«Dafür gibt es nicht die richtigen Worte»
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Christen nach Olympia-Gold:«Dafür gibt es nicht die richtigen Worte»

Nina Christen (27) holt nach Bronze auch Gold und schreibt Sportgeschichte
«Ich fühle mich jetzt nicht als Star»

Sie schiesst 20'000 Schuss im Jahr, liebt die Musik von Gotthard und hat Nerven wie Drahtseile: Sportschützin Nina Christen verlässt Tokio als Schweizer Gold-Heldin.
Publiziert: 31.07.2021 um 18:36 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2021 um 19:07 Uhr
Mathias Germann

Cool, cooler, Nina Christen! Die 27-jährige Nidwaldnerin ballert sich nach Bronze mit dem Luftgewehr zu Gold im Dreistellungsmatch mit dem Kleinkalibergewehr. Dabei beweist sie einmal mehr Nerven aus Stahl. Denn: Vor dem abschliessenden Stehendschiessen ist Christen nur Fünfte. Doch was heisst das schon bei ihr? Nichts. Sie macht Rang für Rang gut, liegt schon bald an der Spitze und muss am Ende nicht einmal mehr zittern. «Ich bin einfach mega glücklich. Für uns Schützen ist Olympia das Höchste. Dabei sein ist schon super. Und dann noch gewinnen? Da gibt es eigentlich keine Worte», sagt sie strahlend.

Christen lässt ihren Gefühlen nach dem Wettkampf freien Lauf. Das kontrastiert mit dem kühl wirkenden Wettkampf, bei dem die Athletinnen wie Maschinen wirken und nicht einmal den Anflug von Emotionen zeigen. Aber: Christen tickt anders als die meisten Konkurrentinnen. «Es ist die weit verbreitete Meinung, dass man Emotionen unterdrücken sollte. Aber sie stauen sich an und irgendwann gibt es eine innere Explosion», erzählt sie. «Deshalb lasse ich sie auch mal raus» – sei es innerlich oder äusserlich, indem sie eine Faust ballt. «Danach bin ich wieder ruhiger», verrät Christen ihr Geheimnis.

Sie lässt sich nach Bronze nicht gehen

Tatsächlich läuft Christen manchmal gar Gefahr, «in Emotionen unterzugehen», wie sie es formuliert. Genau dies befürchten viele vor ihrem Gold-Auftritt. Denn: Entgegen der Meinung vieler macht ihre bereits gewonnene Bronzemedaille Christen nicht lockerer. Im Gegenteil. «Ich habe das Gefühl, nur Silber oder Gold würde die Bronzemedaille rechtfertigen», sagt sie.

Geschafft! Nina Christen holt im Schiessen nach Bronze jetzt auch noch Gold!
Foto: keystone-sda.ch
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Dass sie dieser selbst auferlegte Druck nicht hemmt, sondern sogar beflügelt, spricht für Christens Klasse. Als sie in der Mixed Zone darauf angesprochen wird, dass sie die erste Schweizerin sei Gianna Hablützel-Bürki 2000 ist, die bei den gleichen Olympischen Spielen zwei Einzelmedaillen geholt hat, kann sie dies kaum glauben. «Der sporthistorischen Bedeutung dieser Medaille bin ich mir überhaupt nicht bewusst», sagt sie.

20'000 Schüsse und das grosse Glück

Es wird wohl noch einige Tage dauern, ehe Christen versteht, was ihr in Tokio gelungen ist. Vielleicht schafft sie es im langen Flug zurück in die Schweiz – sie wird am Montag erwartet. Was die Zeit-Soldatin – sie hat eine 50-Prozent-Anstellung bei der Armee – hoch über den Wolken machen wird?

Vielleicht an die Zeit vor Rio 2016 erinnern, als sie als Ferienjob das Schulhaus putzen ging, um ihr karges Salär etwas aufzubessern. Möglich auch, dass sie etwas Musik von Gotthard («Ich kenne alle Lieder») hören wird. Vielleicht auch wird sie einige Artikel oder Nachrichten lesen, die ein Wortspiel mit ihrer Heimat Wolfenschiessen NW beinhalten. «Alle finden das mega cool, ich aber langsam ziemlich lahm», sagt sie dazu. Sicher ist: Der Entscheid, 2016 das Biologiestudium zugunsten des Sports abgebrochen zu haben, dürfte sie nicht bereuen.

«Ich fühle mich nicht als Star»

Christen, die sicher bis Paris 2024 weitermachen will, hat das Schiessen im Blut: Der Grossvater war Schütze, der Vater war Schütze, Schiessen ist bei den Christens ein Familien-Ding. Ab sofort kennen aber nicht nur Insider, sondern alle ihren Namen. Wie wird sie damit umgehen? «Ich fühle mich nicht als Star. Klar, der Rummel wird am Anfang gross sein – aber ich nehme es Schritt für Schritt.»

Übrigens: Wer meint, dass Christen auch in Gesellschaftsspielen, die eine ruhige Hand erfordern, dominiert, darf sich trösten. Es ist nicht so. Ob Jenga oder Mikado – Christen ist keine Überfliegerin, auch wenn sie fast 20’000 Schüsse pro Jahr abgibt. «Ich würde nicht behaupten, dass ich da immer gewinnen würde», sagt sie lachend.

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