Bauer, ledig, läuft...
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Marathonläufer Patrik Wägeli:Bauer, ledig, läuft...

Zweitbester Marathon-Läufer in der Schweiz
Patrik Wägeli ist der schnellste Bauer Europas

Patrik Wägeli (29) ist der schnellste Bauer Europas. Warum er eigentlich zu schwer ist, wieso er Tabak anbaut und weshalb er keine Haustiere braucht, erklärt er bei einem Hof-Besuch.
Publiziert: 10.07.2020 um 18:02 Uhr
Daniel Leu (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Wer zum ersten Mal den Hof der Familie Wägeli im thurgauischen Nussbaumen besucht, der staunt. Kein Hund, der einem bellend empfängt. Keine Katze, die einem um die Beine streicht. Kein Hahn, der lautstark kräht. «Mir fehlt hier nichts. Ich müsste nicht sieben Haustiere haben», sagt Patrik Wägeli und lacht.

Er wird noch häufig lachen an diesem heissen und sonnigen Donnerstagnachmittag. Patrik Wägeli ist gemäss Eigenwerbung der «Fastest Farmer». Der schnellste Bauer Europas («in Kenia gibt es noch schnellere») und hinter Tadesse Abraham zurzeit der zweitschnellste Marathon-Mann der Schweiz.

Einer von wenigen Tabak-Bauern

22 Kühe, einen Stier und sechs Pensions-Pferde hats auf dem Hof. Angebaut werden Kartoffeln, Weizen, Emmer (eine alte Getreideart), Zuckerrüben, Raps, Mais und … Tabak. Und schon lacht Wägeli wieder. «Ja, es ist für einen Spitzensportler schon speziell, Tabak anzubauen. Doch das ist bei uns eine alte Familientradition. Seit 1975 trocknen wir ihn auch selber, aber wir sind natürlich alles Nichtraucher!»

Die Arbeiten mit schweren Maschinen machen Wägeli besonders viel Spass.
Foto: Sven Thomann
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Damit sind die Wägelis nur noch einer von rund 190 Tabak-Bauern in der Schweiz. «Tabak anzubauen, ist schwierig und herausfordernd», erklärt der 29-Jährige, «es darf nicht zu feucht sein aber auch nicht zu trocknen.» Ist es ein lukratives Geschäft? «Es wird nach Qualität bezahlt. Man erhält zwar mehr Geld als für den Ackerbau, es ist aber auch deutlich zeitintensiver und aufwändiger.»

Zu viele Muskeln am Oberkörper

Hört man Wägeli zu, merkt man schnell: Er ist mit vollem Herzen Bauer. Doch da wäre eben auch noch seine zweite Leidenschaft: der Spitzensport. Früher war er einst wie sein Vater Thomas Orientierungsläufer. Mit 20 Jahren verlor er die Lust daran. Er hörte auf, trainierte aber weiter, bis er merkte, dass ihm doch etwas fehlt.

2015 bestritt er in Barcelona seinen ersten Marathon. «Als ich dort ins Ziel kam, wusste ich: Das ist meine Sportart. Ich mag es, monatelang auf ein Ziel hinzuarbeiten und es dann zu erreichen. Diese Bestätigung hält danach extrem lange an.» Mittlerweile hat er insgesamt neun Marathons bestritten. 2019 lief er in Sevilla mit 2:15:22 Stunden seine persönliche Bestzeit.

Mit 69 kg Körpergewicht bei einer Grösse von 178 cm hat Wägeli eigentlich nicht die Idealmasse eines Marathonläufers. «Im Vergleich zu meinen Konkurrenten bin ich bis zu zehn Kilos schwerer. Das hat mit meinen Muskeln am Oberkörper zu tun.» Muskeln, die vor allem auf die körperlich anstrengende Arbeit als Bauer zurückzuführen sind.

