Analyse von Werner Vontobel zum groben Denkfehler im Mietrecht
Darum rechtfertigen steigende Hypozinsen keine höheren Mieten

Allen – besonders auch dem Gesetzgeber – scheint es normal, dass mit steigenden Hypothekarzinsen auch die Mieten steigen müssen. Doch die Sache ist etwas komplexer.
Publiziert: 13.05.2023 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 13.05.2023 um 09:28 Uhr
Werner Vontobel

Es ist überall das grosse Thema: Die Zinsen steigen, und damit werden automatisch auch die Mieten teurer. Die «SonntagsZeitung» erklärte es uns jüngst so: «Der hypothekarische Referenzzinssatz wird um einen Viertelprozentpunkt auf 1,5 Prozent steigen. Die Mieten dürfen dann auf den nächsten Kündigungstermin um 3 Prozent angehoben werden.» Und weil das wohl noch nicht das Ende der Zinssteigerungen sei – und weil die Vermieter 40 Prozent der Inflation auf den Mietzins überwälzen dürfen – «könnten die Mieten laut UBS – je nach Inflationsrate – um rund 15 Prozent ansteigen».

Hoppla! Der typische Mieterhaushalt, der bisher rund 30 Prozent seines verfügbaren Einkommens für die Miete bezahlte, muss – wenn es so kommt – jährlich rund einen halben Monat länger für seinen Vermieter arbeiten.

Geringverdiener trifft es massiv

Für die tieferen Einkommensschichten ist die Rechnung meist noch viel gesalzener. Das heisst dann entweder Umzug aufs Land und lange Arbeitswege – oder staatliche Zuschüsse. Dennoch finden das offenbar alle normal: Zinsen hoch, Mieten rauf. So steht es auch im Mieterschutzgesetz, das offenbar alle kennen – aber schon lange nicht mehr hinterfragt wurde.

Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet für Blick regelmässig aktuelle Themen aus der Volkswirtschaft ein.
Foto: Paul Seewer
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Rein ökonomisch gesehen gibt es keinen Grund, warum die Mieter die Kosten einer Zinserhöhung tragen müssten.
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Rein ökonomisch gesehen gibt es nämlich keinen Grund, warum die Mieter die Kosten einer Zinserhöhung tragen müssten. Die Erklärung: Die Zinsen steigen (fast) immer nur dann, wenn auch die Inflation steigt. Das ergibt Sinn: 3 Prozent Inflation bedeuten, dass sich die reale Schuld alle 24 Jahre halbiert. Wenn das Haus nach 72 Jahren renoviert oder abgerissen werden muss, ist der Vermieter praktisch schuldenfrei. Im Gegenzug muss der Gläubiger hinnehmen, dass sein Guthaben mit der Zeit praktisch wertlos wird.

Schaden abwenden, aber wie?

Der Gläubiger hat nun zwei Möglichkeiten, den Schaden abzuwenden: Er kann einen entsprechend höheren Zins verlangen. Das ist die übliche Lösung. Oder er könnte mit dem Schuldner eine «Realzinshypothek» vereinbaren. Danach wird die Schuld der laufenden Teuerung angepasst und bleibt somit real gleich hoch. Im Gegenzug begnügt sich der Gläubiger mit einem tiefen «Realzins» von zum Beispiel einem Prozent.

Steigende Zinsen sind also letztlich eine Sache zwischen dem Gläubiger und dem Hausbesitzer. Dieser profitiert davon, dass die Inflation seine Schuld real abbaut, und zahlt dafür einen höheren Zins. Dass er diesen auf den Mieter abwälzen und sich damit doppelt bereichern kann (Profit aus der Vermietung plus Gratis-Abbau der realen Schuld), ist ökonomisch gesehen nicht zu rechtfertigen.

Unverständlicherweise erlaubt das Mietrecht dem Vermieter aber genau das. Fragt sich: Warum? Ist es ökonomischer Unverstand, oder liegt es daran, dass die Vermieter in Bern die stärkere Lobby haben? Vermutlich gilt beides: Die Sieger schreiben nicht nur die Geschichte, sondern auch die ökonomischen Lehrmeinungen.

Jede zehnte Wohnung wird trotz Baubewilligung nicht realisiert

Es braucht immer mehr Wohnraum für die wachsende Schweizer Bevölkerung – und trotzdem werden immer weniger Baugesuche eingereicht. Warum? Als Grund nennt die ZKB in ihrer Immobilien-Studie die baulichen Rahmenbedingungen: Der Wohnungsbau gleicht einem Hürdenlauf.

Vom Baugesuch bis zur Baubewilligung dauert es heute im Schnitt 140 Tage. Das ist 67 Prozent länger als noch 2010. Je dichter ein Gebiet besiedelt ist, desto grösser sind die Verzögerungen. Das führt dazu, dass es im Kanton Zürich fast 200 Tage dauert, bis ein Gesuch bewilligt wird. Am längsten muss im Kanton Genf auf eine Bewilligung gewartet werden – 500 Tage.

Aber auch nachdem die Bauherren die Bewilligung im Sack haben, kann noch einiges schiefgehen. «Einsprachen werden nicht umsonst als fünfte Landessprache bezeichnet», sagt Ursina Kubli (43), Leiterin Immobilien Research bei der ZKB. Trotz Baubewilligung wird jede zehnte Wohnung nicht realisiert. Dadurch fehlen dem Mietwohnungsmarkt jährlich 4000 Wohnungen – Tendenz steigend. (kae)

Es braucht immer mehr Wohnraum für die wachsende Schweizer Bevölkerung – und trotzdem werden immer weniger Baugesuche eingereicht. Warum? Als Grund nennt die ZKB in ihrer Immobilien-Studie die baulichen Rahmenbedingungen: Der Wohnungsbau gleicht einem Hürdenlauf.

Vom Baugesuch bis zur Baubewilligung dauert es heute im Schnitt 140 Tage. Das ist 67 Prozent länger als noch 2010. Je dichter ein Gebiet besiedelt ist, desto grösser sind die Verzögerungen. Das führt dazu, dass es im Kanton Zürich fast 200 Tage dauert, bis ein Gesuch bewilligt wird. Am längsten muss im Kanton Genf auf eine Bewilligung gewartet werden – 500 Tage.

Aber auch nachdem die Bauherren die Bewilligung im Sack haben, kann noch einiges schiefgehen. «Einsprachen werden nicht umsonst als fünfte Landessprache bezeichnet», sagt Ursina Kubli (43), Leiterin Immobilien Research bei der ZKB. Trotz Baubewilligung wird jede zehnte Wohnung nicht realisiert. Dadurch fehlen dem Mietwohnungsmarkt jährlich 4000 Wohnungen – Tendenz steigend. (kae)

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