wissen um deren Qualität.

Gibt es Verträge mit den Schulen?
Ja. Jedes Jahr machen wir den Kantonen Offerten. Genauso wie unsere Konkurrenten.

Neocolor: Die Wachsstifte sind ein Aushängeschild der Firma Caran d'Ache und weltberühmt.
Foto: Nicolas Righetti
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Sie betonen immer die Swissness von Caran d’Ache. Warum verwenden Sie nicht Holz aus der Schweiz?
Wir verwenden das beste Holz für Stifte, das es derzeit gibt. Das Wichtigste ist, dass man das Holz leicht spitzen kann. Es muss biegbar sein. Diese Eigenschaften erfüllt das FSC-zertifizierte Zedernholz, das in Kalifornien und Oregon wächst. Es gibt andere Gegenden, aber die haben nicht diese Menge. Das Schweizer Holz ist viel härter. Als wir es testeten, hat es anfangs unsere Maschinen kaputt gemacht.

Sie suchen trotzdem nach einer Lösung.
Ja, wir arbeiten seit fünf Jahren mit dem Departement für Holztechnik der Berner Fachschule in Biel zusammen, um Wege zu finden, heimische Baumarten zu nutzen. Wir wollen das passende Holz finden, das die gleichen Eigenschaften hat wie Zedernholz. Bis jetzt haben wir drei verschiedene Stifte aus Schweizer Holz herausgebracht – aus Arve, Buche und Kiefer. Wir haben das Ziel, innerhalb von zehn Jahren 20 Prozent unserer Stifte mit Schweizer Holz zu produzieren.

100 Prozent ist nicht möglich?
Nicht bevor wir das perfekte Holz finden.

Sie bauen ein neues Firmengebäude.
Ja. Wir haben 20 Minuten von hier in Bernex GE Land gekauft, um eine neue Manufaktur zu bauen. Und werden etwa 2023/2024 umziehen.

Es muss Caran d’Ache gut gehen, wenn Sie investieren können.
Wir müssen dafür den Boden, auf dem die aktuelle Manufaktur steht, verkaufen. Das Gebäude ist über 50 Jahre alt. Als wir einzogen, haben wir nicht mal die Hälfte der Menge produziert. Zurzeit arbeiten 300 Personen in Thônex, die Räume sind aber nicht mehr zweckmässig. Wir haben keinen direkten Zugang zur Autobahn, so müssen die Lastwagen durch das Zentrum fahren. Das macht keinen Sinn. Auch unsere Mitarbeiter, die nicht in Genf wohnen, weil es in der Stadt einfach schwierig ist, Wohnungen zu bekommen, müssen die ganze Stadt durchqueren, um bei uns zu arbeiten. Das ist nicht optimal.

Sie sind seit 2012 Chefin von Caran d’Ache. War Ihr Vater noch in der Firma, als Sie übernahmen?
Physisch war er oft hier, aber er war nicht mehr Präsident.

War es nicht schwer, dass er noch im Haus war?
Wir hatten Zeit für die Übergabe. Es dauerte etwa zehn Jahre, bis ich übernahm. Ich sagte ihm: An dem Tag, an dem du aus deinem Büro ausziehst, werde ich übernehmen. Das war für mich ein wichtiges Signal. Es klingt nach einer Kleinigkeit, aber das Zeichen ist stark. Am Anfang war er noch hier, aber dann kam er immer weniger. Er brauchte auch etwas Zeit, schliesslich arbeitete er mehr als 50 Jahre hier.

Führen Sie das Unternehmen heute anders als am Anfang?
Ich habe mehr Erfahrung. Ich weiss besser, was es bedeutet, ein solches Unternehmen zu führen. Und jetzt arbeite ich mit einem Team, das ich selber aussuchen konnte.

Sie haben mehr Frauen angestellt.
Ja. Wir haben auch einen Preis gewonnen (Hübscher holt die Urkunde «Le Prix du Cercle Suisse des Administratrices», im Juni wurde Caran d’Ache ausgezeichnet, auch wegen des hohen Frauenanteils). Wir sind 50 Prozent Frauen in der Leitung.

Und in der Firma?
Ein bisschen mehr Männer als Frauen.

Sie liest weiter die Jury-Antwort auf der Urkunde: Caran d’Ache wird gelobt für den Standort Schweiz, Lohngleichheit, Nachwuchs und ethisches Handeln.

Wieso werden grosse Firmen in der Schweiz meistens von Männern geführt?
Das ändert sich gerade. Firmen realisieren langsam, dass ihre Kunden unterschiedlich sind, deswegen braucht es auch in der Führung Diversität. Ich spreche nicht nur von der Gender-Verteilung im Verwaltungsrat. Es braucht unterschiedliche Kompetenzen am Tisch. Die Zeit ist vorbei, als der Verwaltungsrat aus guten alten Freunden bestand. Ich glaube aber nicht, dass Frauenquoten die Lösung sind.

Sind Frauen manchmal selber schuld, weil Sie sich weniger gut verkaufen?
Wir Frauen zweifeln immer. Das ist in unserer DNA. Aber Frauen der jüngeren Generation zweifeln weniger als in der Vergangenheit. Wir haben bessere Ausbildungen. Ich habe drei Töchter, ich sage ihnen immer: Glaubt an euch, vertraut euch, ihr könnt alles machen, was ihr wollt. Aber heute spielen kleine Mädchen immer noch mit Puppen und die Jungs mit was anderem. Physik und Mathe studieren immer noch viel mehr Jungs als Mädchen. Das ist schade.