Vater und Sohn – ein eingespieltes Team

Und diese wartet auch jetzt wieder auf ihn. Zusammen mit seinem Vater müssen sie das Stroh, das bereits zu 250 kg schweren Rundballen zusammengepresst wurde, aufladen. Dafür schwingt sich Wägeli auf den Traktor. «Solche Arbeiten mache ich am liebsten», sagt er und lacht wieder, «mich fasziniert am Beruf des Bauers aber auch, dass kein Tag wie der vorherige ist und auch kein Jahr wie das vorherige.»

Nach wenigen Minuten Fahrzeit ist das Ziel erreicht. Die Wägelis bewirtschaften viel Boden. Insgesamt 45 Hektaren bearbeiten sie, 35 davon sind gepachtet. Im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt von 20 Hektaren ist das ein grösserer Betrieb.

Gleich neben dem idyllischen Hüttwilersee beginnen Vater und Sohn gemeinsam mit der Arbeit. Sie wirken wie ein eingespieltes Team. Gibt es da gelegentlich doch Reibereien? «Der Generationwechsel ist bei vielen Bauern ein Problem. Wir aber können gut zusammenarbeiten», sagt der Junior. Und auch die Übergabe ist schon geregelt. «Ich werde den Hof 2022 übernehmen und hoffe natürlich, dass mir mein Vater auch danach noch helfen wird.»

Auf dem Hof leben tut Wägeli zurzeit nicht. Er wohnt zusammen mit seiner Freundin Anina in Frauenfeld. «Platz hätte es ja auf dem Hof. Doch so kann ich wunderbar abschalten. Würde ich hier leben, würde ich wohl noch mehr arbeiten, denn als Bauer gibt es immer Arbeit.»

Das Problem mit der Erholung

Wägelis Tage sind auch so schon ziemlich voll. Meist gibt es morgens zwei Trainingseinheiten, einmal Laufen und einmal Kraft. «Gegen Mittag fahre ich dann auf den Hof. Mache Feldarbeit oder erledige den Papierkram im Büro, der mittlerweile auch immer mehr Zeit in Anspruch nimmt. Dann folgt der Abendstall, das Melken und Füttern der Kühe. Um etwa halb Acht bin ich wieder zu Hause. Je nachdem gibts dann noch ein drittes Training.»

Man fragt sich unweigerlich: Wäre Wägeli ein schnellerer Marathonläufer, wenn er Vollprofi wäre? «Nein, das glaube ich nicht. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Hätte ich den Hof nicht, würde ich wohl noch mehr trainieren, was nicht unbedingt förderlich wäre.»

Was Wägeli aber auffällt: Während ein Profi nach einem Marathon erst einmal Ferien macht und sich dadurch schneller erholen kann, steht er selbst spätestens nach einem Tag Pause wieder im Stall. «Ich arbeite dann meistens noch mehr als üblich, weil ich vor dem Wettkampf ja meist im Trainingslager war, zu Hause dadurch nicht helfen konnte und dann ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern habe.» Deshalb dauere seine Erholung wesentlich länger.

Olympia-Verschiebung ist ein Glücksfall

Bis 2024 wird er mit dieser Doppelbelastung noch leben müssen. Bis Olympia in Paris gehen zumindest seine Pläne. Ob er sich schon für Tokio 2021 qualifizieren wird, ist fraglich. Das IOC senkte im letzten Jahr überraschend die Qualifikationszeit auf 2:11:30. Um das zu schaffen, müsste er seine persönliche Bestzeit um fast vier Minuten verbessern. «Ich weiss nicht, wo mein Limit liegt. Das Gute aber ist: Mit meinen 29 Jahren bin ich immer noch ein junger Marathonläufer. Die Olympia-Verschiebung wegen dem Coronavirus ist für mich sicherlich ein Vorteil. 2021 bin ich ein Jahr älter.»

Wägeli unterbricht das Gespräch. Zeit für den Stall. Gummistiefel an. Jetzt müssen die Kühe gemolken werden. Und für das zwei Wochen alte Kälbli gibt es neues Stroh und Milch. Würde ein Mitarbeiter ihn nicht entlasten? «Ich habe zwei Kollegen, auf die wir zurückgreifen können. Eine Aushilfe einzustellen, ist aber nicht einfach. Bauern haben eine 55-Stunden-Woche bei bescheidener Bezahlung und zudem ist es schwierig, jemanden zu finden, der schnell mit den unterschiedlichsten Maschinen und den vielen verschiedenen Arbeiten zurechtkommt.»

