Sogar der Grossvater steigt mit bald 80 Jahren noch ins Sägemehl
Das ist die stärkste Familie der Sägemehlschweiz!

Die von Weissenfluhs haben sich trotz einem Zweikampf-Verbot zu einer gefürchteten Schwinger-Familie entwickelt. Samuel Giger macht die Dynastie vom Hasliberg jetzt noch stärker!
Publiziert: 19.09.2021 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2021 um 14:19 Uhr
Marcel W. Perren (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Es ist ein echtes Drama, das sich am letzten Juli-Sonntag des Jahres 1960 unweit des Hauses von Weissenfluh abspielt. Beim Brünig-Schwinget greift der Haslitaler Beat Thöni im Schlussgang den grossen Favoriten Karl Meli unerschrocken an, bis er vom Zürcher in heftigster Manier ausgekontert wird. Thöni landet mit einer Querschnittlähmung im Rollstuhl!

«Ich war damals 16 und wollte selber anfangen mit Schwingen», erinnert sich Peter von Weissenfluh. «Aber nach dem fürchterlichen Unfall unseres guten Bekannten Beat haben mir meine Eltern den Gang in den Schwingkeller verboten.»

Mit 18 wird der Bauernsohn für ein Jahr ins Welschland geschickt. «Dort lernte ich glücklicherweise einen Käser kennen, der mich ins Schwingtraining nach Murten mitnahm. Hier begegnete ich Schwingerkönig Willy Lardon, von dem ich den Spezial-Hüfter lernen durfte.» Unmittelbar nach seiner Heimkehr an den Hasliberg spricht Peter mit seinen strengen Eltern Klartext: «Ich werde in Zukunft Schwingfeste bestreiten, ganz egal, ob euch das passt oder nicht.» Der stämmige Spätstarter zieht seinen Plan in eindrücklicher Manier durch. Von Weissenfluh triumphiert bei acht Kranzfesten und gewinnt dreimal den Eidgenössischen Kranz.

Obwohl Peter von Weissenfluh in den frühen 60er-Jahren von seinen Eltern ein Schwing-Verbot erhalten hat, hat sich der Bauernsohn zu einem richtig «Bösen» entwickelt. Acht Kranzfestsiege und drei Eidgenössische Kränze hat der mittlerweile 78-Jährige erkämpft.
Foto: Sven Thomann
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Kilian und sein «Hobby-Schwager» Samuel Giger

Nach dem Rücktritt von Peter von Weissenfluh im Herbst 1980 beginnen seine Söhne ordentlich Sägemehlstaub aufzuwirbeln. Christian feiert 23 Kranzfestsiege. Und obwohl der 1,70 Meter kleine Peter junior nicht wirklich die idealen Voraussetzungen für den Schwingsport mitbringt, erkämpft auch er sich 13 Eichenlaub-Auszeichnungen.

«Als ich den Brünig-Kranz gewann, brachte ich lediglich 78 Kilo auf die Waage.» Peter junior hat die körperlichen Defizite mit seiner genialen Technik kompensiert. Und jetzt darf «Petsch» mit doppelten Hoffnungen dem Kilchberg-Schwinget entgegenblicken. Samuel Giger, nach seinen sieben Saisonsiegen am Samstag der Topfavorit, gehört mittlerweile nämlich auch zur Familie von Weissenfluh. Der Thurgauer ist seit zwei Jahren mit Peters Tochter Michelle liiert. Und dann ist da natürlich sein Sohn Kilian, der zu den grössten Stützen im Team der Berner gehört.

Der 25-Jährige hat in dieser Saison neun Kränze ergattert. Vor drei Wochen hat der 1,87-Meter-Mann am Emmentalischen seinen ersten Kranzfestsieg gefeiert. Wie oft hat er denn in der Vorbereitung mit Giger trainiert? «Wenn mein Hobby-Schwager am Wochenende bei meiner Schwester am Hasliberg weilt, dann klopfen wir zwar oft einen Jass. Aber trainiert haben wir noch nie zusammen», erzählt Kilian.

Eine ganz besondere Trainingseinheit hat «Kili» aber vor nicht allzu langer Zeit mit seinem mittlerweile 78-jährigen Grossvater absolviert. «Grosspapa ist noch einmal in die Zwilchhosen gestiegen, weil er mir den Spezial-Hüfter zeigen wollte. So gut wie er beherrsche ich diesen Schwung aber leider noch lange nicht.» Leichter tut sich Kilian da mit den «Waffen» seines Vaters und seines Onkels. «Von Papa habe ich den Hochschwung übernommen, von Christian das Schwingen in den Griffen gelernt und den unbedingten Willen zum Siegen geerbt.»

«Chrigels» legendäre Kilchberg-Frisur

Kilian weiss, dass sein Onkel den Schwingsport in den 90er-Jahren im Athletik-Bereich revolutioniert hat. «In einem Blick-Artikel wurde Christian damals sogar als Schwarzenegger des Sägemehls betitelt.» Die sportliche Entwicklung von Christian von Weissenfluh prägte Sportmediziner Bernhard Segesser, der zuvor als Arzt von Ski-Heiland Pirmin Zurbriggen nationale Berühmtheit erlangt hatte. «Ab dem Jahr 1989 hat mir Doktor Segesser die Trainingspläne konzipiert. Zudem begann ich in dieser Zeit auch die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Mental-Trainer von Bernhard Russi.»

Wie viel Selbstvertrauen Russis Seelenklempner von Weissenfluh in dieser Phase einimpft, belegt eine Episode, die sich vor dem Kilchberg-Schwinget 1996 abspielt. «Vor der Abreise nach Kilchberg sagte ich meiner Coiffeuse, sie soll mir die Zahl 1 in den Nacken rasieren …» Zu Beginn deutet dann tatsächlich einiges darauf hin, dass der Schlussgang-Teilnehmer vom Unspunnen 1993 zur Nummer 1 am Kilchberg avanciert – die bösen Ostschweizer Urs Bürgler und Jörg Abderhalden bodigt von Weissenfluh souverän. Und er besiegt auch den starken Schwyzer Heinz Suter. Doch im fünften Gang taucht der Berner Oberländer gegen den Baselbieter Rolf Klarer, muss sich deshalb mit dem vierten Schlussgang begnügen.

Mittlerweile ist der 55-Jährige selbständiger Bauunternehmer. Sein Vater hat sich nach dem Rücktritt als Schwinger einen grossen Namen als Ländlermusikant gemacht. 920 Eigenkompositionen hat der Klarinettist, welcher seit 14 Jahren im Bündnerland residiert, bereits kreiert. Sein letztes Stück hat Peter von Weissenfluh seinem Enkel Kilian nach dem Sieg am Emmentalischen gewidmet. Der passende Titel: «Starch syn».

Gut möglich, dass Peter von Weissenfluh nach dem Kilchberger die nächste Hymne für seinen starken Erben schreiben wird.

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