Ihre drei Kinder sind noch in der Schule. Sprechen Sie mit ihnen über die Nachfolge?
Das ist eines der wichtigsten Themen, mit denen ich mich auseinandersetze. Man sagt nicht umsonst: Die grösste Bedrohung für Familienunternehmen ist die Familie. Ich muss sicherstellen, dass die nächste Generation bereit ist.

Wie?
Ich bringe immer Ideen und Neuheiten heim und frage meine Kinder nach ihrer Meinung. Das ist auch eine Art, sie an die Marke zu binden. Sie machen hier Sommerjobs. Sie sind involviert: Wenn wir reisen, besuchen wir Kunden und schauen, was es Neues auf dem Markt gibt. So macht man das in einem Familienbusiness. Aber je mehr Generationen es gibt, desto mehr Leute, deswegen müssen wir uns organisieren. Wir haben auch gewisse Regeln und Anforderungen, die eingehalten werden müssen, wenn man hier arbeiten will. Wir halten alles fest, dass es nicht zu Streitereien kommt.

Ist es möglich, dass alle ihre Kinder ins Unternehmen eintreten?
Ich habe auch noch eine Schwester, die Kinder hat. In der nächsten Generation gibt es einige, aber sie sind alle noch zu klein.

Werden wir denn in Zukunft überhaupt noch von Hand schreiben?
Diese Diskussionen gibt es. Aber ich vertraue darauf, dass wir nicht aufhören, von Hand zu schreiben. Der Fakt, dass du frei bist zu lesen und zu schreiben, ist eine Art des Friedens. Ich denke, es wird ein Comeback geben, und ich bin überzeugt, dass das Schreiben von Hand nie verloren geht.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern über diese Werte?
Meine Kinder schreiben in der Schule immer noch von Hand, in der Romandie haben sie keine Tablets im Unterricht. Bis jetzt. Tablets und Handschrift ergänzen sich. Mit dem Tablet wirst du unterhalten, aber du bist nicht kreativ. Wenn man zeichnet, braucht man andere Hirnareale. Ich glaube, Kreativität wird immer wichtiger, sie unterscheidet uns auf längere Sicht von Robotern.

Führen Sie noch eine analoge Agenda?
Ja, ich mache meine Notizen immer noch von Hand. Es ist wichtig für mich, und ich erinnere mich auch besser an meine Termine. Es gibt Studien, die zeigen, dass man sich besser an Dinge erinnert, wenn man sie von Hand aufgeschrieben hat.

Was ist ein weiterer Vorteil des analogen Schreibens?
Es ist ein Teil von uns. Die Art, wie man schreibt, sagt einiges über die Persönlichkeit aus. Die eigene Handschrift ist ein Teil der Seele, den man auf Papier bringt. Getippte Nachrichten sind alle gleich – ausser dem Inhalt. Das Verschicken von Postkarten bedeutet, dass man sich die Zeit für den Empfänger genommen hat.

Schreiben Sie Postkarten?
Ja. Wenn wir in den Ferien sind, verschicken wir sie als Familie, und wenn ich geschäftlich unterwegs bin, schicke ich meinen Kindern welche. Postkarten bewahrt man auf. Genauso einen schönen Brief.

Die Frau mit den Stiften

Carole Hübscher (52) ist seit 2012 Geschäftsführerin des Genfer Farbstift- und Schreibwarenherstellers Caran d’Ache in Thônex GE und leitet das Unternehmen in vierter Generation. Hübscher machte die Hotelfachschule in Genf, studierte an der Harvard Business School und arbeitete für mehrere Schweizer Uhrenfirmen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Caran d’Ache wurde 1915 als ­Fabrique Genevoise de Crayons (Genfer Bleistiftfabrik) gegründet. 1924 übernahm ­Arnold Schweitzer die «Genfer Bleistiftfabrik» und taufte sie um in Caran d’Ache. Der Begriff kommt vom russischen Wort «karandasch» (Bleistift), das sich seinerseits vom türkischen «kara tash» ableitet und «schwarzer Stein» bedeutet, aus dem Grafit hergestellt wird. 1930 erwirbt die ursprünglich aus Schaffhausen stammende Familie Hübscher eine Beteiligung. Heute gehört die Firma den drei Familien Hübscher, Christin, einem Familienzweig der Hübschers, und Reiser.

Carole Hübscher (52) ist seit 2012 Geschäftsführerin des Genfer Farbstift- und Schreibwarenherstellers Caran d’Ache in Thônex GE und leitet das Unternehmen in vierter Generation. Hübscher machte die Hotelfachschule in Genf, studierte an der Harvard Business School und arbeitete für mehrere Schweizer Uhrenfirmen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Caran d’Ache wurde 1915 als ­Fabrique Genevoise de Crayons (Genfer Bleistiftfabrik) gegründet. 1924 übernahm ­Arnold Schweitzer die «Genfer Bleistiftfabrik» und taufte sie um in Caran d’Ache. Der Begriff kommt vom russischen Wort «karandasch» (Bleistift), das sich seinerseits vom türkischen «kara tash» ableitet und «schwarzer Stein» bedeutet, aus dem Grafit hergestellt wird. 1930 erwirbt die ursprünglich aus Schaffhausen stammende Familie Hübscher eine Beteiligung. Heute gehört die Firma den drei Familien Hübscher, Christin, einem Familienzweig der Hübschers, und Reiser.

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