Gummistiefel aus, Laufschuhe an

Obwohl Wägeli 2020 keinen Marathon bestreiten wird, reist er trotzdem für ein mehrwöchiges Trainingslager nach St. Moritz. «Ich muss ja mein Level erhöhen und besser werden.» Wenn er aber weit weg von zu Hause ist, vermisse er den Hof schon. Das sei auch jeweils Anfang des Jahres so, wenn er in Kenia trainiere. «Da merke ich aber auch, dass ein Leben als Vollprofi nichts für mich wäre. Ich würde so nicht schneller sein, weil mir ja etwas fehlen würde.»

Das Arbeiten auf dem Hof eben. An Ideen fehlt es Wägeli für die Zukunft nicht. Doch noch müssen diese notgedrungen warten. «Das ist manchmal schwierig für mich. Ich habe so viele Ideen, die ich am liebsten gleich umsetzen würde. Das geht jetzt halt wegen des Sports noch nicht. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob mein Vater an allen Ideen seine Freude hätte …»

Und wieder lacht Wägeli laut auf. Gleichzeitig zieht er sich die Gummistiefel aus und die Laufschuhe an. Er will gleich noch eine Trainingseinheit vor dem Abendessen absolvieren. Eine letzte Frage noch: Wie sieht sein Leben in zehn Jahren aus? «Dann bin ich Landwirt auf unserem Hof. Mit Frau und Kindern.»

Sagt es, lacht natürlich noch einmal richtig herzhaft und rennt davon.

Auch diese Bauern wurden Spitzensportler

Spitzensportler, die wie Patrik Wägeli auch noch Bauern sind, gibt es eher selten. Nathalie von Siebenthal war eine solche Ausnahme. Sie war Langläuferin und Bäuerin. Ende des letzten Jahres trat sie zurück. Doch schon zuvor bewirtschaftete sie zusammen mit ihrem Vater in Lauenen bei Gstaad BE einen Milchwirtschaftsbetrieb.

Den einen oder anderen Bauern hats vor allem unter den Schwingern, so zum Beispiel der König von 2016 Matthias Sempach, der seit 2019 im Entlebuch einen Hof führt. Ebenfalls als Landwirte arbeiten die ehemaligen Spitzen-Schwinger Andreas Ulrich und Bruno Gisler.

Was auffällt: Viele Schweizer Sportler wuchsen auf Bauernhöfen auf. Von Skispringer Simon Ammann bis zur Skirennfahrerin Jasmin Flury. Von Tennis-Star Stan Wawrinka bis hin zum Rollstuhlsportler Marcel Hug.

Nur noch Bäuerin: Von Siebenthal.

Spitzensportler, die wie Patrik Wägeli auch noch Bauern sind, gibt es eher selten. Nathalie von Siebenthal war eine solche Ausnahme. Sie war Langläuferin und Bäuerin. Ende des letzten Jahres trat sie zurück. Doch schon zuvor bewirtschaftete sie zusammen mit ihrem Vater in Lauenen bei Gstaad BE einen Milchwirtschaftsbetrieb.

Den einen oder anderen Bauern hats vor allem unter den Schwingern, so zum Beispiel der König von 2016 Matthias Sempach, der seit 2019 im Entlebuch einen Hof führt. Ebenfalls als Landwirte arbeiten die ehemaligen Spitzen-Schwinger Andreas Ulrich und Bruno Gisler.

Was auffällt: Viele Schweizer Sportler wuchsen auf Bauernhöfen auf. Von Skispringer Simon Ammann bis zur Skirennfahrerin Jasmin Flury. Von Tennis-Star Stan Wawrinka bis hin zum Rollstuhlsportler Marcel Hug.

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