Junge Fahrer haben oft Mühe
Der Radsport diskutiert über Kontrollwahn

Rad-Profis sind heute gläserne Sportler. Nicht alle halten dies aus. Die Schweizer Profis an der Tour de Suisse erzählen von krassen Kontrollen.
Publiziert: 09.06.2021 um 01:40 Uhr
Mathias Germann

Jünger, besser, schneller! Aber auch gesünder? Die Professionalisierung im Radsport spült junge Fahrer früh an die Spitze. Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar (Pol) ist 21 und Egan Bernal (Kol) hat mit 24 Jahren Tour und Giro gewonnen. «Als ich anfing, wäre so etwas unmöglich gewesen», sagt Michael Schär (34). Der Schweizer Routinier sieht die Entwicklung kritisch. «Ich frage mich, welchen Preis die jungen Fahrer dafür zahlen.»

Tatsächlich nehmen die Technisierung und Kontrollen im Radsport derart zu, dass sie bereits das Privatleben vieler Fahrer durchdringen. Beispiele? Stefan Bissegger (22) trägt stets ein Gerät am Handgelenk, welches die Variabilität seiner Herzschläge misst – sogar unter der Dusche. «Es zeigt, wie gut ausgeruht ich bin. Würde ich ein Glas Wein trinken, würde man dies in der Kurve sofort erkennen», so der Thurgauer.

Vier Mal täglich auf die Waage

Bissegger betont: «Jeder Fahrer kann selbst bestimmen, wie weit er gehen will.» Marc Hirschi (22) stimmt zu, warnt aber: «Wenn empfohlen wird, viermal pro Tag auf die Waage zu stehen, kann dies einen jungen Fahrer kaputtmachen.» Er sei froh, dass bei seinem Team UAE Emirates nicht alles so streng ist.

Der gläserne Radsportler: Heute werden die Profis ständig überwacht. Nicht alle können damit umgehen.
Foto: keystone-sda.ch
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Allerdings sind nicht alle jungen Fahrer so talentiert wie Bissegger und Hirschi – und nicht so selbstbewusst, um sich zu wehren. Sie akzeptieren es, wenn ihre Portion Haferflocken beim Frühstück vom Koch grammgenau abgemessen wird. Sie bewerten brav die Qualität ihres Schlafs täglich anhand einer Skala von 1 bis 10 auf dem Handy. Und sie motzen auch nicht, wenn ihnen ein Diabetes-Patch an den Arm geklebt wird, um den Blutzucker zu messen.

«Fing an, auf dem Velo zu weinen»

Der Kontroll-Wahn kann Athleten psychisch zermürben. Besonders krass ist der Fall des französischen Jugend-Meisters Theo Nonnez. Er trat im Frühjahr zurück, obwohl ihm alle Profi-Türen offen standen – und das mit 21 Jahren. «Ich war auf einer Trainingsfahrt und fing irgendwann auf dem Rad an zu weinen. Da wusste ich: So geht es nicht weiter.»

Er habe Tag und Nacht nur noch an den Radsport gedacht, so Nonnez. «Ich entfernte mich von den Leuten, die ich liebte – entweder, weil ich keine Zeit mehr für sie hatte oder mir selber Barrieren machte. Ich musste aus diesem Teufelskreis raus.»

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